POG: Zielmarkt und Kundennutzen im Fokus der Aufsicht – über Missstände und Maßnahmen

Die BaFin prüft die Produktfreigabeverfahren deutscher Versicherungsgesellschaften, bemängelt unscharf abgegrenzte Zielmärkte sowie einen unangemessenen Nutzen für deren Angehörige und droht mit weitreichenden Konsequenzen. Was nun zu beachten ist, beleuchten wir in diesem Beitrag.

Missstände in der Produktfreigabe

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt die Produktfreigabeverfahren deutscher Versicherungsgesellschaften in den Fokus ihrer Prüfungen. Grund hierfür sind die im Rahmen einer Abfrage der Aufsicht aufgedeckten teils hohen Kosten von Versicherungsanlageprodukten sowie vermehrten Stornos, welche wiederum auf mangelbehaftete Produktfreigabeverfahren schließen könnten. Die hieran anknüpfende risikoorientierte Inspektion von dreizehn Lebensversicherern bestätigte, dass die aufsichtlichen Hinweise zur Ausgestaltung des Produktfreigabeverfahrens und der damit verbundenen Spezifikation des Zielmarkts und Ermittlung des Kundennutzens nur ungenügend beachtet worden zu sein scheinen. In der Folge seien (a) Zielmärkte unscharf abgegrenzt und (b) kapitalbildendende Lebensversicherungsprodukte, vor allem fondsgebunden Rentenversicherungen mit einem unangemessenen Kundennutzen vermarktet und vertrieben worden, was die BaFin als erheblichen und dringend zu korrigierenden Missstand erachtet. 

Unschärfe des Zielmarkts: Versicherungsgesellschaften müssen für jedes Versicherungsprodukt einen jeweiligen Zielmarkt festlegen, Risiken für den bestimmten Zielmarkt bewerten und eine auf den Zielmarkt abgestimmte Vertriebsstrategie wählen. Hierfür ist der Zielmarkt unter Berücksichtigung des Risikoprofils sowie der Komplexität, Art und Nachhaltigkeitsfaktoren des Versicherungsprodukts detailliert zu beschreiben, um die Übereinstimmung mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen der Kundengruppe plausibilisieren zu können. Diesbezügliche Missstände sieht der Aufseher in den von den Versicherern vorgelegten Zielmarktbeschreibungen aber auch internen Leitlinien. Einerseits spezifizierten die Zielmarktbeschreibungen die Bedürfnisse und Merkmale der Kundengruppen nur unzureichend. Andererseits stünden die Zielmarktbeschreibungen im Widerspruch zur tatsächlichen Vertriebspraxis, was einen regelmäßigen Verkauf von Versicherungsprodukten an hierfür ungeeignete Kunden impliziert. Stark erhöhte Frühstornos deuten darauf hin, dass Produkte außerhalb des für sie bestimmten Zielmarkts vertrieben worden sind. Entsprechend hoch sind die Effektivkosten in diesen Fällen, da gerade dann ein großer Teil der Kosten anfällt. 

Unangemessenheit des Kundennutzens: Versicherungsgesellschaften müssen für jedes Versicherungsprodukt einen angemessen Kundennutzen attestieren, der sich im Verhältnis zwischen den produktbezogenen Kosten und Leistungen niederschlägt. Ausschlaggebend hierbei ist, dass Produkte “den Absicherungsbedürfnissen und den Renditeerwartungen der Versicherten gerecht werden” und somit dem Kunden monetäre wie nicht-monetäre Vorteile bieten. Diesbezügliche Missstände sieht der Aufseher in den von den Versicherern durchgeführten Kundennutzenanalysen. Einerseits stünden einzelnen Kostenpositionen keine Leistungen gegenüber, die für den jeweiligen Zielmarkt mehrwertstiftend seien. Dies gelte insbesondere für Rückvergütungen von Fondsgesellschaften an Vertriebspartner, sofern sie weder direkt noch indirekt an den Kunden weitergegeben werden. Andererseits könnten einzelne Kostenpositionen aufgrund ihrer Höhe die Renditezielerreichung torpedieren. Bemängelt wurde seitens der Aufsicht überdies die formulierten Stornoerwartungen, gerade in Hinblick auf die vorzeitige Versicherungsvertragsbeendigung durch die Hälfte der Angehörigen des jeweiligen Zielmarkts, die aufgrund der damit verbundenen Erhöhung der Effektivkosten durch die frontlastige Kostenverteilung zulasten des Kundennutzens gehen kann.

Neben diesen inhaltlichen Defiziten deckte die BaFin zudem prozessuale Mängel auf, die sich auf die Pflicht zum Anstoß des Produktfreigabeverfahrens beziehen. Demnach seien sich viele Versicherer über die Wesentlichkeit von Änderungen bestehender Versicherungsprodukte im Unklaren, für die es eine erneute Produktfreigabe bedarf. Dahingehend müssten die inhaltlichen Leitlinien mancher Assekuranzen überarbeitet werden, wenngleich die BaFin die Beseitigung aller aufgelisteten Mängel und die diesbezügliche Sensibilisierung als besonders wichtig ansieht.

Maßnahmen für die Produktfreigabe

Flankiert wird die aufsichtliche Kommunikation der oben genannten Missstände mit dem Hinweis auf die Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten, die der BaFin zur Verfügung stünden. Letztgenannte umfassen ein Vertriebsverbot des betroffenen Versicherungsprodukts, die Zwangseinstellung des betroffenen Vertriebswegs und der Zusammenarbeit mit einzelnen Versicherungsvermittlern, die Verwarnung des Geschäftsleiters des betroffenen Versicherungsunternehmens sowie darüber hinaus gehende Maßnahmen gegen Vorstände und Geschäftsleiter – insbesondere dann, wenn deren fachliche Eignung infrage steht. Grund genug, um sich mit etwaigen Schwächen und deren Aufdeckung näher auseinanderzusetzen.

Angesichts des risikoorientierten Aufsichtsansatzes rücken Versicherungsgesellschaften mit hohen Stornoquoten, Effektivkosten und Rückvergütungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften zunehmend in den Fokus der Aufsicht. Gleichwohl sind alle Versicherer – unabhängig von einer aufsichtlich Prüfung – stets dazu verpflichtet, die gesetzlichen Anforderungen an die Produktfreigabe vollumfänglich zu erfüllen. Daher ist es ratsam, sowohl die internen Beschreibungen des Zielmarkts als auch die internen Analysen des Kundennutzens sorgfältig zu überprüfen und mit der aufsichtlichen Erwartungshaltung und der ihr zugrundeliegenden Logik kritisch abzugleichen. Auf der einen Seite kann eine strukturierte und fundierte Zielmarktdefinition, die die Passgenauigkeit zwischen den Merkmalen und Bedürfnissen der Kundengruppe und einzelner Produkteigenschaften hervorhebt, hilfreich sein, um den Zielmarkt für das Versicherungsprodukt klar und plausibel abzugrenzen. Auf der anderen Seite kann sich ein umfassendes Benchmarking, das auf einer nachvollziehbar abgeleiteten Vergleichsgruppe fußt, als zuträglich erweisen, um einen adäquaten Kundennutzen zu plausibilisieren.

Unterdessen betont die Exekutivdirektorin der BaFin für die Versicherungsaufsicht jüngst in einer Rede, die Missstände beseitigen und jeden Fall genau ansehen zu wollen, da es sich um einen inakzeptablen Zustand handele. Falls wir Sie bei der Identifikation und Beseitigung etwaiger Schwachstellen in den Produktfreigabeverfahren unterstützen können, treten Sie gerne jederzeit mit uns in Kontakt.

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Melanie Schlünder

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