Dekarbonisierung der Stahlproduktion: Zertifikate sind der Schlüssel für einen Wasserstoff-Leitmarkt

Aus unserer Blogreihe „Nachweisbar“

Kommissionspräsidentin von der Leyen präsentierte Anfang des Jahres erste Pläne zur Einführung von Leitmärkten, um die Stahlproduktion der EU zu dekarbonisieren. EU-Vorgaben sollen für eine verlässliche Nachfrage nach grünem Stahl sorgen. Die bisher vorwiegend verwendete Kohle soll durch regenerativ gewonnenen Wasserstoff ersetzt werden. Im Auftrag des Branchenverbands Hydrogen Europe hat PwC mögliche Modelle für Leitmärkte untersucht. Deutlich wird: Kaum ein Modell wird ohne Zertifikate auskommen. 

Grüner Wasserstoff als Schlüssel zur Dekarbonisierung

Die europäischen Ziele zur Erreichung der Klimaneutralität erfordern den Einsatz von Wasserstoff. Ein Grund hierfür ist, dass verschiedene industrielle Prozesse nicht elektrifizierbar sind. Dazu zählt u. a. die Herstellung von Stahl aus Eisenerz, die bisher in der Regel in Hochöfen unter Einsatz von Koks erfolgt. Der Brennstoff Kohle soll perspektivisch durch grünen Wasserstoff ersetzt werden, welcher u.a. in Elektrolyseuren mit Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird.

Wasserstoffprojekte kommen kaum voran

Die Wasserstoffwirtschaft steht allerdings vor einem Henne-Ei-Problem. Die Wasserstoffproduktion, der Bau von Wasserstoffnetzen sowie die Umstellung der Produktionsprozesse erfordern große Investitionen. Ohne große Abnehmer gibt es bisher keinen Anreiz für diese Investitionsentscheidungen. Die Abnehmerseite wiederum scheut ihrerseits Investitionen in wasserstofffähige Produktionsanlagen, weil es noch kein preiswertes und gesichertes Wasserstoffangebot gibt. 

Als Folge gibt es bisher nur wenige umgesetzte Wasserstoffvorhaben. Im Gegenteil: Immer mehr Unternehmen stellen geplante Projekte wegen der ungeklärten Wirtschaftlichkeit und der geringen Verfügbarkeit von Wasserstoff zurück. Im Sommer dieses Jahres stoppte der Stahlhersteller ArcelorMittal Pläne für eine Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff – trotz bereits zugesagter Fördergelder in Milliardenhöhe.  

Nachfrageseitige Impulse sollen Märkte öffnen

In der Politik setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich Wasserstoff als Energieträger nur dann durchsetzen wird, wenn eine entsprechende Nachfrage entsteht. Der europäische Emissionshandel bietet hierfür nur eine langfristige Lösung: Bis die Mehrkosten der Verwendung grünen Wasserstoffs durch Ersparnisse aufgrund eines verminderten CO2-Ausstoßes ausgeglichen werden, wird es noch dauern. Laut Prognosen werden die Kosten für Emissionszertifikate auf absehbare Zeit zu niedrig sein.  

Daher gibt es Überlegungen, durch regulatorische Eingriffe eine Nachfrage nach mit Wasserstoff hergestellten Produkten zu schaffen. Dabei sollen geeignete Industrien im Rahmen von sogenannten Leitmärkten vorangehen, damit später weitere Branchen folgen können. Aufgrund des hohen Energiebedarfs und der begrenzten Elektrifizierungsmöglichkeiten steht besonders die Stahlindustrie im Fokus.  

PwC untersucht Modelle für Leitmärkte 

PwC hat im Auftrag von Hydrogen Europe, dem Verband der europäischen Wasserstoffindustrie, verschiedene Modelle untersucht, um u.a. einen Leitmarkt für grünen Stahl zu begründen.  

Der Schwerpunkt lag dabei auf Ansätzen, die ohne öffentliche Subventionen oder steuerliche Erleichterungen auskommen. Grund war, dass derartige Fördermechanismen abhängig von der künftigen Haushaltslage sind und Investoren deswegen schwerlich die benötigte langfristige Planungssicherheit erhalten.  

PwC hat mehrere in Frage kommende Modelle untersucht und bewertet. Diese lassen sich in drei Kategorien einordnen: 

  • Einführung von Herkunftsnachweisen für die Grünstahleigenschaft  
    Die Erwerber der Herkunftsnachweise können damit werben, dass der Stahlanteil der von ihnen hergestellten Gebäude, Fahrzeuge oder Maschinen grün produziert wurde. Sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite bleibt die Verwendung von Grünstahl freiwillig. 
  • Quotenmodell, welches einen bestimmten Anteil von Grünstahl bei der Auslieferung von Stahl oder bei der Produktion von stahlhaltigen Endprodukten vorschreibt
    Die Quotenverpflichtung kann demnach entweder den Stahllieferanten oder den Herstellern stahlhaltiger Endprodukte auferlegt werden. Denkbar ist auch, dass ausschließlich die öffentliche Hand verpflichtet wird. Soweit Mitgliedstaaten oder die EU selbst Vorhaben mit einem Einsatz von Stahl durchführen oder fördern, müssen sie den Auftragnehmer verpflichten, Grünstahl einzusetzen. Bei Verletzung der Vorgaben kann dem Quotenverpflichteten eine Pönale auferlegt werden.
  • Ausschreibungen für Stahlhersteller, die bei einem Zuschlag die Mehrkosten der Grünstahlproduktion in Form eines Differenzvertrages (Contract for Difference) ersetzt bekommen
    Die Kosten würden durch eine umsatzbezogene Umlage von den Herstellern stahlhaltiger Produkte erhoben.  

Das zuletzt genannte Modell weist die Schwierigkeit auf, dass die EU möglicherweise keine fiskalische Kompetenz hat, eine einheitliche Umlage in allen Mitgliedsstaaten vorzuschreiben. Dies erschwert die Einführung eines gemeinsamen Mechanismus. 

Bessere Umsetzungschancen hat daher ein Quotenmodell, das mit einem freiwilligen Modell über Herkunftsnachweise kombiniert werden kann.  

Quotenzertifikate sind effizienter als eine physische Quote 

Ein Quotenmodell für Grünstahl kann praktisch nur in Verbindung mit Zertifikaten umgesetzt werden. Eine physische Quote für Grünstahl ist hingegen kaum wirtschaftlich realisierbar, weil der Produktionsprozess in einem Stahlwerk in der Regel nur vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Auch werden die Hersteller stahlhaltiger Produkte stark in der Auswahl ihrer Komponenten eingeschränkt, wenn sie die Quote mit entsprechenden Teilen grüner Stahlanbieter nachbilden müssen.  

Es erscheint auch nicht erforderlich, dass jeder Quotenverpflichtete selbst grünen Stahl herstellt bzw. sich diesen physisch beschafft. Entscheidend für den Erfolg des Leitmarkts ist lediglich, dass sich insgesamt eine ausreichende Gesamtnachfrage ergibt. Dies kann auch dadurch erreicht werden, dass die Quotenverpflichteten ausreichend Zertifikate nachweisen müssen, welche die Produktion entsprechender Grünstahlmengen belegen.  

Auch auf Produzentenseite ist die Verwendung von Zertifikaten effizient: Die Nutzung von Quotenzertifikaten erlaubt es denjenigen Stahlproduzenten, die die besten Ausgangsbedingungen für die Verwendung von Wasserstoff haben, sich auf die Produktion von Grünstahl zu konzentrieren. Weniger geeignete Stahlhersteller können ihre konventionelle Produktion hingegen zunächst fortführen.  

Zertifikate ermöglichen praktikable Umsetzung 

Beim Quotenmodell erhalten die Hersteller von Grünstahl Zertifikate von der registerführenden Stelle und können sie an die quotenverpflichteten Unternehmen, d.h. Stahllieferanten oder Hersteller stahlhaltiger Endprodukte, veräußern. Der Preis bildet sich hierfür am Markt. Es ist zu erwarten, dass sich der Preis für Quotenzertifikate an den Mehrkosten des Einsatzes von Wasserstoff orientiert. Praktisch gedeckelt wird der Preis durch die gesetzlich vorgesehene Pönale. Diese sollte deutlich über den erwarteten Mehrkosten der Produktion von Grünstahl liegen, um eine ausreichende Anreizwirkung zu entfalten. 

Damit sowohl die quotenverpflichteten Unternehmen als auch die Hersteller Planungssicherheit erhalten, können sie bereits vor Beginn der Umrüstung eines Stahlwerks auf Wassersstoff langfristige Verträge miteinander schließen. Daneben kann es einen Spothandel geben, um Abweichungen von geplanten Mengen auszugleichen.  

Zertifikate schützen Wettbewerbsfähigkeit im Welthandel  

Zertifikate können auch genutzt werden, um Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen im Welthandel und eine Verlagerung der Produktion ins Ausland (sog. Carbon Leakage) als Folge der Grünstahlquote zu verhindern. So können Exporteure von Stahl bzw. stahlhaltiger Produkte von der Pflicht zur Vorlage von Zertifikaten befreit werden. Gleichzeitig kann eine Quotenpflicht für den Import dieser Produkte in die EU vorgesehen werden. 

Dieses Ziel spricht dafür, die Pflicht zur Vorlage von Zertifikaten auf Ebene der Hersteller stahlhaltiger Endprodukte festzulegen. Der Export dieser Produkte kann dann von der Zertifikatepflicht befreit werden, während Importe analog zu EU-Produkten belastet werden. Würde die Quote hingegen auf Ebene der Stahllieferanten erhoben, wäre dies nicht möglich, obwohl die Endprodukthersteller die Mehrkosten des Grünstahls mittelbar tragen. Europäische Unternehmen wären damit im internationalen Wettbewerb schlechter gestellt.  

Quoten und Herkunftsnachweise kombinieren 

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob auch im Ausland produzierter Grünstahl Quotenzertifikate erhalten soll. Um den europäischen Wasserstoffhochlauf zu unterstützen, wäre dies politisch wenig wünschenswert. Allerdings verbieten die Vorgaben der Welthandelsorganisation WTO eine Benachteiligung ausländischer Produkte auf dem europäischen Markt. Gleichzeitig dürfen Fördermechanismen den Wettbewerb nicht zulasten ausländischer Anbieter verzerren.  

Eine mögliche Lösung ist die Trennung zwischen Quotenzertifikaten und Herkunftsnachweisen, die unterschiedliche Zwecke erfüllen: 

  • Quotenzertifikate würden ausschließlich für in der EU produzierten Grünstahl vergeben. Mit ihnen können Hersteller stahlhaltiger Endprodukte ihre Quote erfüllen.  
  • Herkunftsnachweise dienen der Vermarktung der Grünstahleigenschaft. Dieser Markt steht auch den Importeuren offen. EU-Stahlhersteller können ebenfalls teilnehmen, sofern für die betreffenden Mengen nicht bereits Quotenzertifikate vergeben wurden.  

Fazit 

Die Einführung eines Leitmarktes für Grünstahl stellt die europäische Politik vor eine komplexe Aufgabe, nicht zuletzt wegen der Gefahr von Carbon Leakage in einem globalen Wettbewerbsumfeld. Zertifikate bieten hier flexible Lösungsansätze. Sie ermöglichen ein Marktdesign, das sowohl den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft unterstützt als auch den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette gerecht wird. 

Für Fragen zu Ihren Wasserstoff-Vorhaben steht Ihnen unser interdisziplinäres Team gerne zur Verfügung. 

Weiterführende Links: 

Laufende Updates zum Thema erhalten Sie über das regulatorische Horizon Scanning in unserer Recherche-Applikation PwC Plus. Lesen Sie hier mehr über die Möglichkeiten und Angebote.

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Maria Halm

Maria Halm

Senior Managerin
Leipzig

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