BaFin fordert Neuberechnung des Rückstellungstransitionals unter Solvency II

Rückstellungstransitional: Handlungsfeld für Versicherer durch engere Anpassung an Marktumfeld ab 2024

Mit der Einführung von Solvency II im Jahr 2016 wurde als Übergangshilfsmittel das Rückstellungstransitional implementiert. Dieses – im deutschen Aufsichtsrecht in §352 Abs. 2 VAG geregelt – definiert einen Abzugsbetrag, welcher temporär die versicherungstechnischen Rückstellungen unter Solvency II vermindert und somit die verfügbaren Eigenmittel erhöht. Aufgrund des Zinsanstiegs, welcher die Niedrigzinsphase ab 2022 beendete, sind die Vorgaben jedoch nicht mehr angemessen. Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) fordert nun die Lebensversicherer auf, ihre Übergangsregelungen unter Solvency II neu zu berechnen.

Hilfsmittel zur Übergangsphase: Rückstellungstransitionals

Das Rückstellungstransitional soll den Lebensversicherern in einer 16-jährigen Übergangsphase den Umstieg von Solvency I auf Solvency II erleichtern. Der entsprechende Abzugsbetrag wurde erstmals im Jahr 2016 als Differenz zwischen Solvency-I- und Solvency-II-Rückstellungen berechnet und seither linear abgeschrieben. Dies wird bis zum Ende des Übergangszeitraums 2032 fortgeführt. Die Berücksichtigung des Transitionals bedarf einer voraugegangen Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Die Anpassung darf zudem nur für die Verpflichtungen erfolgen, die vor Einführung von Solvency II, d.h. dem 1. Januar 2016, geschlossen wurden und für die keine Anpassung der risikofreien Zinssätze (sog. Zinstransitional) vorgenommen wurde.

Bislang verblieb der ausgänglich bestimmte Abzugsbetrag konstant, was eine grundsätzliche Neuberechnung der Rückstellungen nicht erforderte und Bestandsentwicklungen sowie Änderungen am Kapitalmarkt nicht berücksichtigte.

Unter Solvency II werden Vermögenswerte und Verbindlichkeiten nunmehr, so weit wie möglich, zu Marktwerten bewertet. Dies führte in den letzten Jahren, insbesondere während der Niedrigzinsphase, für deutsche Lebensversicherer mit ihren langfristigen Garantien oft zu erheblich verschärften Kapitalanforderungen.

Getrieben durch den starken Zinsanstieg seit 2022, war am Markt bei den deutschen Lebensversicherern ein Rückgang der Solvenzkapitalanforderungen und in Folge ein Anstieg der Solvency-II-Bedeckungsquoten zu beobachten.
In der aktuellen Kapitalmarktsituation kann es vorkommen, dass ein Abzugsbetrag, der in Zeiten deutlich niedrigerer Zinsen bestimmt wurde, nicht mehr den beabsichtigten Zweck erfüllt oder diesem sogar entgegenwirkt. Die Richtlinie 2014/51/EU des europäischen Parlaments und des Rates betont in Erwägungsgrund 61 die Notwendigkeit eines reibungslosen Übergangs zu neuen Regelungen. Übergangsmaßnahmen sollen Marktstörungen vermeiden, bestehende Produkte schützen und die Verfügbarkeit von Versicherungsprodukten sicherstellen. Gleichzeitig sollen sie Unternehmen dazu anregen, die neuen Anforderungen so schnell wie möglich zu erfüllen.

Die Absenkung der versicherungstechnischen Rückstellungen durch das Rückstellungstransitional ist daher in den Augen der BaFin in der aktuellen Höhe nicht mehr erforderlich oder könnte sogar falsche Anreize setzen. 

Gegenmaßnahme: Dynamische Neuberechnung des Rückstellungstransitionals

Um diesen Effekten entgegenzuwirken, fordert die BaFin nun eine Neuberechnung des Transitionals. Dies würde bei den Lebensversichersicherungen, welche Rückstellungstransitionals verwenden, eine Senkung der Bedeckungsquoten bewirken. Grundsätzlich schätzt die BaFin den deutschen Lebensversicherungsmarkt auch ohne Transitionals als ausreichend bedeckt ein. Versicherer können den Betrag des Rückstellungstransitionals alle 24 Monate neu berechnen, um die Entwicklung ihres Versicherungsbestands präziser zu berücksichtigen. Auch bei einer signifikanten Änderung des Risikoprofils ist eine Neuberechnung möglich, entweder auf Antrag des Unternehmens oder durch Anordnung der BaFin (§352 Abs. 3 und Abs. 2 VAG). Bislang verzichtete die BaFin auf solche Anordnungen, da die Niedrigzinsphase und der Aufbau der Zinszusatzreserve, die die Anpassung der Rückstellungen an das niedrige Zinsniveau gemäß Handelsgesetzbuch (HGB) ermöglicht, die Unternehmen belasteten. Diese Aspekte verloren nun an Relevanz.

Als ersten Schritt hat die BaFin daher angeordnet, dass die Lebensversicherer den Abzugsbetrag zum zweiten Quartal 2024 erstmals neu berechnen müssen.

Hinweise zur Neuberechnung des Abzugs:

  • Verwendung der zum Stichtag 01.01.2024 aktuellen Daten
  • Einbeziehung des Referenzzinses für die Zinszusatzreserve
  • Nutzung der von der Kommission veröffentlichten technischen Informationen für die risikofreie Zinsstrukturkurve
  • Einbeziehung der zu diesem Stichtag gültigen Volatilitätsanpassung
  • Berücksichtigung des aktuellen Kapitalanlage- und Versicherungsbestands.

Bezug auf den Versicherungsbestand:

  • Der vorübergehende Abzug ist nur auf die Verträge anwendbar, die sich zum 01.01.2016 bereits im Bestand befanden
  • Eine Teilbestandsbewertung ist für die Bestimmung der versicherungstechnischen Rückstellungen nach Solvency II erforderlich
  • Berücksichtigung der Interaktionen zwischen dem betroffenen Teilbestand und dem Gesamtbestand

Ziel: Eigenständige Erfüllung der Solvency-II-Anforderungen ohne Verwendung von Übergangsmaßnahmen

Durch die angeordnete Neuberechnung wird das Rückstellungstransitional somit an das geänderte wirtschaftliche Umfeld angepasst. Auch zukünftig soll das Rückstellungstransitional bei Bedarf weiter dynamisch neu berechnet werden. Der Übergangszeitraum von insgesamt 16 Jahren bleibt somit erhalten.

Langfristig sollte die Erfüllung der Kapitalanforderungen nach Solvency II ohne Verwendung von künstlichen Anpassungsinstrumenten erfolgen. Lebensversicherer müssen strategisch insbesondere ihr Kapitalanlagen- und Risikomanagement entsprechend ausrichten.

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