Goodbye Free Trade?

Die deutsche Autoindustrie in Zeiten der Dealmaker Economy.

Lehren aus dem Paradigmenwechsel

Die zweite Trump-Präsidentschaft ist in vielerlei Hinsicht ein einschneidendes Ereignis. Auch auf dem Gebiet des internationalen Handels wurde dadurch ein Paradigmenwechsel eingeleitet, der langfristig Bestand haben wird. Wir erleben eine schleichende Abkehr von den Prinzipien des regelbasierten Welthandels und der Annahme, dass diese Regeln von internationalen Institutionen gesetzt und von staatlichen Akteuren geachtet werden. Die Nutzung von Importzöllen durch die US-Regierung zur Durchsetzung von bilateralen Wirtschaftsdeals ist Ausdruck dieses neuen Politikverständnisses.

Gerade die deutsche Automobilindustrie, die über Jahrzehnte von einem hohen Exportanteil profitiert hat, ist durch die US-Schutz- und Strafzölle (tariffs) besonders verwundbar. Wie wenige andere Industriezweige hat sie bisher von globalisierten Handelsbeziehungen profitiert und die Verflechtungen von Produktion und Supply Chain perfektioniert. Moderne Fahrzeuge bestehen zudem aus Tausenden von Komponenten, die oft in verschiedenen Ländern gefertigt und weltweit gehandelt werden. Zölle auf diese Komponenten können so die gesamte Produktionskette verteuern. Zudem ist die Herstellung von Fahrzeugen sehr kapitalintensiv und erfordert erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Strafzölle erhöhen diese Kosten, wodurch es für Hersteller schwieriger wird, Kapital effizient zu nutzen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Gerade in der Phase der kapitalintensiven Transformation kommen die Kosten zur absoluten Unzeit. Um in der Dealmaker Economy bestehen zu können, müssen sich die Unternehmen schnell dem New Normal anpassen – durch ein neues Mindset und mit neuen Fähigkeiten.

Neue Spielregeln für die Industrie

Die deutschen Autobauer und -zulieferer erleben derzeit, dass sie nicht mehr unter dem Radar fliegen: Sie sind zugleich Subjekt und Objekt der Geopolitik. Als Teil eines neuen geopolitischen „Spiels“ müssen sie lernen, in Dimensionen der Geopolitik zu denken. In diesem neuen Geflecht sind die Politikfelder nicht mehr klar getrennt, vielmehr verwischen die Grenzen zwischen Handels- und Sicherheitspolitik. Dies wurde bei den jüngsten Zollverhandlungen zwischen EU-Kommission und US-Administration offensichtlich. Die defensive und deeskalierende Reaktion der EU auf die harten Forderungen der US-Regierung war der Einsicht geschuldet, dass es nicht mehr möglich sein wird, die Verhandlungen auf einen reinen Handelskonflikt zu beschränken: Die Bourbon-, Sojabohnen oder Harley-Davidson-Karte wird nicht mehr gezogen, weil diese mit der NATO-Karte gestochen worden wäre. In der neuen Dealmaker Economy kann alles zum Druckmittel werden. Und alles hat mit allem zu tun.

Die Realitäten und Spielregeln ändern sich dramatisch schnell. Das führt einerseits dazu, dass die Handlungsoptionen der Unternehmen eingeschränkt werden. Die vormals unpolitischen Unternehmen müssen sich in Zukunft unter Umständen einem höheren Ziel bzw. dem Primat der Politik unterordnen und können gezwungen sein, gegen ihre ökonomischen Interessen handeln. Andererseits lassen sich auch genau konträre Entwicklungen beobachten: Die großen Hersteller (OEMs) verhandeln unabhängig von der EU-Kommission – aber mit deren Duldung – direkt mit der US-Regierung und schließen begrenzte Deals ab. Dadurch wird das strenge Prinzip aufgeweicht, dass allein die EU-Kommission für die externen Handelsbeziehungen zuständig ist.

Von der Reaktion zur strategischen Neuausrichtung

Die Industrie benötigt infolge der beschriebenen Herausforderungen aber nicht nur einen neuen Kompass und eine neue Haltung. Entscheidend sind neue Fähigkeiten und Kompetenzen. Gerade in der Phase externer Schocks, ausgelöst durch ein Dauerfeuer von Zollankündigungen, die nur das eine Ziel haben, den Verhandlungsgegner maximal zu verwirren, müssen sich die Unternehmen in die Lage versetzen, analyse- und handlungsfähig zu bleiben. Ist es den Unternehmen in Zukunft möglich, die Auswirkungen von möglichen neuen Handelshemmnissen zu bewerten, können sie die Lücke zwischen gefühlter Bedrohung und tatsächlichem Impact auf die Geschäftstätigkeit schließen. Die taktischen Nebelkerzen verlieren so ihre Wirkung.

Das geht nicht ohne Transparenz in den Lieferketten sowie entsprechende Technologie und Daten in Echtzeit. Nur mit modernen, durchdigitalisierten und verzahnten Datenplattformen und Prozessen stellen die Entscheider aufseiten der Hersteller und Zulieferer die erforderliche Transparenz über Lieferströme und Produktherkunft her. Einer modernen Product Compliance Governance kommt hierbei entscheidende Bedeutung zu, um die Produkt-DNA immer zweifelsfrei feststellen zu können. Leistungsfähige ERP-Systeme tragen ebenfalls dazu bei, die Waren- und Finanzströme in Echtzeit zu tracken.

Die gute Nachricht: Die deutsche Autoindustrie hat in den vergangenen Jahren viel Zeit und Geld in die Transformation ihrer Prozesse, Strukturen und Operations investiert und kann darauf in der Zollkrise aufsetzen.

Um die Geschäftstätigkeit auf dem US-Markt anzupassen, sind eine Vielzahl von kurzfristigen und mittel- bis langfristigen Anpassungsstrategie denkbar. Welche Handlungsoptionen den Unternehmen zur Verfügung stehen und wie sich OEMs und Zulieferer langfristig neu ausrichten können, lesen Sie in unserem aktuellen Viewpoint der in Zusammenarbeit mit dem PwC Trade Office entstanden ist.

Zu weiteren PwC Blogs

Contact

Harald Wimmer

Harald Wimmer

Partner
Köln

To the top