Angemessene Zinssätze in kommunalen Gebührenkalkulationen
Die neue KAG-Rechtslage in Nordrhein-Westfalen wirft auch für andere Bundesländer abgabenrechtliche Fragen auf.
- KAG-Novelle vom 14. Dezember 2022 („Zweites Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften vom 9. Dezember 2022 (GV. NRW. S. 1063).
- Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17. Mai 2022, 9 A 1019/20.
Das Kommunalabgabenrecht ist in Bewegung. Ursächlich hierfür ist wohl die Niedrigzinsphase, die bis zum Jahr 2021 vorherrschte und auf die viele, gerade in der kommunalen Welt, heute wehmütig zurückschauen.
Die niedrigen Zinsen am Anleihe- und Kreditmarkt hatten das Oberverwaltungsgericht in Münster veranlasst, seine ständige Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Zinsen bei der Kalkulation von Gebühren für kommunale öffentliche Einrichtungen (z. B. Abwasserbeseitigung) nicht nur zu überdenken, sondern grundlegend zu ändern.
Dabei ist nach wie vor unbestritten ist, dass in einer Gebührenkalkulation eine kalkulatorische Verzinsung, d. h. ein einheitlicher Zinssatz für Eigen- und Fremdkapital angesetzt werden darf. Bisherige OVG-Rechtsprechung war, dass der anzusetzende kalkulatorische Zinssatz (für Fremd- und Eigenkapital) aus einem 50-jährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten (für höhere Fremdkapitalzinsen) hergeleitet werden durfte.
Diese Methodik sah das OVG Münster in seinem Urteil vom 17. Mai 2022 als nicht mehr angemessen an und legte fest, dass der Zinssatz aus einem 10-jährigen Durchschnitt der o.g. Emissionsrenditen zu ermitteln sei. Dabei dürfe - anders als bislang - kein Zuschlag von 0,5% hinzugesetzt werden. In Verbindung mit einer Abschreibung auf die Anschaffungs-/Herstellungskosten kann ein Nominalzinssatz angesetzt werden. Bei einer Abschreibung auf Wiederbeschaffungszeitwerte darf hingegen nur ein Realzinssatz Berücksichtigung finden.
Diese richterlichen Einschätzungen hat der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen durch eine Änderung von § 6 KAG NRW partiell „überschrieben“:
Erstmals regelt nun ein Landesgesetz, wie der Zinssatz ermittelt werden soll: Der „einheitliche Nominalzinssatz“ darf „aus dem 30-jährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten“ hergeleitet werden.
Zugleich stellt der Gesetzgeber durch seine Formulierung des § 6 Abs. 2 KAG NRW klar, dass die Kommune ein Wahlrecht hat,
- ob eine Abschreibung nach dem Anschaffungs-/Herstellungswert erfolgt oder nach dem Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben wird;
- ob daneben ein einheitlicher Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital (als Mischzinssatz) oder Zinssätze für Fremdkapital einerseits und Eigenkapital andererseits angesetzt werden.
Die gesetzliche Neuregelung wirkt sich auch auf die Behandlung von Abschreibungen aus:
Verkürzt sich bei einem (betriebsnotwendigen) Anlagegut die Nutzungsdauer darf der Restbuchwert auf die verkürzte Restnutzungsdauer verteilt werden. Entfällt die Restnutzungsdauer unerwartet und vollständig, kann der Restbuchwert bei der Ermittlung der Kosten als außerordentliche Abschreibung berücksichtigt werden.
Das neue KAG ist in Nordrhein-Westfalen am 15. Dezember 2022 in Kraft getreten und muss bzw. darf für alle Gebührenkalkulationen eingehalten werden, die sich auf Zeiträume ab 2023 beziehen.
Wie wirken sich diese Veränderungen auf die Rechtslage in anderen Bundesländern aus?
Natürlich entfaltet das vom Landtag in Düsseldorf neugefasste Kommunalabgabengesetz unmittelbare Wirkung nur in Nordrhein-Westfalen.
Allerdings ist zu beachten, dass die „alte“ Rechtsprechung des OVG Münster von vielen Verwaltungsgerichten anderer Bundesländer als Referenz oder Leitlinie herangezogen wurde.
Nachdem sich diese wichtige Rechtsprechungslinie verschoben hat, ist es zunächst einmal wahrscheinlich, das andere Verwaltungsgerichte die Frage der Zinssätze neu aufgreifen.
Da das Kommunalabgabenrecht Ländersache ist, haben hier die jeweiligen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe bei der Auslegung ihrer KAG-Regelungen das letzte Wort. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich das OVG Münster in seiner Begründung hinsichtlich der restriktiveren Herleitung der zulässigen Kapitalkosten auf die Gemeindeordnung NRW und nicht auf den abgabenrechtlich zu Grunde zu legenden betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff bezogen hat.
Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass der Eingriff des Landesgesetzgebers in Düsseldorf, aber auch die neue Zinssituation seit dem Frühjahr 2022 zu richterlichen Positionen führen, die sich von dem OVG-Urteil aus dem Mai 2022 deutlich abheben.
Erforderlich ist somit eine einzelfallbezogene Analyse der bisherigen Rechtsprechung in dem betreffenden Bundesland. Vor diesem Hintergrund ergeben sich bei den aktuell zu erstellenden Gebührenkalkulation anspruchsvolle rechtliche Abgrenzungen und betriebswirtschaftliche Fragen, bei deren Beantwortung wir Sie gerne unterstützen.
Ansprechpartner:
Otmar Koetz