Aktuelles BGH-Urteil bestätigt einseitige Änderung von Preisanpassungsklausel eines Fernwärmeversorgers
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 27. September 2023 – VIII ZR 249/22 eine wichtige Entscheidung zur Wirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Wärmelieferungsverträgen getroffen.
Er hat dabei die Anforderungen an das Kostenelement und das Marktelement solcher Klauseln konkretisiert und den insoweit bestehenden Gestaltungsspielraum des Fernwärmeversorgers abgesteckt. Aktuelle Entwicklungen zeigen aber, dass zu diesem Thema so schnell keine Ruhe einkehren wird.
Das Urteil des BGH ist für alle Fernwärmeversorger von Bedeutung. In diesem Blogbeitrag werden die wesentlichen Aussagen und Folgen des Urteils für die Praxis dargestellt und erläutert.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung, für die sie von der Beklagten Fernwärme bezieht. Die Parteien hatten im Jahr 2013 einen Wärmelieferungsvertrag geschlossen, der eine – wie sich zwischenzeitlich herausstellte – unwirksame Preisänderungsklausel enthielt. Im Jahr 2019 hat die Beklagte diese Preisänderungsklausel einseitig geändert und den Kunden mitgeteilt, dass ab Mai 2019 ein neuer Arbeitspreis gelten soll, der sich aus einer in der neuen Klausel wiedergegebenen Berechnungsformel ergibt. Der Arbeitspreis ist ein wesentlicher Teil des insgesamt vom Kunden zu zahlenden Wärmepreises. Die Berechnungsformel knüpft zum einen an den Wärmepreisindex des Statistischen Bundesamtes an (sog. Marktelement) und zum anderen an den Einkaufspreis der Beklagten, zu dem diese die Fernwärme von einem anderen Versorger bezieht (sog. Kostenelement). Die Berechnungsformel gewichtet das Markt- und das Kostenelement jeweils hälftig und stellt dabei auf das Jahr 2018 ab, also das Vorjahr der Einführung der neuen Preisanpassungsklausel. Als Ausgangspreis (d.h. als Basis, von der aus die Preisanpassung erfolgt) legt die Formel den Arbeitspreis aus dem Jahr 2015 zugrunde. Die Beklagte hat die neue Preisanpassungsklausel öffentlich bekannt gemacht.
Die Klägerin hat die verlangten Entgelte zunächst gezahlt. In der Folge hat sie dann aber Klage auf Rückzahlung angeblich überzahlter Entgelte erhoben und daneben die gerichtliche Feststellung begehrt, dass beide Preisanpassungsklauseln – die neue Klausel aus dem Jahr 2019 und die vorher geltende Fassung – unwirksam seien. Vor dem Amtsgericht Schöneberg und dem Landgericht Berlin hatte sie mit ihrer Klage teilweise Erfolg. Mit seinem Urteil vom 27.9.2023 hat der BGH diese Urteile dann aber weitestgehend kassiert und ganz überwiegend dem beklagten Fernwärmeversorger Recht gegeben. Bestehen blieb lediglich die Feststellung, dass die ursprüngliche, vor dem Jahr 2019 verwendete Preisanpassungsklausel unwirksam war.
Allgemeine Anforderungen an Preisanpassungsklauseln
Der BGH hat in seinem Urteil vom 27. September 2023 die allgemeinen Anforderungen an Preisanpassungsklauseln in Wärmelieferungsverträgen nach § 24 Abs. 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) konkretisiert. Danach kommt dem Fernwärmeversorger ein eigener Gestaltungsspielraum zu, der jedoch durch die Gebote der Kosten- und Marktorientierung und der Transparenz begrenzt wird.
Preisanpassungsklauseln müssen nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV ein Kostenelement und ein Marktelement enthalten und beide Elemente angemessen berücksichtigen. Beide Elemente haben, wie der BGH formuliert, an sich den gleichen Rang, weshalb Abstufungen nur im Rahmen der Angemessenheit zulässig sind.
Das Kostenelement soll die Kostenentwicklung bei der Erzeugung und Bereitstellung von Fernwärme durch das Unternehmen widerspiegeln. Dafür muss ein Indikator gewählt werden, der an die tatsächliche Kostenentwicklung des bei der Wärmeerzeugung überwiegend eingesetzten Energieträgers anknüpft. Bei einem Fernwärmeversorger, der die Fernwärme "fertig" von einem anderen Unternehmen bezieht, sind die Kosten für den Einkauf der Fernwärme maßgeblich. Das Marktelement soll die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt abbilden. Dafür darf auf den Wärmepreisindex des Statistischen Bundesamtes abgestellt werden, der neben Fernwärme auch die Energieträger Gas und Öl berücksichtigt und damit den Wärmemarkt insgesamt abdeckt.
Eine Preisanpassungsklausel soll dabei im Regelfall für das Kosten- und das Marktelement möglichst aktuelle Referenzjahre zugrunde legen. Im entschiedenen Fall wurde das Jahr 2018 verwendet, also das der Einführung der neuen Klausel zum 1.5.2019 unmittelbar vorangehende Jahr. Das hat der BGH gebilligt, obwohl damit bereits unmittelbar ab dem Geltungszeitpunkt der neuen Klausel eine Preisanpassung ermöglicht wurde. Zur Rechtfertigung hat der BGH u.a. ausgeführt, der Fernwärmeversorger habe nicht wissen können, ob diese Gestaltung zu einer Preiserhöhung oder zu einer Preissenkung führen werde. Das gibt Anlass zu dem Hinweis, dass dies im Einzelfall anders sein kann, so etwa bei Einführung einer neuen Preisanpassungsklausel gegen Ende eines Kalenderjahres.
Preisanpassungsklauseln müssen zudem transparent sein, das heißt, die maßgeblichen Berechnungsfaktoren vollständig und in allgemein verständlicher Form ausweisen (§ 24 Abs. 4 S. 2 AVBFernwärmeV). Der Kunde muss den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerungen aus der Formulierung der Klausel erkennen und ihre Berechtigung prüfen können. Diese Voraussetzungen waren im entschiedenen Fall aus Sicht des BGH erfüllt.
Ersetzung unwirksamer Preisanpassungsklauseln
Im Einklang mit früheren Urteilen hat der BGH in seinem Urteil vom 27.9.2023 entschieden, dass ein Fernwärmeversorger eine unwirksame Preisanpassungsklausel in einem laufenden Vertrag gemäß § 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV einseitig durch eine neue, wirksame Preisanpassungsklausel ersetzen darf.
Anzumerken ist, dass der Verordnungsgeber die Vorschrift im Jahr 2021 auf Intervention eines Verbraucherverbandes um einen weiteren Satz ergänzt hat. Danach darf eine Änderung einer Preisänderungsklausel nicht einseitig durch öffentliche Bekanntgabe erfolgen (§ 24 Abs. 4 Satz 4 AVBFernwärmeV n.F.). Ob dieser neue Satz 4 auch das Ersetzen einer unwirksamen durch eine wirksame Preisanpassungsklausel verbietet, musste der BGH nicht entscheiden, weil die Änderung im entschiedenen Fall im Jahr 2019 erfolgte und damit vor Geltungsbeginn der neuen Verordnungsfassung. Unabhängig davon bleibt das Urteil vom 27.9.2023 jedenfalls maßgeblich für Preisanpassungsklauseln, die unter der früheren Verordnungsfassung durch einseitige Erklärung eingeführt worden sind.
Ein wesentlicher Streitpunkt des entschiedenen Falles war der in der Berechnungsformel zugrunde gelegte Ausgangspreis. Dieser Ausgangspreis ist ein Preis, der in der Preisanpassungsklausel angegeben wird und der im Normalfall (wenn also nicht eine neue Klausel einseitig eingeführt wird) vertraglich vereinbart wird. Nach der Berechnungsformel ergibt sich der maßgebliche Arbeitspreis durch Multiplikation des Ausgangspreises mit einem Faktor, der sich aus dem Markt- und dem Kostenelement ergibt. Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Fernwärmeversorger als Ausgangspreis den Arbeitspreis des Jahres 2015 zugrunde gelegt. Er hatte damit auf ein Kalenderjahr abgestellt, das bei Einführung der neuen Klausel (2019) bereits mehrere Jahre zurücklag und zudem von dem Jahr abwich, das für das Kosten- und das Marktelement maßgeblich war (2018). Mit diesem Auseinanderfallen der Bezugsjahre für verschiedene Größen hatte das Landgericht Berlin als Vorinstanz die Unwirksamkeit der neuen Preisanpassungsklausel aus dem Jahr 2019 maßgeblich begründet.
Der BGH folgte dem nicht. Er war zwar ebenfalls der Ansicht, dass der Versorger im Grundsatz einen aktuellen Ausgangspreis zugrunde legen muss, wenn er eine Preisanpassungsklausel einseitig neu einführt (anders als beim Abschluss eines neuen Vertrags, in dem der Ausgangspreis einvernehmlich festgelegt wird). Im entschiedenen Fall kam er jedoch aufgrund der von ihm in früheren Urteilen entwickelten sog. Dreijahreslösung zu einem anderen Ergebnis. Grob zusammengefasst, besagt die Dreijahreslösung, dass der Kunde Preiserhöhungen innerhalb von drei Jahren widersprechen muss, um später ihre Unwirksamkeit geltend machen zu können. Die Dreijahresfrist beginnt mit dem Zugang der ersten Jahresabrechnung, in der die Erhöhung berücksichtigt wird. Widerspricht der Kunde nicht rechtzeitig, gilt der aus der Erhöhung resultierende Preis als wirksam vereinbart, auch wenn die Preisanpassungsklausel an sich unwirksam war.
Im entschiedenen Fall war die Mehrzahl der Kundenwidersprüche gegen die frühere, unwirksame Preisanpassungsklausel im Jahr 2019 erfolgt, so dass die Kunden nur noch Jahresabrechnungen beanstanden konnten, die ihnen ab 2016 zugegangen waren. Deshalb war für viele Kunden der Arbeitspreis aus dem Jahr 2015 maßgeblich, und zwar – und das ist der entscheidende Punkt – auch weiterhin für die Folgejahre bis zur Einführung der neuen Preisanpassungsklausel. Bei genauerem Hinsehen hatte der Fernwärmeversorger mithin gar keinen „alten“ Ausgangspreis festgelegt, sondern einen Arbeitspreis, der im Jahr 2018 (dem Referenzjahr für das Kosten- und das Marktelement der Preisanpassungsklausel) für viele Kunden immer noch maßgeblich war.
Zudem erkannte der BGH an, dass der Versorger in einem Massengeschäft wie der Fernwärme ein berechtigtes Interesse daran hat, typisierende Regelungen zu treffen, anstatt für alle Kunden individuelle Anpassungsmodalitäten zugrunde zu legen. Insgesamt attestierte der BGH dem Fernwärmeversorger daher mit Recht, dass er seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat, weil er sachliche Gründe dafür hatte, den Arbeitspreis 2015 als Ausgangspreis der neuen Preisanpassungsklausel zu verwenden.
Die neue Preisanpassungsklausel genügte auch dem Transparenzgebot, da die Art und Weise der Berechnung und der Anpassung des Arbeitspreises für den Kunden aus sich heraus hinreichend klar und verständlich war und die maßgeblichen Indizes zur Berechnung der Preisänderung allgemein zugänglich und mit einer Fundstelle im Internet versehen waren.
Fazit und Ausblick
Mit seinem Urteil vom 27. September 2023 – VIII ZR 249/22 hat der BGH klargestellt, dass Fernwärmeversorger einen eigenen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung von Preisanpassungsklauseln haben, sofern sie die Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV beachten. Gleichzeitig hat der BGH die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums, die sich aus den Geboten der Kosten- und Marktorientierung und der Transparenz ergeben, näher umrissen.
Ungeachtet dieser Klarstellungen sind und bleiben Preisanpassungen – und das gilt für Energielieferungsverträge ebenso wie für andere Bereiche wie z.B. die Bankentgelte – ein häufiger Streitpunkt zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Das Energierecht hat hier eine Vorreiterfunktion. So wird z.B. im Bankrecht gerade diskutiert, ob die o.g. Dreijahreslösung auch für die Rückforderung von Bankentgelten gilt (dafür z.B. AG Steinfurt, Urteil vom 4.5.2022 – 21 C 825/21, AG Weimar, Urteil vom 09.06.2022 – 10 C 477/21, AG Hamburg, Urteil vom 14.10.2022 – 12 C 30/22; dagegen etwa LG Trier, Urteil vom 17.6.2022 – 32 C 286/21).
Mit Spannung wird hierzu die Entscheidung des KG Berlin in einem Musterverfahren erwartet (Az: 26 MK 1/21 – s. dazu die öffentliche Bekanntmachung). Hier zeigt sich einmal mehr der Trend, dass Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Verbrauchern zunehmend über Mechanismen des kollektiven Rechtsschutzes ausgetragen werden. Dieser Trend wird sich durch das im Oktober 2023 in Kraft getretene Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) weiter verstärken. Auch Energieversorger müssen damit rechnen, von Verbraucherverbänden mit sog. Abhilfeklagen nach diesem Gesetz in Anspruch genommen zu werden, d.h. mit Verbandsklagen, die auf Leistung (insb. Geldzahlung) an eine Vielzahl von Verbrauchern gerichtet sind. Hierüber haben wir in weiteren Blogbeiträgen mit Blick auf die nationale Umsetzung und grenzüberschreitende Sachverhalte berichtet.
Dankenswerterweise hat der BGH in seinem Urteil vom 27. September 2023 noch einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt aufgegriffen und herausgestellt: das legitime Interesse der Fernwärmeversorger an einer einheitlichen und typisierenden Ausgestaltung der Vertragsbedingungen. In einem Massengeschäft wie der Fernwärme ist der Bearbeitungsaufwand ein wesentlicher Kostenfaktor, der nicht aus dem Blick geraten darf. Das gilt auch bei der Bearbeitung streitiger Verfahren, selbst wenn sie – wie hier – zugunsten des Fernwärmeversorgers ausgehen. Der Bearbeitungsaufwand in solchen Massenverfahren lässt sich durch zeitgemäße Legal Tech-Anwendungen reduzieren. Mit ihnen ist es möglich, eingehende Schreiben und Schriftsätze zu analysieren und automatisch passende Antworten zu generieren, so dass streitige Auseinandersetzungen schnell und effizient abgearbeitet werden können. Gleichzeitig können automatisch generierte Übersichten helfen, jederzeit den Gesamtüberblick über den Stand der Bearbeitung derartiger Massenverfahren zu behalten.
Dass trotz des aktuellen Urteils des BGH keine Ruhe im Hinblick auf die Ausgestaltung von Preisanpassungsklauseln in der Wärmeversorgung sowie deren Anwendung kommt, verdeutlicht zum einen die aktuelle Pressemitteilung des Bundeskartellamts, wonach dieses die Preisanpassungsklauseln von sechs Stadtwerken und Fernwärmeversorgern wegen des Verdachts auf missbräuchlich überhöhte Preissteigerungen überprüft. Zum anderen hat aktuell der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. nach seiner Pressemitteilung zwei Verbandsklagen gegen E.ON und Hansewerk Natur wegen der Preiserhöhungen nach dem Jahr 2020 erhoben. Es ist davon auszugehen, dass es hierbei nicht bleiben wird. Insofern ist jedem Fernwärmeversorger anzuraten, seine Preisanpassungsklauseln und deren Anwendung gerade in den letzten Jahren zu hinterfragen.
Bei Fragen zum Inhalt und möglichen Auswirkungen stehen Dr. Christoph Weber und die Praxisgruppe Litigation and Arbitration sowie die Praxisgruppe Energie- und Klimarecht von PwC Legal jederzeit gerne zur Verfügung.
Ansprechpartner: Dr. Christoph Weber
Kontakt
Peter Mussaeus
Partner, Leiter Energierecht
Düsseldorf