EIOPA eröffnet Konsultationen zur Umsetzung der Insurance Recovery and Resolution Directive (IRRD)
Ziel der IRRD ist es, durch frühzeitige Planung und effektives Krisenmanagement die Stabilität des Versicherungssektors zu stärken und geordnete Abwicklungen zu ermöglichen.
Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) hat am 29. April die erste Konsultationsphase zur EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen (IRRD) gestartet, die bis Ende Januar 2027 in nationales Recht umgesetzt werden muss und anschließend zur Anwendung kommt.
Die Konsultationen umfassen Entwürfe für Leitlinien („Guidelines“) und technische Regulierungsstandards („RTS“) zu zentralen Aspekten, wie z.B. den Inhalten von präventiven Sanierungs- und Abwicklungsplänen, der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit sowie der Identifikation kritischer Funktionen. Ziel der IRRD ist es, durch frühzeitige Planung und effektives Krisenmanagement die Stabilität des Versicherungssektors zu stärken und geordnete Abwicklungen zu ermöglichen.
Die IRRD sieht vor, dass mindestens 60 % des nationalen Versicherungsmarkts präventive Sanierungspläne erarbeiten und vorhalten sollen. Dabei sollen nationale Aufsichtsbehörden die Flexibilität haben, um spezifische Marktgegebenheiten zu berücksichtigen. Des Weiteren ist vorgesehen, dass in Bezug auf die Abwicklungsplanung eine 40% Marktabdeckung erreicht wird.
Die Konsultationen zur Sanierungsplanung enthalten folgende Kernelemente:
1) Inhalt präventiver Sanierungspläne
Der Entwurf des RTS beschreibt die Elemente, die (mindestens) in einem präventiven Sanierungsplan von (Rück-)Versicherungsunternehmen zu berücksichtigen sind. Vorgesehen sind u.a. eine Beschreibung des Unternehmens oder Konzerns (mit Berücksichtigung des Geschäftsmodells, der wesentlichen Geschäftsbereiche und kritischer Funktionen), der Sanierungsindikatoren, verfügbarer Sanierungsoptionen sowie ein Kommunikationsplan.
Die Anforderungen decken sich (erwartungsgemäß) mit den teilweise bereits jetzt gemäß Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 26 Abs. 1 und § 275 Abs. 1 VAG) im Rahmen der Erstellung eines allgemeinen Sanierungsplans an (Rück-)Versicherungsunternehmen gestellten Anforderungen. Des Weiteren sind Struktur, Inhalte und der Aufbau des RTS mit den regulatorischen Vorgaben aus dem Bankensektor vergleichbar (siehe dazu auch Banking Recovery and Resolution Directive, BRRD).
2) Kriterien und Methoden zur Bestimmung von Marktanteilen für die präventive Sanierungsplanung
Der Entwurf des RTS beschreibt die Kriterien, die von den Aufsichtsbehörden berücksichtigt werden sollen, wenn entschieden wird, ob ein Unternehmen einen präventiven Sanierungsplan aufstellen muss.
Die Aufsichtsbehörden müssen sicherstellen, dass mindestens 60% des Lebensversicherungsmarkts sowie mindestens 60% des Nichtlebensversicherungsmarkts eines Mitgliedstaats abgedeckt werden[1]. Dabei wird der Marktanteil im Lebensversicherungsbereich auf Grundlage der versicherungstechnischen Bruttorückstellungen und im Nichtlebensversicherungsbereich auf Grundlage der gebuchten Bruttobeiträge berechnet. Orientiert werden soll sich dabei an den durch das regelmäßige Solvency II Reporting (QRTs) bereits vorliegenden Daten – eine separate Reportingpflicht soll damit vermieden werden.
Bei der Berechnung der Marktabdeckung können zudem Tochterunternehmen eines (Rück-)Versicherungsunternehmens berücksichtigt werden, sofern diese Teil einer Gruppe sind, für die das oberste Mutterunternehmen einen gruppenweiten präventiven Sanierungsplan erstellt.
Die Aufsichtsbehörden müssen die Einhaltung der Marktabdeckung von 60% fortlaufend überprüfen – mindestens jedoch im Rahmen der regelmäßigen oder außerplanmäßigen Aktualisierung der präventiven Sanierungspläne.
Die Inhalte des RTS gelten sowohl für Einzelunternehmen als auch für Gruppen – und sollten diese Einzelunternehmen oder Gruppen der Abwicklungsplanung unterliegen, unterliegen diese Unternehmen ebenfalls der Pflicht zur Erstellung eines präventiven Sanierungsplans.
Die EIOPA definiert – gemäß des bereits in der IRRD verankerten Katalogs – folgende Kriterien zur Bewertung, ob Unternehmen der präventiven Sanierungsplanung unterliegen:
- Größe (EIOPA spricht sich für eine Bewertung der gebuchten Bruttobeiträge bzw. der versicherungstechnischen Bruttorückstellungen - mit zusätzlicher Berücksichtigung der Gesamtaktiva, sofern relevant; dies deckt sich damit erwartungsgemäß mit den quantitativen Maßgaben zur Ermittlung der Marktabdeckung),
- Geschäftsmodell (u.a. Gewinn-/Verlusttreiber, Schaden-/Kostenquoten, Versicherungszweige, Produktportfolio, Vertriebsmodell, Anlagestrategie, Diversifikation),
- Risikoprofil (orientiert an der Definition der IAIS – u.a. ableitbar aus dem ORSA und Liquiditätsrisikomanagementplänen),
- Verflechtungen (auch innerhalb des Finanzsektors und der Realwirtschaft),
- Substituierbarkeit (unter Berücksichtigung u.a. der Art der Versicherungsnehmer, des vorhandenen Marktes vergleichbarer Produkte, der Komplexität der Produkte)
- Bedeutung für die Wirtschaft eines Mitgliedstaates,
- grenzüberschreitende Tätigkeiten sowie die
- Kombination von Kriterien.
Des Weiteren hat die EIOPA vier Konsultationen zur Abwicklungsplanung veröffentlicht. Die Konsultationen zur Abwicklungsplanung enthalten folgende Kernelemente:
3) Inhalt der Abwicklungspläne
Der Entwurf des RTS beschreibt die für einen Abwicklungsplan erforderlichen Elementen und gibt somit – analog zur Banking Recovery and Resolution Directive (BRRD) – einen Rahmen für die nationalen Aufsichtsbehörden vor. Anders als bei der Erstellung von Sanierungsplänen, wird diesen letztendlich die Aufgabe zukommen, die Abwicklungspläne zu erstellen und zu aktualisieren. Vorgesehen ist ein Fokus auf die Struktur der Abwicklungspläne, um den nationalen Aufsichtsbehörden einen gewissen Spielraum zu lassen, um Marktspezifika bei der Ausarbeitung ihrer Rahmenwerke zu berücksichtigen.
Wichtig ist, dass sich aus den im RTS beschriebenen Inhalten erste konkrete Hinweise auf die von (Rück-)Versicherungsunternehmen zu erbringenden Zulieferungen ableiten lassen (siehe dazu auch Leitlinienentwurf zur Bewertung der Abwicklungsfähigkeit).
4) Identifikation von kritischen Funktionen
Die Leitlinienentwürfe legen Kriterien für die Identifikation von kritischen Funktionen fest. Die Identifizierung kritischer Funktionen liegt in der Verantwortung der Aufsichtsbehörde und erfolgt im Rahmen des Abwicklungsplanungsprozesses. Die Aufsichtsbehörde führt dabei eine eigene Bewertung unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten durch. Die Leitlinien berücksichtigen folgende Aspekte:
- Ausprägungen potenziell kritischer Funktionen
a. Anwendungsbereich („Scope“) - Allgemeine Anforderungen an die Identifizierung kritischer Funktionen
a. Geografie
b. Berücksichtigung von Versicherungsgarantiesystemen (in Deutschland: Protektor, Medicator), von Maßnahmen im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens sowie den Einsatz öffentlicher Mittel - Anforderungen an die Bewertung (erheblicher) Auswirkungen auf das Finanzsystem oder die Realwirtschaft
a. Nichterbringung der kritischen Funktion
b. Übertragungskanäle
c. Faktoren, die bei der Bewertung zu berücksichtigen sind, ob erhebliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft oder das Finanzsystem wahrscheinlich sind
d. Auswirkungen, die sich aus der systemischen Störung bei der Bereitstellung von Versicherungsdienstleistungen ergeben
e. Vertrauensverlust in die Bereitstellung von Versicherungsdienstleistungen - Anforderungen an die Substituierbarkeit zu angemessenen Kosten und in angemessener Zeit
a. Ansatz zu angemessener Zeit und angemessenen Kosten
b. Weitere Elemente der Substituierbarkeit innerhalb angemessener Zeit und zu angemessenen Kosten
c. Faktoren, die bei der Bewertung der Substituierbarkeit einer Funktion innerhalb angemessener Zeit und zu angemessenen Kosten zu berücksichtigen sind - Spezifische Anforderungen an grenzüberschreitende Aktivitäten und Gruppen
a. Behandlung signifikanter grenzüberschreitender Aktivitäten
b. Gruppenaspekte bei der Identifizierung kritischer Funktionen
In dem Entwurf stellt die EIOPA in Bezug auf die Erbringung einer kritischen Funktion grundsätzlich zwei Bewertungsannahmen gegenüber:
- Die Bewertung unter der Annahme eines vollständigen Ausfalls der Funktion („Complete-Stop“ Szenario)
- Die Bewertung unter der Annahme, dass die Funktion weiterhin erbracht wird, jedoch nicht mehr im gleichen Umfang („Partial-Stop“ Szenario).
Des Weiteren hat die EIOPA eine (nicht abschließende) Liste potenziell kritischer Funktionen auf Basis von Erfahrungswerten einiger Aufsichtsbehörden zusammengestellt. Die Liste kann bei der Bewertung von kritischen Funktionen herangezogen werden. Funktionen, die nicht in der Liste enthalten sind, können dennoch von den nationalen Aufsichtsbehörden als kritisch eingestuft werden.
Die Liste ist nach Geschäftsbereichen und Produkten unterteilt. Die Bezeichnungen dieser Geschäftsbereiche und Produkte orientieren sich an den Versicherungszweigen, die in Anhang I und Anhang II der Solvency II-Richtlinie definiert sind (sehe dazu auch den aktuellen Entwurf der Leitlinien, Seite 21 ff.).
5) Bewertung der Abwicklungsfähigkeit
Die Leitlinienentwürfe legen Kriterien zur Beurteilung der Abwicklungsfähigkeit von Unternehmen oder Gruppen fest. Diese umfassen folgende Aspekte:
- Allgemeine Grundsätze,
- Bewertung der Durchführbarkeit einer Abwicklung im Rahmen normaler Insolvenzverfahren,
- Identifikation der bevorzugten Abwicklungsstrategie,
- Bewertung der Glaubwürdigkeit und Durchführbarkeit der Abwicklungsstrategie,
- Bewertung der Durchführbarkeit der operativen Kontinuität,
- Zugang zu Finanzmarktinfrastrukturen (FMIs),
- Separierbarkeit,
- Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeit,
- Liquidität und Finanzierung im Abwicklungsfall,
- Informationssysteme und Datenanforderungen,
- Kommunikation,
- Governance,
- Bewertung der Abwicklungsstrategie und ihrer Auswirkungen.
6) Beseitigung von Abwicklungshindernissen
Die Leitlinienentwürfe beschreiben die alternativen Maßnahmen, die Aufsichtsbehörden ergreifen können, um Hindernisse für die Abwicklungsfähigkeit der betroffenen Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen oder -gruppen zu beseitigen oder zu beheben.
EIOPA veröffentlicht Anforderungen für:
- Alternative Abwicklungsstrategien,
- Konzerninterne Vereinbarungen und Dienstleistungen (müssen im Abwicklungsfall durchsetzbar sein),
- Verbindlichkeiten in der Gruppe (wenn konzerninterne Verbindungen die Separierbarkeit gefährden),
- Informationsanforderungen (wenn unzureichend),
- Veräußerung von Vermögenswerten und Umstrukturierung von Verbindlichkeiten (wenn Vermögenswerte illiquide sind oder Verbindlichkeiten die Verlustabsorptionsfähigkeit blockieren),
- Tätigkeitsbeschränkungen (wenn operative Tätigkeiten die Abwicklung behindern),
- Produkt- und Geschäftsfeldbeschränkungen,
- Rückversicherungsstrategie (muss geändert werden, wenn bestehende Vereinbarungen Risiken schaffen),
- Strukturelle Vereinfachung (insbesondere, wenn sie eine Trennung kritischer Funktionen behindert),
- EU-Holdingstruktur (erforderlich, wenn eine Nicht-EU-Muttergesellschaft die Abwicklung behindert),
- Separierbarkeit von Holdinggesellschaften (sog. „mixed-activity“ groups) (wenn eine Abtrennung von Finanzunternehmen zur Abwehr von nicht-finanziellen Ansteckungseffekten notwendig ist).
Wie geht es weiter?
Die Veröffentlichung der Konsultationen stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Einführung der IRRD bis 2027 dar. Die erste Konsultationsphase der sogenannten „Batch 1“ Instrumente der EIOPA läuft bis zum 31. Juli 2025. Anfang Juli soll dann jedoch bereits mit dem „Batch 2“ die zweite Konsultationsphase starten.
Was bedeuten die Vorschläge der EIOPA und welche Schlüsse lassen sich daraus für die Umsetzung der IRRD ziehen – auch unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte im Umgang mit der BRRD?
Eine erste Einschätzung legt nahe, dass – trotz erster Konkretisierungen wesentlicher Aspekte – zentrale Praxisfragen weiterhin offenbleiben und die nationale Umsetzung vor erhebliche Herausforderungen stellen dürften.
Wir werden einzelne Aspekte in Kürze näher beleuchten. Bei Fragen oder Diskussionsbedarf stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung!
[1] Einschließlich des jeweiligen Rückversicherungsmarkts. Unter “Nichtleben” wird in diesem Kontext neben der Schaden-/Unfallversicherung auch die Krankenversicherung gefasst.
Laufende Updates zum Thema erhalten Sie über das regulatorische Horizon Scanning in unserer Recherche-Applikation PwC Plus. Lesen Sie hier mehr über die Möglichkeiten und Angebote. |
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