Solvency II 2020 Review – Erwartete quantitative Auswirkungen auf die S2-Quoten
Die EIOPA hat im Dezember 2020 ihre “Opinion on the 2020 review of Solvency II” vorgelegt.
Diese umfasste auch eine umfangreiche Auswirkungsanalyse[1]: In zwei zentralen Studien wurden mögliche Effekte der vorgeschlagenen Änderungen auf die Versicherungsunternehmen untersucht: Einmal zum Stichtag 31. Dezember 2019 im sogenannten Holistic Impact Assessment (“HIA”) und einmal zum Stichtag 30. Juni 2020 im sog. Complementary Information Request (“CIR”), dort konnten dann auch die Einflüsse der COVID-19-Pandemie beobachtet werden. Getestet wurden drei grundlegende Szenarien, das “Basisszenario”, welchem die aktuell gültigen Solvency-II-Vorgaben zugrunde gelegt wurden, “Szenario 1”, bei dem der Effekt aller kombinierten Anpassungsvorschläge untersucht wurde und “Szenario 2”, bei dem die Rekalibrierung des Zinsrisikos ausgeklammert wurde (ansonsten entsprach dieses dem Szenario 1).
Folgende Tabelle fasst die Ergebnisse auf EEA-Ebene (European Economic Area) zusammen:
Alle Versicherungen | Lebensversicherungen | |||
Differenz der Bedeckungsquoten | HIA | CIR | HIA | CIR |
Differenz Szenario 1 - Basisszenario | -13% | -22% | -31% | -42% |
Differenz Szenario 2 - Basisszenario | +1% | -10% | -5% | -24% |
Es ist zu erkennen, dass sich nur im HIA im Szenario 2 ein positiver Effekt auf die Bedeckungsquote ergab. Im Szenario 1, unter Einbeziehung der geänderten Kalibrierung des Zinsrisikos, ergeben sich durchgängig negative Effekte. Starke Auswirkungen sind dabei besonders für Lebensversicherungen zu beobachten. Weiter ist sichtbar, dass sich die Effekte im CIR gegenüber dem HIA nochmals verstärkt haben. Dies ist getrieben durch die verschlechterten Werte für die risikofreie Zinskurve und die abgesenkte UFR.
Grundsätzlich war das Ziel von EIOPA zunächst ein “ausbalanciertes Update” des regulatorischen Rahmenwerks vorzunehmen, d.h. die quantitativen Auswirkungen auf die Bedeckungsquoten sollten sich durch die Änderungen in den verschiedenen Bereichen möglichst ausgleichen. Insbesondere im CIR und im Szenario 1 ist das auf Basis der durchgeführten Tests jedoch nicht der Fall. Auch sind für deutsche Versicherer und Lebensversicherer allgemein die negativen Auswirkungen überdurchschnittlich hoch.
Zusätzlich wurden approximativ die Auswirkungen einzelner Vorschläge ermittelt. Folgende Tabelle liefert einen Überblick über die Auswirkungen der fünf Änderungsvorschläge mit den größten zu erwartenden Werteffekten:
Vorgeschlagene Änderung | Typische Auswirkungen auf die versicherungstechnischen Rückstellungen und das SCR (Solvency Capital Requirement) | Approximative Auswirkung auf den Kapitalüberschuss | |
HIA | CIR | ||
Alternative Methode zur Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve | Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen als auch ein höheres SCR | -34 Mrd. € | -61 Mrd. € |
Modifizierte Berechnung der Risikomarge | Rückgang der versicherungstechnischen Rückstellungen | +16 Mrd. € | +18 Mrd. € |
Änderung der Berechnung des Volatility Adjustments (VA) | Rückgang der versicherungstechnischen Rückstellungen und ein höheres SCR für Anwender interner Modelle mit dynamischer Volatilitätsanpassung | +16 Mrd. € | +13 Mrd. € |
Änderung der Korrelation | Rückgang des SCR (nur Standardformelanwender) | +5 Mrd. € | +5 Mrd. € |
Rekalibrierung des Zinsrisikos | Erhöhung des SCR (nur Standardformelanwender) | -21 Mrd. € | -20 Mrd. € |
Die stärksten Auswirkungen ergeben sich durch die vorgeschlagene alternative Extrapolation der risikofreien Zinskurve. Hierbei soll der bisherige “Last Liquid Point” (LLP) durch einen “First Smoothing Point” (FSP) ersetzt werden. Für den Euro liegt der FSP wie beim LLP bei 20 Jahren, die Ultimate Forward Rate (UFR) bleibt unverändert. Durch das alternative Extrapolationsverfahren auf die unveränderte UFR werden nun auch nach dem FSP Marktdaten aus als liquide eingeschätzten Swap-Märkten berücksichtigt. Die obigen Daten aus der Tabelle zeigen deutlich, dass der Effekt dieser Änderung im CIR nochmal wesentlich stärker als im HIA ist. Dadurch ergibt sich im Kontrast zu den anderen Maßnahmen auch eine starke zusätzliche, vom Zinsumfeld abhängige, Volatilität der Ergebnisse.
Aufgrund der modifizierten Berechnung der Risikomarge lässt sich im Durchschnitt ein Rückgang der Risikomarge um 15% feststellen. Aufgrund der längeren Laufzeit ihrer Verpflichtungen sind die Auswirkungen für Lebensversicherungen stärker. Auch hier sind für deutsche Versicherungsunternehmen überdurchschnittlich starke Effekte zu beobachten. Es ist anzumerken, dass für den in die Berechnung der Risikomarge einfließenden Kapitalkostensatz (“Cost of Capital”, CoC) keine Änderung vorgeschlagen ist, dieser soll unverändert bei 6% belassen werden.
In die Berechnung der Volatilitätsanpassung sollen nun auch unternehmensspezifische Gegebenheiten einfließen, die in den Tests grundsätzlich entlastend wirken. Anwender interner Modelle, welche aktuell eine dynamische Volatilitätsanpassung (DVA) anwenden, sollen zukünftig ein erweitertes Vorsichtsprinzip (“DVA prudency principle”) beachten und das zu einem erhöhten SCR führen kann.
Weiter wird vorgeschlagen, den Korrelationskoeffizienten zwischen Zinsstress und Spread Risk von aktuell 0,5 auf 0,25 zu senken. Dies ist insbesondere für Lebensversicherer relevant; in einer entsprechenden Analyse im HIA wurde dort durch diese Maßnahme ein durchschnittlicher Rückgang des SCR um 5% beobachtet.
Hinsichtlich der Rekalibrierung des Zinsrisikos wird ein relativer Shift-Ansatz vorgeschlagen, dadurch wirkt der Zinsstress auch bei negativen Zinsen. Allerdings wird ergänzend eine Unterschranke von -1,25% vorgeschlagen. Insgesamt werden insbesondere für deutsche Versicherer starke Auswirkungen erwartet. Während bereits für europäische Lebens- und Kompositversicherer (Standardformelnutzer) ein Rückgang der Solvenzquote um 36 Prozentpunkte berechnet wurde, ergibt sich für deutsche Versicherer sogar ein Rückgang von mehr als 100 Prozentpunkten. Am stärksten betroffen sind insbesondere deutsche Lebensversicherer. Hier wären bei einzelnen Unternehmen Rückgänge bei der S2-Quote um bis zu 230 Prozentpunkte zu erwarten. Im Gegensatz zur alternativen Extrapolation der risikofreien Zinskurve bleiben hier die Ergebnisse im CIR vergleichsweise stabil.
Ausblick und Fazit
Auf Grundlage der von der EIOPA vorgelegten “Opinion on the 2020 review of Solvency II” und der auf dieser Basis erwarteten Auswirkungen auf die Solvabilität der Versicherungsunternehmen, empfiehlt es sich für die Unternehmen frühzeitig eigene Analysen durchzuführen um die möglichen unternehmensindividuellen Auswirkungen im Vorfeld abzuschätzen. Von besonderer Relevanz erscheint dies insbesondere für deutsche Lebensversicherer, bei denen ein deutliches Absinken der Solvenzquoten erwartet wird. Auf Basis dieser Analysen können dann frühzeitig nötige Steuerungsmaßnahmen abgeleitet und in einem weiteren Schritt analysiert und vorbereitet werden. Mögliche Steuerungsmaßnahmen umfassen hierbei beispielsweise die Weiterentwicklung der aktuariellen Modellierung, eine unternehmensindividuellere Risikomessung oder eine Erweiterung der zum Einsatz kommenden Risikominderungstechniken.
[1] https://www.eiopa.europa.eu/publications/opinion-2020-review-solvency-ii_en
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