IRRD: Präventive Sanierungsplanung und Abwicklungsplanung
Worauf sich Versicherer einstellen sollten
Worum es bei der Neuregelung geht:
Sanierungs- und Abwicklungsplanung
Versicherer müssen sich auf neue Regelungen zur präventiven Sanierungs- und Abwicklungsplanung einstellen. Die Gewährleistung wirksamer und kohärenter Sanierungs- und Abwicklungsverfahren aufseiten der Assekuranz konstituiert bereits seit Gründung der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) einer ihrer vorrangigen Aufträge. Daher begrüßte sie den jüngst von der Europäischen Kommission im Rahmen des Solvency II-Reviews unternommenen Vorstoß, die Regelungen zur präventiven Sanierung und Abwicklung von Erst- und Rückversicherern europaweit harmonisieren zu wollen. Eine neue Richtlinie, die Insurance Recovery and Resolution Directive (IRRD), soll daher nicht nur bestehende Rahmenwerke des Finanzstabilitätsrats und der internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden komplementieren, sondern einheitliche Mindestanforderungen konkretisieren und kodifizieren. Nach Umsetzung der IRRD in deutsches Recht ist angesichts des mittelfristigen Ziels der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), unmittelbare und sichtbare Korrekturmaßnahmen für betroffene Finanzinstitute ergreifen zu wollen, mit einer verstärkten Prüfung der präventiven Sanierungspläne zu rechnen. Zusätzlich verzeichnete die EIOPA allein im Zeitraum von 2015 bis 2020 über 75 bedeutsame Ausfälle oder Beinahe-Ausfälle von Erst- und Rückversicherern in der Europäischen Union. Grund genug, sich mit dem Regulierungsvorschlag näher auseinanderzusetzen.
Ab wann die Neuregelung gilt:
Voraussichtliche Anwendbarkeit ab dem Jahr 2026
Gegenwärtig führen das Europäische Parlament und der Europäische Rat unter Vermittlung der Europäischen Kommission informelle interinstitutionelle Verhandlungen über technische und politische Details der IRRD. Da mit dem Abschluss dieses Trilogs nach derzeitigem Stand noch in der laufenden Legislaturperiode zu rechnen ist, könnte die noch abzustimmende Fassung der Richtlinie bereits im Jahr 2024 in Kraft treten. Unter Berücksichtigung der nationalen Umsetzung und der üblichen Übergangsfristen legt dies die Anwendbarkeit der sodann verabschiedeten Vorschriften bereits ab dem Jahr 2026 nahe. Höchste Zeit, etwaige Auswirkungen der IRRD auf Assekuranzen zu betrachten.
Wen die Neuregelung betrifft:
Erst- und Rückversicherungsgesellschaften mit bestimmten Eigenschaften
Die zuletzt debattierte Version der IRRD, der Bericht des Europäischen Parlaments vom 26. Juli 2023, verpflichtet Versicherer, die unter Solvency II fallen, zur Aufstellung präventiver Sanierungspläne, sobald
- sie aus aufsichtlicher Sicht ein besonderes Risiko darstellen oder
- sie bedeutsame grenzüberschreitende Tätigkeiten betreiben oder
- sie von der Abwicklungsplanung des Aufsehers betroffen sind oder
- sie mindestens drei Prozent der gebuchten Bruttobeiträge des nationalen Komposit- und Krankenversicherungsmarkts bzw. der versicherungstechnischen Rückstellungen des nationalen Lebensversicherungsmarkts auf sich vereinen.
Die Aufsichtsbehörden sollen laut Vorschlag der Europäischen Kommission sicherstellen, dass mindestens 80 Prozent der nationalen Versicherungsmärkte an Anforderungen der präventiven Sanierungsplanung unterliegen. Ausgenommen von der präventiven Sanierungsplanung sind Versicherer hingegen dann, wenn das von ihnen ausgehende Risiko von der Aufsicht als niedrig bewertet wird und von ihnen gleichzeitig kein regionales oder länderweites Risiko auszugehen scheint. Zudem besteht die Möglichkeit, dass die Gruppe die präventive Sanierungsplanung für alle ihre Gesellschaften, die präventive Sanierungspläne aufstellen müssen, übernimmt.
Die Abwicklungsbehörde[1] hat, nach Rücksprache mit der Aufsicht, für Versicherer, deren Risiko nicht als niedrig eingestuft wurde, immer dann Abwicklungspläne bereitzuhalten, sobald
- sie bereits zur präventiven Sanierungsplanung verpflichtet sind und ihr Erhalt aufgrund ihrer Funktion, Größe, Verflechtungen bzw. grenzüberschreitenden Tätigkeiten aus aufsichtlicher Sicht im öffentlichen Interesse liegt oder
- sie aufgrund ihrer Substituierbarkeit aus aufsichtlicher Sicht zu den fünf riskantesten Komposit- und Krankenversichern, Lebensversicherern bzw. Rückversicherern zählen.
Mindestens 70 Prozent des nationalen Nichtlebensmarkts, Lebensversicherungsmarkts und Rückversicherungsmarkts sollen laut Vorschlag der Europäischen Kommission der Abwicklungsplanung unterliegen. Als Bezugswerte für beide dieser Schwellen fungierten die gebuchten Bruttobeiträge im Segment Nichtleben und die versicherungstechnischen Rückstellungen im Segment Leben. Somit werden voraussichtlich in allen Mitgliedsstaaten eine Vielzahl von Erst- und Rückversicherern von den neuen europäischen Sanierung- und Abwicklungsregelungen betroffen sein – auch in Deutschland.
Was die Neuregelung vorsieht:
Handlungsbedarf für betroffene Versicherungsgesellschaften
Die Vorgabe zur Aufstellung präventiver Sanierungspläne hat weitreichende Folgen für Versicherer. Sie verpflichtet von der IRRD betroffene Assekuranzen unter anderem dazu,
- die einzuleitenden Abhilfemaßnahmen zu spezifizieren,
- die Aufstellung, Aktualisierung und Anwendung der Abhilfemaßnahmen zu erörtern,
- ein Rahmenwerk mit Indikatoren für Einleitung der Abhilfemaßnahmen festzulegen,
- eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln,
- Änderungen der präventiven Sanierungspläne zu dokumentieren und
- ggf. eingeleitete Maßnahmen zur Erfüllung der Solvabilitätsanforderungen zu evaluieren.
Diese präventiven Sanierungspläne sollen das Verständnis der Versicherungsgesellschaft für dessen Anfälligkeiten und Handlungsoptionen in Stressszenarien verbessern. Die Aufsichtsbehörden sind dazu angehalten, die vom Versicherer entworfenen Pläne innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Einreichung zu überprüfen und zu bewerten. Das aufsichtliche Augenmerk soll darauf gerichtet werden, ob die beschriebenen Abhilfemaßnahmen des Versicherers innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens
- dessen Funktionsfähigkeit und Finanzposition aufrechterhalten oder wiederherstellen,
- in finanziellen Stresssituationen effektiv umgesetzt und
- signifikante Beeinträchtigungen des Finanzsystems höchstwahrscheinlich abwenden
können. Damit ist zugleich klar, dass die präventiven Sanierungspläne der IRRD die bereits in der Solvency II etablierten Sanierungspläne ergänzen. Eine Verschärfung oder Umgehung insbesondere der bereits bestehenden Aufsichtsleiter ist politisch nicht gewollt und soll vermieden werden.
Obwohl Abwicklungspläne von der zuständigen Abwicklungsbehörde zu entwerfen sind, können auch diesbezüglich weitreichende Mitwirkungspflichten seitens des Versicherers bestehen. Insbesondere müssen Assekuranzen bzw. ihre unmittelbaren Mutterunternehmen zwecks Erstellung und Einführung des Abwicklungsplans bzw. Gruppenabwicklungsplans
- weitmöglichst mit der Abwicklungsbehörde kooperieren und
- alle notwendigen Informationen an die Abwicklungsbehörde übermitteln.
Hierzu zählen jegliche Daten, die der Abwicklungsbehörde die Identifikation besicherbarer Vermögenswerte und kritischer Interdependenzen erlaubt, als auch jegliche Ereignisse, die eine Überarbeitung des Abwicklungsplans bedingen könnten.
Weshalb eine Vorbereitung auf die Neuregelung notwendig ist:
Folgen von Verstößen
Sollten Versicherer, die der präventiven Sanierungsplanung und/oder Abwicklungsplanung unterliegen, die Vorgaben der Richtlinie jedoch nicht rechtzeitig oder lediglich unzureichend umsetzen, drohen harte Sanktionen. Hierunter fallen die vorläufige Entbindung von Geschäftsführungs- und Aufsichtsratsmitgliedern von ihren Aufgaben sowie Strafzahlungen bis zu einem Zehntel des Vorjahresumsatzes für die juristischen Person und bis zu fünf Millionen Euro für die natürliche Person, die den Verstoß zu verantworten hat. Führt der Verstoß zu einem monetär quantifizierbaren Vorteil für den Versicherer, kann das Doppelte dieses Vorteils als Strafzahlung festgesetzt werden.
Ausblick und Erfahrungswerte
Die vorgeschlagene IRRD wird in Deutschland voraussichtlich in ein eigenes Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsgesellschaften münden, wie wir dies bereits vor einigen Jahren für Kreditinstitute im Rahmen der Umsetzung der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) beobachteten. Obgleich das deutsche Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen wesentliche Elemente der später zu berücksichtigenden BRRD bereits beinhaltete, zog dessen Inkrafttreten bei Banken und Wertpapierfirmen konzernweite und komplexe Umsetzungsprojekte nach sich: Von Bail-in-Playbooks bis zu Sale-of-Business-Playbooks. Auf tiefgreifende Veränderungen sollten sich daher auch Versicherer frühzeitig einstellen. Aufgrund unserer Erfahrungswerte in der Sanierungs- und Abwicklungsplanung im Bankenbereich und unserer umfassenden Versicherungs- und Regulierungsexpertise unterstützen wir unsere Mandanten dabei, Regulierungskonformität sicherzustellen.
[1] Seit dem 1. Januar 2018 ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Nationale Abwicklungsbehörde in Deutschland.
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