Abkehr von russischen Energieimporten? Was der Ukraine-Russland Krieg für die deutsche Energiewirtschaft bedeutet
Als einer der weltweit größten Exporteure von Öl, Gas und Kohle, ist Russlands Einmarsch in die Ukraine zu einer ernsten Bedrohung für die Energiesicherheit Europas geworden.
Die Notwendigkeit, sich von russischen Energieimporten unabhängig zu machen, ist durch die Krise ins Bewusstsein der Importländer gerückt. Die starke Abhängigkeit wird insbesondere in Deutschland spürbar, das sich schon seit Jahrzehnten auf diese Lieferungen verlässt. Warum die Abkehr von russischen Importen jedoch auch einen Anreiz für Deutschland darstellt, die Energiewende stärker voranzutreiben, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Im Zuge der umfassenden Sanktionen gegen Russland kündigten verschiedene Energieversorgungsunternehmen ihren Rückzug aus Russland an. RWE wird keine neuen Lieferverträge mit russischen Vertragspartnern abschließen und hat beschlossen, mit sofortiger Wirkung alle nicht energiebezogenen Beziehungen zu russischen Vertragspartnern zu beenden. Währenddessen kehren ExxonMobil, BP und Shell den russischen Energieriesen endgültig den Rücken. Als die USA am 8. März ein Importverbot für russisches Öl und Gas verkündeten, zog das Vereinigte Königreich ebenfalls nach. Wirtschaftsminister Habeck hält ein Embargo von deutscher Seite aus jedoch unter den gegebenen Umständen für nicht vertretbar.
Deutschland ist abhängig von russischen fossilen Brennstoffen, die zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität und der Energiesicherheit benötigt werden: Etwa 55 % der deutschen Gasimporte kommen aus Russland, ebenso wie etwa 30 % des Öls. Während der Strompreis, der noch immer stark von den Preisen der fossilen Brennstoffe abhängt, in Deutschland in KW7 2022 bereits bei 95 € (Durchschnittspreis pro MWh) lag, stieg er infolge des Krieges in KW10 2022 auf 278 €. Im Vergleich zu KW10 im Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg von 694 %. Unternehmen und insbesondere energieintensive Industrien, sowie die Agrar- und Ernährungswirtschaft sehen sich mit höheren Produktionskosten konfrontiert, die sie im Vergleich zu Wettbewerbern aus Drittländern benachteiligen. Die Produktion wird entweder gedrosselt, auf Eis gelegt oder die Preise werden an den Kunden oder Endverbraucher weitergegeben.
Ein vollständiger Einfuhrstopp von Gasimporten aus Russland hätte nicht nur Auswirkungen auf die deutschen Gasimporteure und ihre Infrastruktur (d.h. Pipelines und Speicher), sondern auch auf die Anbieter und Händler. Investitionen in Pipelines können beeinträchtigt werden, und die Speicherkapazitäten werden durch die bevorstehenden regulierten Mindestspeicher Anforderungen in Mitleidenschaft gezogen. Nach einem Importstopp sind die Gasimporteure möglicherweise nicht mehr in der Lage, ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen und machen Force Majeure geltend. Dies wirkt sich dann auf die gesamte Wertschöpfungskette aus und kann dazu führen, dass die Regierungen den Markt und die Lieferung an die Verbraucher:innen regulieren müssen. Aktuellen Prognosen zufolge, könnte ein sofortiger Stopp der russischen Gaslieferungen das deutsche BIP um 0,1 bis 5,2 Prozentpunkte schrumpfen lassen und der deutschen Industrie erheblich schaden.
Um dem entgegenzuwirken, werden Maßnahmen diskutiert, welche die Energieversorgung diversifizieren, betroffene Industrien und Verbraucher:innen unterstützen und den Wechsel zu erneuerbaren Energien beschleunigen sollen. Im Zuge des EU-Aktionsplans „REPowerEU“ hat Deutschland eigene nationale Maßnahmen angekündigt, um den Energiemarkt zu regulieren und Risiken aufzufangen. Deutschland will bis zum Herbst unabhängig von russischer Kohle und bis zum Ende des Jahres nahezu unabhängig von Öl werden. Das Zertifizierungsverfahren für das Pipelineprojekt Nord Stream 2 wurde ausgesetzt und die Regierung kündigte an, die Kernkraftwerke vorerst am Netz zu lassen und die Stilllegung von Kohlekraftwerken zu verlangsamen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wobei der geplante Kohleausstieg 2030 beibehalten werden soll. Außerdem sind Mindestfüllstände für Gasspeicher und Preisobergrenzen für die Endkundenstrompreise geplant. Die Regierung will auch den Bau von LNG-Terminals unterstützen. Die vorherrschende Rolle des Heizens mit fossilen Brennstoffen wird durch das Regulierungspaket zur Senkung des Gasverbrauchs verdeutlicht, das ein Verbot von Gas- und Ölheizungen in Neubauten beinhalten könnte. Um die Abhängigkeit von Russland weiter zu verringern, plant Deutschland Erneuerbare zu fördern, indem es die Genehmigungsverfahren für neue Wind und Solar Standorte verkürzt und die Investitionen erhöht.
Diese Entwicklungen verdeutlichen die große Bedrohung, die von einem möglichen Energieversorgungsschock infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine ausgeht. Sie zeigen aber auch eine Chance auf, die Dekarbonisierungsagenda voranzutreiben und ein widerstandsfähiges und nachhaltiges Energieversorgungssystem in Deutschland aufzubauen.
In unserer Webcast-Reihe „Krisensicheres Handeln in schwierigen Zeiten – Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine“ vom 10. bis 29. März greifen unsere PwC Expert:innen immer dienstags und donnerstags zwischen 10 und 11 Uhr die Auswirkungen des Ukraine/Russland-Konflikts auf und beleuchten diese ausführlich. Wenn Sie mehr über unser interdisziplinäres Krisenmanagement für Ihr Unternehmen erfahren wollen, besuchen Sie unser PwC Joint Crisis Center.
Kontakt

Folker Trepte
Partner, Leiter Energiewirtschaft
München

Peter Mussaeus
Partner, Leiter Energierecht
Düsseldorf