Ermittlung des Zielmarktes – Aspekte in der Wohlverhaltensaufsicht

In diesem Blogbeitrag widmen wir uns den Anforderungen für die Bestimmung des Zielmarktes.

Verbraucherschutz zählt zu den Zuständigkeiten der europäischen wie nationalen Aufsichtsbehörden. Die entsprechende Regulierung für Unternehmen, die Versicherungsprodukte konzipieren, wurde in den letzten Jahren zunehmend präzisiert – in unserer aktuellen Blogreihe vertiefen wir verschiedene Themenbereiche der kürzlichen EIOPA- sowie BaFin-Vorgaben. In unserer Blogbeitragsreihe erfahren Sie mehr über aktuelle Themen rundum Verbraucherschutz und die Wohlverhaltensaufsicht. 

In diesem Blogbeitrag widmen wir uns den Anforderungen für die Bestimmung des Zielmarktes. Die Festlegung des Zielmarktes ist entscheidend, da dieser sich direkt auf die Bestimmung des Kundennutzens auswirkt. Eine zentrale Herausforderung bei der Definition der Anforderungen und Entwicklung eines Regelwerks für die Zielmarktbestimmung liegt in der Festlegung einer angemessenen Detailtiefe. Obwohl eine weit gefasste Festlegung des Zielmarktes für den Versicherungsmarkt vorteilhaft sein kann, birgt sie Herausforderungen im Hinblick auf die Bestimmung des Kundennutzens.  

In der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2358 wird gefordert, dass im Zuge des Produktgenehmigungsverfahrens für jedes Versicherungsprodukt der Zielmarkt und die passende Kundengruppe identifiziert werden. Dabei muss die Detailtiefe angemessen gewählt werden, wobei das Risikoprofil, die Komplexität und die Art des Versicherungsproduktes berücksichtigt werden. So können (Versicherungs-) Produktgeber spezifische Kundengruppen identifizieren, für die ihre Produkte nicht geeignet sind. Sie konzipieren und bewerben ausschließlich Produkte, die den Bedürfnissen (z.B. Deckungen, Garantien, Ausschlüsse, Rückerstattungen), Merkmalen (z.B. Kenntnisse, Erfahrungen, Risikotoleranz, Alter) und Zielen (z.B. Schutzmotiv, Sparmotiv) dieser Zielgruppen entsprechen. Teil der Zielmarktdefinition ist jedoch die Wahl eines angemessenen Vertriebskanals unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale des betreffenden Versicherungsproduktes. Es besteht zudem die Möglichkeit, den Zielmarkt auch durch die Bestimmung von auszuschließenden Kunden zu definieren. 

Das BaFin Merkblatt 01/2023 (VA) zu aufsichtsrechtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten präzisiert die Anforderungen an die Festlegung des Zielmarktes für diese Produkte bereits in Teilen. Es beschreibt die Bestimmung des Zielmarktes im Kontext der spezifischen Bedürfnisse, die das Produkt erfüllen soll. Als Beispiel wird eine Zielgruppe, der 'sicherheitsorientierte Versicherungsnehmer', genannt. Die Bezeichnung 'sicherheitsorientiert' könnte sowohl auf die Bedürfnisse als auch auf die Erwartungen des Kunden an das Versicherungsprodukt abzielen.  

Die klare Abgrenzung zwischen den Erwartungen des Kunden und seinen Bedürfnissen bei der Definition des Zielmarktes ist entscheidend, um mögliche Zielkonflikte bei Kundengruppen zu vermeiden. Letztendlich sollten individuelle Lösungen für Zielkonflikte in der Produktberatung gefunden werden, jedoch sind erste Ausschlüsse bei der Festlegung des Zielmarktes zumindest denkbar. 

Klare Kategorien für die Definition eines Zielmarktes lässt das Bafin Merkblatt offen. Eine Überlegung für die Kategorien könnte das BaFin Rundschreiben 05/2018 (WA) zur MaComp auf Basis der ESMA-Leitlinien liefern. In diesem Rundschreiben werden fünf Kategorien für die Bestimmung des abstrakten Zielmarkts genannt. Eine zukünftige Orientierung an den dort aufgeführten Überlegungen durch die Regulatoren ist zumindest für Versicherungsanlageprodukte denkbar. Die im Rundschreiben genannten Kategorien sind:  

  • Kundenkategorie (Privatkunden, professionelle Kunden, geeignete Gegenparteien) 
  • Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden 
  • Finanzielle Situation des Kunden mit Fokus auf der Verlusttragungsfähigkeit 
  • Risikotoleranz bzw. Vereinbarkeit des Risiko-Rendite Profils des Produktes mit dem Zielkunden 
  • Ziele und Bedürfnisse  

Die dritte Kategorie, die sich auf die 'finanzielle Situation mit Fokus auf der Verlusttragungsfähigkeit' konzentriert, könnte für Versicherungsprodukte sinnvoll erweitert werden, indem sie auf die Absicherung von Versorgungslücken ausgerichtet ist. Das Konzept einer Versorgungslücke beinhaltet implizit die Bewertung der finanziellen Möglichkeiten und des zu erwartenden Bedarfs des Kunden, wobei seine individuellen Lebensumstände berücksichtigt werden. Wenn diese Kategorie granular betrachtet wird, könnte die Definition des Zielmarktes unter Betrachtung der weiteren Kategorien implizit folgen bzw. präzisiert werden. 

Für solch detaillierte Bedarfsanalysen sind Lebensphasenmodelle zur Bestimmung von Zielgruppen äußerst hilfreich. Diese Modelle finden bei Versicherern vor allem in der Steuerung des Vertriebs und im Management von Marketingaktivitäten Anwendung. Sie segmentieren Kunden anhand quantitativer Auswertungen, die auf historischer Bedarfsdeckung beruhen. 

Wir stehen Ihnen gerne zur Seite, wenn es um die Einführung von Lebensphasenmodellen geht – von der Auswahl geeigneter Daten bis zur Implementierung. Zögern Sie nicht, uns jederzeit zu kontaktieren!  

Obwohl Lebensphasenmodelle bei der Bestimmung des Zielmarktes hilfreich sein können, sollte die abschließende Bewertung der Angemessenheit in der individuellen Produktberatung erfolgen. Eine detaillierte Betrachtung bzw. Definition des Zielmarktes kann jedoch bei der Bestimmung des Kundennutzens hilfreich sein und ist unter Verwendung angemessener Konzepte praktisch umsetzbar. In unserem nächsten Blogbeitrag werden wir auf die Bestimmung des Kundennutzens stärker eingehen. Wir freuen uns auf Ihr Interesse!

Laufende Updates zum Thema erhalten Sie über das regulatorische Horizon Scanning in unserer Recherche-Applikation PwC Plus. Lesen Sie hier mehr über die Möglichkeiten und Angebote.

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Dr. Alexander Dotterweich

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