Zukunftsfähiges Risikomanagement

Verwendung des ESG-Toolsets zur Bewältigung geopolitischer Risiken im Risikomanagement

Geopolitische Risiken sind längst kein Randthema mehr. Seit dem Ukrainekrieg und den Konflikten im Nahen Osten sind sie auch in Europa spürbar. Diese Risiken stören Handelsflüsse, destabilisieren Lieferketten und beeinflussen Nachfrage, Preise und Kapitalströme. Für Banken und Finanzinstitute bedeutet das: Geopolitik ist ein Risikofaktor, der aktiv gemanagt werden muss. Die gute Nachricht: Viele der bereits etablierten ESG-Instrumente und -Methoden lassen sich sinnvoll erweitern und für das Management geopolitischer Risiken nutzen. Szenarioanalysen, Geschäftsumfeldanalysen und Horizon Scanning sind zentrale Instrumente, um geopolitische Risiken wirksam zu adressieren und die eigene Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Einführung in geopolitische Risiken und deren Relevanz

Geopolitische Spannungen sind längst kein Randthema mehr. Spätestens seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine im Frühjahr 2022 ist das Thema mit voller Wucht auch in Europa angekommen. Zusätzlich hat der eskalierende Konflikt im Nahen Osten nach dem Überfall der Hamas auf Israel die geopolitische Lage weiter verschärft. 

Doch auch jenseits akuter militärischer Auseinandersetzungen wächst die Unsicherheit. Die nationalistische Handelspolitik der Trump-Regierung, ihre Debatten über die Kontrolle strategischer Handelsrouten wie den Panamakanal oder sogar die kontroverse Idee, Grönland zu übernehmen, verdeutlichen, wie fragil selbst etablierte und als sicherheitsstiftend betrachtete Strukturen wie das transatlantische Bündnis sein können.

Diese Unsicherheit ist nicht nur ein Gefühl, sondern lässt sich auch messen. Ein wichtiges Instrument dafür ist der Geopolitical Risk Index (GPR), der die Intensität geopolitischer Spannungen anhand der Häufigkeit von Begriffen in internationalen Zeitungen analysiert. Seit Beginn des Ukrainekriegs ist der Index deutlich angestiegen und zeigt mit jeder neuen Eskalation weitere Ausschläge.

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Abbildung 1: Geopolitische Risiken sind in den vergangenen Jahren erneut angestiegen.1

Geopolitische Risiken sind kein abstraktes Phänomen, sondern wirken ganz konkret: Sie stören Handelsflüsse, destabilisieren Lieferketten und beeinflussen Nachfrage, Preise und Kapitalströme – mit teils drastischen Folgen für ganze Branchen.

Für Banken und Finanzinstitute bedeutet das: Geopolitik ist ein Risikofaktor, der aktiv gemanagt werden muss – ebenso wie Markt-, Kredit- und operationelle Risiken. Wer geopolitische Entwicklungen ausblendet, setzt dem eigenen Portfolio unnötige Unsicherheit aus und riskiert finanzielle Verluste. Dass diese Erkenntnis auch in den Führungsetagen angekommen ist, zeigt eine Analyse aus dem Jahr 2024: Geopolitische Risiken rangieren darin unter den zehn wichtigsten operationellen Risiken globaler Finanzinstitute. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat das Thema aufgegriffen und angekündigt, geopolitischen Risiken künftig mehr Aufmerksamkeit im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit zu widmen.2

Die Auswirkungen geopolitischer Risiken auf Banken sind vielfältig. So kann etwa eine erhöhte Marktvolatilität Vermögenswerte unter Druck setzen und die Kapitalrendite beeinträchtigen. Sanktionen gegen Länder oder Unternehmen können den Zugang zu Finanzmärkten einschränken, den Handel behindern und so finanzielle Verluste verursachen. Hinzu kann es in einem immer komplexeren geopolitischen Umfeld zu regulatorischen Änderungen kommen. Dies bringt für Finanzinstituteerhöhte Compliance-Kosten mit sich. Und nicht zuletzt können politische Instabilität und wirtschaftliche Sanktionen die Bonität von Kreditnehmern beeinträchtigen – mit steigenden Ausfallrisiken im Kreditportfolio.

Diese Beispiele machen deutlich: Geopolitische Risiken wirken oft indirekt, überlagern sich mit anderen Entwicklungen und führen nicht selten zu abrupten, schwer vorhersehbaren Veränderungen. Sie übertragen sich über verschiedene Transmissionskanäle und werden durch Rückkopplungen zwischen Realwirtschaft und Finanzmärkten zusätzlich verstärkt. Das folgende Schaubild aus einer Publikation der Europäischen Zentralbank (EZB) verdeutlicht diese Zusammenhänge anschaulich.

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Abbildung 2: Geopolitische Risiken wirken durch Transmissionskanäle auf die Finanzstabilität.3

Geopolitische Risiken und Parallelen zu ESG-Risiken

Wer sich mit ESG-Risiken beschäftigt hat, wird bei geopolitischen Risiken einige Ähnlichkeiten feststellen. Auch wenn sich die Auslöser unterscheiden, teilen beide Risikokategorien zentrale Eigenschaften, die das klassische Risikomanagement herausfordern. Drei Merkmale stechen besonders hervor:

1. Begrenzte Aussagekraft historischer Daten

Anders als bei klassischen Kredit- oder Marktrisiken sind historische Daten für ESG- und geopolitische Risiken nur eingeschränkt nutzbar – sofern sie überhaupt in ausreichender Qualität und Repräsentanz vorliegen. Die Dynamiken dieser Risiken speisen sich aus vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie und physikalischen Prozessen.

Im Klima- und Umweltbereich betrifft das neben physischen Risiken wie Extremwetterereignisse oder Meeresspiegelanstieg vor allem die sogenannten transitorischen Risiken, die durch regulatorische Veränderungen, technologische Umbrüche oder sich wandelnde Konsum- und Investorenpräferenzen getrieben werden und sich schwer prognostizieren lassen. 

Ganz ähnlich ist es bei geopolitischen Risiken: Auch hier dominieren soziale, politische und institutionelle Dynamiken. Machtkonstellationen und internationale Allianzen können sich abrupt verschieben. Aber auch die Bandbreite akzeptierter Positionen im politischen und öffentlichen Diskurs kann sich in kurzer Zeit dramatisch verschieben. Was gestern noch undenkbar war, ist heute Regierungsprogramm – und umgekehrt. Die Folge: Selbst, wenn sich geopolitische Spannungen in der Vergangenheit bereits in ähnlicher Form gezeigt haben, lassen sich weder Zeitpunkt noch Ausmaß künftiger Eskalationen verlässlich ableiten.

Für das Risikomanagement bedeutet das: Verlässliche Bewertungen auf Basis vergangener Daten stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Wie können belastbare Frühindikatoren – sogenannte Key Risk Indicators (KRI) – überhaupt aussehen? Zwar wiederholt sich Geschichte manchmal. Doch sie tut es selten mechanisch – und noch seltener mit Vorwarnung. 

2. „Deep Uncertainty“

Klassische Risiken sind durch Unsicherheit gekennzeichnet – etwa darüber, wann ein Ereignis mit welcher Stärke eintritt und mit welcher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist. Bei geopolitischen und ESG-Risiken geht diese Unsicherheit jedoch deutlich tiefer: Hier lassen sich weder Eintrittswahrscheinlichkeiten noch Auswirkungen verlässlich abschätzen. Beide Risikotypen sind geprägt von sogenannter tiefer Ungewissheit (deep uncertainty) – einem Zustand, in dem künftige Entwicklungen kaum oder gar nicht durch empirische Wahrscheinlichkeiten beschreibbar sind.

Diese Form der Ungewissheit ergibt sich daraus, dass zentrale Einflussfaktoren – wie politische Entscheidungen, gesellschaftliche Dynamiken oder technologische Umbrüche – nicht vorhersehbar sind. Ebenso wenig lässt sich antizipieren, wie Staaten, Märkte und Gesellschaften auf bestimmte Ereignisse reagieren werden. Es handelt sich um „Unknowables“, also fundamentale Unbekannte, die sich auch durch mehr Daten oder komplexere Modelle nicht auflösen lassen.

Für das Risikomanagement bedeutet das: Es braucht Ansätze, die Unsicherheit nicht verdrängen, sondern aktiv integrieren – etwa durch Szenarioanalysen, qualitative Bewertungen und die bewusste Arbeit mit Bandbreiten statt Punktprognosen.

3. Nichtlinearität

Ein weiteres gemeinsames Merkmal: Sowohl ESG- als auch geopolitische Risiken folgen oft keinen linearen Mustern. Entwicklungen verlaufen nicht kontinuierlich und stetig, sondern können sich schlagartig beschleunigen oder kippen.

Im Klimabereich ist das bekannt – etwa durch sogenannte Kipppunkte im Erdsystem, bei deren Überschreiten irreversible Veränderungen eintreten können (z. B. Auftauen von Permafrostböden oder der Zusammenbruch von Ökosystemen). Ähnlich wirken transitorische Risiken: Ein vermeintlich stabiler regulatorischer Rahmen kann sich nach einer Wahl oder einem gesellschaftlichen Stimmungsumschwung sprunghaft verändern – mit erheblichen Auswirkungen auf Geschäftsmodelle und Kapitalströme.

Auch geopolitische Risiken verhalten sich hochgradig nichtlinear: Eskalationen entstehen oft nicht als Folge einer schrittweisen Verschärfung, sondern durch plötzliche Auslöser – ein Militärputsch, ein Regierungswechsel, ein externer Schock. Was lange als „eingefrorener Konflikt“ galt, kann binnen Stunden zur globalen Krise werden.

ESG-Methoden weiterdenken – geopolitische Risiken aktiv managen

Geopolitische Risiken mögen herausfordernd sein. Doch aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten zwischen ESG- und geopolitischen Risiken lassen sich viele der bereits etablierten ESG-Instrumente und -Methoden sinnvoll erweitern und für das Management geopolitischer Risiken nutzen. Das sollte zuversichtlich stimmen: Institute müssen das Rad nicht neu erfinden – sie können vielmehr auf bestehenden Prozessen aufbauen und diese entsprechend anpassen. Besonders hervorzuheben sind dabei die Szenarioanalysen, aber auch Geschäftsumfeldanalysen und das Horizon Scanning – zentrale Instrumente, um geopolitische Risiken wirksam zu adressieren.

Szenarioanalysen als zentrales Instrument zur Bewertung Geopolitischer Risiken

Wie bei ESG-Risiken werden auch geopolitische Risiken als Treiber betrachtet, die sich auf die wesentlichen Risikoarten eines Instituts auswirken können. Wie oben bereits erwähnt wurde, sind Szenarioanalysen in beiden Fällen ein unverzichtbares and hilfreiches Tool, mögliche adverse Auswirkungen auf die Bank zu analysieren. Anders als bei ESG-Risiken gibt es für geopolitische Risiken jedoch keine klaren Leitlinien oder Rahmenwerke, die als Grundlage für Szenarien dienen (wie z.B. TCFD, NGFS für Klima- und Umwelt Risiken). Auch kann der Szenariopfad bei geopolitischen Risiken, im Gegensatz zu Klimarisiken, nicht auf physikalische Phänomene zurückgeführt werden, was die Bandbreite der Szenarien zusätzlich erweitert.

Deshalb ist es für die geopolitische Risikoanalyse besonders wichtig, zunächst klare Narrative und Storylines zu entwickeln. Dabei ist Mut gefragt: Es gilt, sich bewusst aus gewohnten Denkmustern zu lösen und auch Entwicklungen in Betracht zu ziehen, die aus heutiger Sicht abwegig oder beunruhigend erscheinen. Gerade weil geopolitische Risiken oft mit tiefen gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen verbunden sind, sollten die Szenarien schwerwiegende Verläufe abbilden und einen tatsächlichen „Worst Case“ skizzieren – auch wenn diese Narrative emotional herausfordernd sein können. Nur so entsteht ein realistischeres Verständnis möglicher Eskalationspfade und ihrer Auswirkungen auf Märkte, Geschäftsmodelle und Risikopositionen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt dabei ist: Szenarien sollten nicht nur wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen berücksichtigen, sondern auch soziale und politische Faktoren, die oft miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen. Dies könnte beispielsweise die Analyse von möglichen Veränderungen in politischen Regimen und deren Auswirkungen auf internationale Handelsbeziehungen und Marktstrukturen umfassen. Um ein umfassenderes und realistisches Bild möglicher Entwicklungen zu schaffen, ist es sinnvoll, :innen aus verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Politik und Sozialwissenschaften zusammenzubringen und interdisziplinäre Perspektiven zu entwickeln.

Nicht zuletzt ist es wichtig, langfristige Trends und Entwicklungen in die Szenarioanalyse einzubeziehen. Geopolitische Risiken können sich über Jahrzehnten hinweg manifestieren und im Laufe der Zeit immer größere Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und einzelne Branchen haben. Daher sollten Finanzinstitute nicht nur kurzfristige Ereignisse, sondern auch langfristige Strategien und Maßnahmen in ihre Analysen integrieren.

Früherkennung geopolitischer Risiken durch Geschäftsumfeldanalyse und Horizon Scanning

Grundlage jeder fundierten Szenarioanalyse ist – wie bereits bei ESG-Risiken etabliert – eine umfassende Geschäftsumfeldanalyse. Ziel ist es, geopolitische Risiken und Phänomene entlang der Zeitachse systematisch zu identifizieren, die aus dem Umfeld des Finanzinstituts erwachsen könnten. Diese Analyse umfasst die strukturierte Beobachtung und Bewertung externer Faktoren wie politische Veränderungen infolge von Wahlen, die Stabilität einzelner Staaten oder internationaler Institutionen, das Verhältnis zwischen Staaten inklusive bestehender Allianzen und Konfliktlinien, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber auch technologische Entwicklungen und ökologische Veränderungen.

Gerade Letztere – etwa Klima- und Umweltveränderungen – sind dabei nicht nur eigenständige Risikofelder, sondern können auch als Treiber geopolitischer Instabilität wirken. Dürren, Ressourcenknappheit oder klimabedingte Migrationsbewegungen können politische Spannungen verschärfen oder bestehende Konflikte eskalieren lassen.

Die erwähnte Geschäftsumfeldanalyse wird in vielen Instituten üblicherweise einmal jährlich durchgeführt. Angesichts der zunehmenden Dynamik geopolitischer Entwicklungen kann dieser Turnus jedoch zu träge sein. Um auf relevante Veränderungen schneller reagieren zu können, empfiehlt sich die Einführung eines ergänzenden Horizon Scanning.

Diese Methode hat sich bereits im ESG-Kontext als wirkungsvoll erwiesen – und kann ebenso wertvoll zur frühzeitigen Erkennung geopolitischer Risiken beitragen. Ziel des Horizon Scanning ist es, potenziell relevante geopolitische Informationen in deutlich kürzeren Intervallen zu erfassen, systematisch auszuwerten und so frühzeitig Bedrohungen und Chancen zu erkennen. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich wiederum für die Entwicklung von Szenarien nutzen oder direkt in strategische Überlegungen einfließen.

Der Umfang eines Horizon-Scanning-Prozesses richtet sich nach Größe und Komplexität des jeweiligen Instituts – von manueller Informationsrecherche und Diskussionen in interdisziplinären Runden bis hin zu automatisierten Analysesystemen, die mithilfe künstlicher Intelligenz kontinuierlich relevante Datenströme erfassen und auswerten. Entscheidend ist in jedem Fall: Die gesammelten Informationen sollten regelmäßig in geeigneten Gremien diskutiert, bewertet und in konkrete Maßnahmen überführt werden.

Bestehende ESG-Verfahren zum Horizon Scanning lassen sich häufig ohne großen Aufwand um geopolitische Dimensionen erweitern – und bilden so einen logischen Baustein für ein integratives und zukunftsgerichtetes Risikomanagement.

Geopolitische Risiken – vorausschauende Integration ins Risikomanagement

Geopolitische Risiken gehören längst zu den prägenden Einflussfaktoren für Stabilität und Geschäftsentwicklung im Finanzsektor. Ihre Integration in das bestehende Risikomanagement ist daher keine Kür, sondern Pflicht. Die gute Nachricht: Banken müssen nicht bei null anfangen. Die Erfahrungen mit ESG-Risiken haben gezeigt, wie sich komplexe, schwer quantifizierbare Risiken strukturiert erfassen und steuern lassen.

Gerade in der Kombination aus Geschäftsumfeldanalyse, Horizon Scanning und narrativ entwickelten Szenarien liegt großes Potenzial. Wer diese Instrumente gezielt nutzt, kann geopolitische Risiken nicht nur besser verstehen, sondern auch aktiv in die Strategie einbinden – und damit nicht zuletzt die eigene Widerstandsfähigkeit stärken.

1 https://www.ecb.europa.eu/press/financial-stability-publications/macroprudential-bulletin/html/ecb.mpbu202504_01~6aa0c34852.en.html#toc3

2 https://www.bankingsupervision.europa.eu/framework/priorities/html/ssm.supervisory_priorities202412~6f69ad032f.de.html#toc4

3 https://www.ecb.europa.eu/press/financial-stability-publications/fsr/special/html/ecb.fsrart202405_01~4e4e30f01f.en.html

Weiterführende Links:

Laufende Updates zum Thema erhalten Sie über das regulatorische Horizon Scanning in unserer Recherche-Applikation PwC Plus. Lesen Sie hier mehr über die Möglichkeiten und Angebote.

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