Simulationen für den Ernstfall (Handbuch zu Simulationsübungen für Abwicklungsbehörden)
In einer zunehmend komplexen und vernetzten Finanzwelt müssen Abwicklungsbehörden schnell und effektiv auf Krisensituation reagieren können.
Am 16. Juli 2025 hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) ein Handbuch zu Simulationsübungen für Abwicklungsbehörden veröffentlicht. Das Handbuch bietet erstmals ein umfassendes Rahmenwerk zur Planung, Durchführung und Auswertung von Simulationsübungen (SimEx), mit dem Abwicklungsbehörden ihre Krisenreaktionsfähigkeit und operative Effizienz im Umgang mit Bankenkrisen gezielt stärken können.
Das Handbuch ist ein praxisnaher Leitfaden, der Abwicklungsbehörden dabei unterstützt, ihre Vorgehensweisen zu harmonisieren und bewährte Methoden europaweit einheitlich anzuwenden. Im Zentrum steht ein strukturierter SimEx-Prozess, der sich in die Phasen Initiierung, Planung und Vorbereitung, Durchführung sowie Auswertung gliedert.
Die Wahl des passenden Übungstyps beeinflusst maßgeblich, wie diese Phasen ausgestaltet werden (z.B. in Bezug Szenarien, Rollenverteilung, Zeitplanung oder Methodik der Auswertung). Das Handbuch unterscheidet diesbezüglich sieben Typen von Simulationsübungen:
- Brainstorming: Entwicklung neuer Prozesse oder Systeme,
- Desktop Exercise: Diskussion bestehender Abläufe anhand hypothetischer Szenarien,
- Walkthrough: Schrittweise Durcharbeitung und Test eines Prozesses,
- Fire Drill: prozessorientierte, fokussierte und flexible Plausibilitätsprüfung ausgewählter Schritte,
- Decision-Making Exercise (DME): Simulation von Entscheidungsprozessen unter Zeitdruck,
- Operational Simulation Exercise (OSE): realitätsnahe Anwendung bestehender Verfahren ohne Entscheidungsfindung,
- End-to-End Simulation (E2E): umfassende Nachbildung eines vollständigen Krisenverlaufs unter Einbindung mehrerer Übungstypen.
Diese Typologie bildet die Grundlage für die Auswahl und Gestaltung jeder Simulationsübung und hilft dabei, Übungen zielgerichtet und ressourcenschonend zu planen.
Vom Impuls zur Übung: Die Initiierungsphase
Die Entscheidung, eine Simulationsübung durchzuführen, kann durch verschiedene Auslöser motiviert sein - etwa die Einführung neuer Prozesse, die Schulung von Mitarbeitern oder die Notwendigkeit, bestehende Systeme zu testen. In der Initiierungsphase wird ein sogenanntes "SimEx Concept Statement" erstellt, das die Erwartungen und Anforderungen der Übung in wenigen Sätzen zusammenfasst. Zudem werden die Ziele und der Umfang der SimEx formuliert. Daraus entsteht die "SimEx Charter", die als Leitfaden für die weitere Planung dient und unter anderem die Projektleitung, Ziele, den Umfang und den Zeitrahmen festlegt.
Planung und Vorbereitung: Der Grundstein für eine erfolgreiche Simulation
Die Planungsphase ist besonders ressourcenintensiv und kann je nach Komplexität mehrere Monate in Anspruch nehmen. Hier werden die Rollen der Teilnehmer definiert, darunter Übungsteilnehmer, Designteam, Kontrollteam und Beobachter.
Das Szenario der Übung wird entwickelt, inklusive einer realistischen Storyline, der zu bewältigenden Herausforderungen und der Einschränkungen und Annahmen. Es wird zwischen linearen und dynamischen Szenarien unterschieden: Während erstere einem festen Ablauf folgen, erlauben letztere eine flexible Reaktion auf Entscheidungen der Teilnehmer.
Ein zentraler Bestandteil sind die sogenannten „Injects“, gezielte Informationsimpulse, die während der Übung eingesetzt werden, um Reaktionen zu provozieren oder den Ablauf zu steuern. Diese können beispielsweise eine plötzliche Verschlechterung der Bewertung des notleidenden Instituts oder eine Medienmeldung über dessen Instabilität sein.
Zur zeitlichen Planung einer SimEx werden zwei Zeitachsen entwickelt: der Projektmanagement-Zeitplan (PMT), der alle organisatorischen Meilensteine umfasst, und der operative Simulations-Zeitplan (SOT), der den Ablauf der simulierten Krise strukturiert. Parallel dazu wird das Format der Durchführung festgelegt – virtuell, physisch oder hybrid. Während vollständig virtuelle Übungen eine erhöhte Koordination erfordern und die Beobachtung erschweren können, ermöglichen physische Formate eine direktere Interaktion und vereinfachen die Steuerung des Ablaufs.
Durchführung: Die Simulationsübung
In der Durchführungsphase übernimmt das Kontrollteam die Leitung und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Es liefert die geplanten „Injects“, beobachtet die Übungsteilnehmer und greift bei Bedarf steuernd ein. Die Übungsteilnehmer agieren in ihren Rollen, als befänden sie sich in einer echten Krisensituation - sie treffen Entscheidungen, kommunizieren mit anderen Akteuren und setzen Prozesse um. Dabei kann das Kontrollteam auch Stakeholder simulieren, etwa die Zentralbank, Medien oder das Management der betroffenen Bank.
Abschluss und Feedback: Lernen aus der Simulationsübung
Nach der Durchführung folgt die Auswertungsphase. In dieser Phase wird strukturiert Feedback von Teilnehmern und Beobachtern sowohl während als auch nach der Simulation gesammelt. Dafür kommen verschiedene Methoden zum Einsatz wie standardisierte Fragebögen, moderierte Diskussionen oder automatisierte Monitoring-Tools. Die Rückmeldungen fließen in einen Abschlussbericht ein, die zentralen Beobachtungen zusammenfasst und konkrete Empfehlungen ableitet. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Berichts ist der Aktionsplan: Er benennt konkrete Maßnahmen zur Optimierung von Verfahren, Schulungen oder technischen Tools, weist klare Verantwortlichkeiten zu und legt verbindliche Fristen fest – mit dem Ziel, erkannte Schwachstellen systematisch zu beheben.
Fazit / Unterstützungsangebot
Insgesamt bietet das EBA-Handbuch einen praxisnahen und zugleich strategisch ausgerichteten Leitfaden, der Abwicklungsbehörden dabei unterstützt, ihre Krisenfestigkeit systematisch zu verbessern. Durch die strukturierte Durchführung von SimEx lassen sich nicht nur Prozesse testen, sondern auch organisationsübergreifende Zusammenarbeit und Entscheidungsfähigkeit nachhaltig stärken. Gleichzeitig unterstreicht das EBA Handbuch die zunehmende Bedeutung des Testings im Rahmen der Abwicklungsplanung. Es liefert praxisnahe Hinweise und wertvolle Impulse, die nicht nur Abwicklungsbehörden, sondern auch Instituten bei der Weiterentwicklung ihrer Testrahmenwerke unterstützen.
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