Von der Pflicht zur Chance: Dekarbonisierung als Schlüssel für langfristige Wettbewerbsvorteile

Emissionen reduzieren und Kosten senken

Die europäische Anti-Greenwashing-Richtlinie verschiebt den Fokus der nachhaltigen Transformation – weg von CO2-Kompensationsprogrammen, hin zu konkreten Dekarbonisierungsmaßnahmen. Mit der richtigen Strategie gelingt es Unternehmen, den Wandel gezielt voranzutreiben und die damit einhergehenden Chancen zu ergreifen. 

Umweltbehauptungen besser prüfen, irreführende Produktsiegel aus dem Verkehr ziehen und mehr Transparenz schaffen – das sind im Kern die wichtigsten Ziele der europäischen Anti-Greenwashing-Richtlinie, die am 26. März in Kraft getreten ist. Mit der ergänzenden Green-Claims-Richtlinie hat die Initiative eine weitere Dimension bekommen. Diese sieht vor, dass Unternehmen Kompensationsmaßnahmen wie CO2-Zertifikate oder Aufforstungsprojekte nicht mehr in die Klimabilanz ihrer Produkte mit einrechnen dürfen. Dahinter steht ein klares Ziel: Unternehmen sollen ihren CO2-Fußabdruck nicht nur ausgleichen, sondern reduzieren. Denn nur so ist es möglich, die europäischen Klimaziele zu erreichen. Viele Unternehmen müssen sich nun damit beschäftigen, wie sie die Dekarbonisierung ihrer Prozesse, Produkte und nicht zuletzt auch ihrer Geschäftsmodelle langfristig gestalten.  

Erste Schritte für eine belastbare Roadmap

Um mit ihrer Dekarbonisierungsstrategie an der richtigen Stelle anzusetzen, müssen Unternehmen zunächst ihre Baseline ermitteln. Es gilt zu verstehen, wo die größten Emissionen liegen. Das betrifft sowohl direkt verursachte Emissionen als auch diejenigen, die in den Lieferketten entstehen. Die Voraussetzung dafür: eine umfassende Bewertung aller Aktivitäten. Dazu gehören unter anderem die Analyse von Energieverbrauch, Produktionsprozessen, Transportwegen und Rohstoffquellen. Durch die Sammlung und Auswertung der Daten können Unternehmen identifizieren, welche Bereiche die größten CO2-Emissionen verursachen. Das ermöglicht es ihnen, gezielte Maßnahmen zu entwickeln, um die entsprechenden Emissionen zu reduzieren.

Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit allen Lieferanten und Partnern entlang der Lieferkette von großer Bedeutung, um ein vollständiges Bild der Emissionen zu erhalten und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Basierend auf den Daten des Assessments und dem Stufenmodell der Science Based Targets Initiative (SBTI), einer anerkannten Methode zur Festlegung von Klimazielen, können Unternehmen eine belastbare Roadmap für ihre Dekarbonisierung entwickeln. 

Geschäftsmodelle im Sinne der Kreislaufwirtschaft neu denken 

Damit eine Dekarbonisierungsstrategie schnell zu Ergebnissen führt, ist es wichtig, sie eng mit der Transformation zu einer zirkulären Wertschöpfung zu verknüpfen. Kreislaufwirtschaft bleibt ohnehin ein wichtiger Imperativ, um den steigenden Energiepreisen und knapper werdenden Rohstoffen zu begegnen. Fast die Hälfte des gesamten Dekarbonisierungspotenzials steckt in diesem Bereich. 

Wenn bereits eine Roadmap für die Adaption zirkulärer Prozesse besteht, muss diese in die Zielsetzung für die Reduzierung der Emissionen einfließen. Eine Dekarbonisierungsstrategie sollte sich dementsprechend nicht nur damit beschäftigen, den bestehenden CO2-Fußabdruck zu verkleinern, sondern auch die Geschäftsmodelle im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu denken. Ein Beispiel: Statt die Batterien von Elektrofahrzeugen am Ende ihres Lebenszyklus zu entsorgen, können Unternehmen sie zurücknehmen, aufbereiten und Energieversorgern für stationäre Speichersysteme zur Verfügung stellen. Durch die zirkuläre Wertschöpfung entsteht ein lukrativer Zweitmarkt, von dem alle Beteiligten profitieren.

Kleiner Aufwand, großer Effekt

Wer Dekarbonisierung als Business Case denkt, wird schnell merken, dass die nachhaltige Transformation kein Kostentreiber sein muss. Im Gegenteil: Smart in die Geschäftsmodelle integriert, profitieren Unternehmen langfristig von niedrigeren Energie- und Rohstoffaufwänden, wenn sie ihre Emissionen senken. Großes Potenzial bietet sich zudem auch dort, wo Legacy-Technologien in die Reinvestitionszyklen kommen. Hier sollten Unternehmen ganz genau nachrechnen, ob sich die Umstellung auf erneuerbare Energien langfristig nicht doch lohnt. Denn oft sind die Kosten für eine Umstellung von fossile auf elektrische Energie nur geringfügig höher. Durch die Kombination aus den geringeren Betriebskosten und den langen Laufzeiten industrieller Anlagen zahlt sich die Investition schnell aus. Genau solche Hebel müssen Unternehmen finden, um mit möglichst wenig finanziellem Aufwand den größten Effekt zu erzielen. 

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Prof. Dr. Jürgen Peterseim

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