Vom Emissionsausgleich zum Marktmacher: Wie Banken und Versicherungen den Carbon Market prägen
Aus unserer Blogreihe „Net-Zero-Transitionspläne“
Wie setzen Banken und Versicherungsunternehmen Carbon Credits ein, um ihre Klimaziele zu erreichen und wie können Finanzinstitute den freiwilligen Kohlenstoffmarkt aktiv mitgestalten?
Carbon Credits und Klimaziele
Viele Banken und Versicherungsunternehmen haben sich ambitionierte Netto-Null- und Klimaneutralitätsziele gesetzt oder arbeiten aktuell an konkreten Transitionsplänen. Dabei geht es vor allem um die aktive, nachhaltige Reduktion der Treibhausgasemissionen – entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Im Fokus stehen dabei drei zentrale Hebel: die Reduzierung der eigenen betrieblichen Emissionen, die Verringerung der finanzierten Emissionen aus der Kapitalanlage bzw. im Finanzierungsportfolio und im Falle der Versicherungsunternehmen auch die Reduzierung der Emissionen aus dem Underwriting.
Doch trotz aller Bemühungen bleiben bestimmte Emissionen unvermeidbar – sei es für Emissionen, die im Rahmen von Investments bzw. Finanzierungen entstehen oder wenn der eigene Geschäftsbetrieb nicht so schnell vollständig klimaneutral gestaltet werden kann. Hier gewinnen Carbon Credits und der freiwillige Kohlenstoffmarkt (Voluntary Carbon Market, kurz VCM) zunehmend an Bedeutung.
Durch den gezielten Einsatz von Carbon Credits können Banken und Versicherer diese unvermeidbaren Emissionen ausgleichen, indem sie Emissionsminderungen oder CO₂-Entfernungen aus anerkannten Klimaschutzprojekten finanzieren. Diese handelbaren Zertifikate ergänzen somit die eigenen Reduktionsmaßnahmen und helfen, die eigenen Klimaziele glaubwürdig zu erreichen.
Die doppelte Rolle von Banken und Versicherungen im VCM
Banken und Versicherer agieren dabei zweifach: Zum einen nutzen sie Carbon Credits klassisch, um ihre eigenen unvermeidbaren Emissionen auszugleichen. Zum anderen spielen sie als Kapitalgeber, Risikoträger und Dienstleister eine entscheidende Rolle dabei, den freiwilligen Kohlenstoffmarkt stabil und vertrauenswürdig zu gestalten. Banken können etwa die Entwicklung von Klimaschutzprojekten finanzieren und fördern mit innovativen Finanzierungsmodellen deren Marktentwicklung, während spezialisierte Versicherungsprodukte zum Beispiel helfen, Risiken abzudecken, die mit Klimaschutzprojekten verbunden sind – etwa Schäden durch Extremwetterereignisse, politische Instabilität oder Betrugsfälle. Gemeinsam schaffen sie so die Sicherheitsbasis, die Carbon Credit Investments für Unternehmen und weitere Investoren attraktiv macht und langfristig absichert.
Einblick in den freiwilligen Kohlenstoffmarkt: Dynamik, Projektlandschaft und Qualitätsstandards
Der freiwillige Kohlenstoffmarkt wächst dynamisch – nicht zuletzt, weil immer mehr Unternehmen ambitionierte Netto-Null-Ziele verfolgen. Eine aktuelle Umfrage unter 187 Mitgliedsunternehmen der International Emissions Trading Association (IETA) zeigt, dass 37 Prozent der Nachfrage nach Carbon Credits direkt auf Net-Zero-Verpflichtungen zurückzuführen sind. Neben der steigenden Nachfrage nach hochwertigen Removal Credits, die CO₂ langfristig binden, sind ein wichtiger Entwicklungstreiber die veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen.
Seit 2021 wird auf dem internationalen Kohlenstoffmarkt der strengere Paris Agreement Crediting Mechanismus angewendet, der das frühere Kyoto-Protokoll ablöst. Wesentlich ist, dass Emissionsreduktionen über Carbon Credits nur dann für Klimaneutralitäts-Claims genutzt werden dürfen, wenn eine ausdrückliche Ausschlussregelung für Doppelzählungen („double counting“) besteht. Dies stärkt die Glaubwürdigkeit und Integrität des Marktes.
Carbon Credits werden vor allem in zwei Sektoren ausgestellt: Forstwirtschaft und Landnutzung machen rund 38 Prozent aus, gefolgt von erneuerbaren Energien mit über 32 Prozent (siehe Abbildung 2). Interessant ist die geographische Verteilung: Fast 60 Prozent aller Projekte stammen aus dem asiatisch-pazifischen Raum, gefolgt von Nordamerika (13%) und dem Mittleren Osten (13%), während Europa bisher kaum vertreten ist (siehe Abbildung 3).
Regulatorische Vorgaben und Qualitätskriterien für Carbon Credits
Die Entstehung eines Carbon Credits ist außerdem streng reguliert und durchläuft mehrere Schritte: Von der Auswahl und Validierung eines geeigneten Projekts über dessen Registrierung bei etablierten Standards wie dem führenden Akteur Verra oder dem Gold Standard, bis hin zur unabhängigen Zertifizierung der tatsächlich eingesparten Emissionen durch externe Prüfer. Erst nach erfolgreicher Verifikation werden die Credits ausgegeben und können gehandelt werden.
Laut dem Umweltbundesamt und der Universität Oxford müssen Carbon Credits klaren Qualitätskriterien entsprechen: Sie müssen eine echte, nachvollziehbare Emissionsreduzierung darstellen und dürfen nicht doppelt angerechnet werden. Außerdem muss ihre Wirkung dauerhaft sein, damit keine versteckten Emissionen an anderer Stelle entstehen.
Der Verified Carbon Standard (VCS) von Verra stellt den weltweit am häufigsten genutzten Rahmen dar und fokussiert primär auf Avoidance-Credits. Der Gold Standard hingegen hat sich auf „High-Quality“-Projekte spezialisiert, die über reine Emissionsminderungen hinaus auch soziale und nachhaltige Entwicklungsziele fördern – REDD+-Projekte mit Fokus auf Waldschutz sind hier beispielsweise seit langem ausgeschlossen, da die langfristige Wirkung der Kompensation von Abholzung bedroht ist und REDD+-Projekte gleichzeitig häufig mit komplexen Landnutzungsrechten indigener Völker verbunden sind. Solche umweltbezogenen und soziopolitischen Risiken lassen bereits erahnen, welche Einflussfaktoren auf Carbon Credits wirken können und warum gerade der Versicherungsmarkt dazu beitragen kann, solche Risiken abzufedern.
Diese Vielfalt an Projekten, Regionen und Standards macht den freiwilligen Kohlenstoffmarkt zwar komplex, bietet aber auch eine breite Palette an Chancen für Versicherer, hochwertige Klimaschutzprojekte für die eigene Klimastrategie zu nutzen und gleichzeitig mit spezialisierten Produkten einen wachsenden Markt zu unterstützen.
Einsatz von Carbon Credits in der Klimastrategie von Banken und Versicherungen
Regulatorisch wird der Umgang mit CO₂-Gutschriften auch für Finanzinstitute zunehmend konkret. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) stellt klare Anforderungen an die Nutzung und Offenlegung von Carbon Credits: Sofern wesentlich, müssen Unternehmen detailliert über Art, Umfang und Qualität dieser Instrumente berichten – einschließlich Projektstandort, Validierungsverfahren, und Emissionsreduktionen über die gesamte Wertschöpfungskette. Außerdem dürfen für die Erreichung der eigenen Net-Zero Ziele nur die verbliebenen 5 bis 10 Prozent Restemissionen kompensiert werden.
Der Fokus der Science-Based Targets Initiative (SBTi) liegt ebenfalls klar auf den unvermeidbaren Restemissionen. Die SBTi setzt voraus, dass Unternehmen zunächst ambitionierte Reduktionsziele entlang der gesamten Wertschöpfungskette verfolgen – von kurzfristigen Zielen über 5–10 Jahre bis hin zu langfristigen Ambitionen mit Netto-Null bis 2050. Carbon Credits sollen nur für die Emissionen eingesetzt werden, die trotz dieser Maßnahmen verbleiben.
Zunehmend diskutiert wird zudem der „Financial Contribution Claim“ als realistischere und transparentere Alternative zu klassischen Kompensationsansprüchen. Statt Emissionen komplett zu neutralisieren, signalisiert ein Contribution Claim, dass ein Unternehmen finanzielle Mittel für externe Klimaschutzprojekte bereitstellt – als Ergänzung und Unterstützung des eigenen CO₂-Reduktionswegs. Dieses Modell vermeidet viele der Kritikpunkte klassischer Offsetting-Strategien, wie Doppelzählung oder unklare „Neutralisierung“, und nimmt das Risiko von Greenwashing ernst.
Gerade im Hinblick auf kritische Stimmen, die wiederholt auf Probleme wie die Überschätzung von Emissionsreduktionen, mangelnde Transparenz oder fehlende Rechenschaftspflicht hinweisen, ist es entscheidend, die Kommunikation rund um den Einsatz von Carbon Credits klar und nachvollziehbar zu gestalten.
Versicherungen als Risikoträger von Carbon Credits
Versicherungsunternehmen nehmen im freiwilligen Kohlenstoffmarkt deshalb eine Schlüsselstellung ein, die weit über die reine Nutzung von Carbon Credits zur Kompensation unvermeidbarer Emissionen hinausgeht. Neben der Rolle als Käufer von Zertifikaten sind Versicherer auch essenzielle Risikoträger, die durch ihre Produkte das Vertrauen von Investoren in den Carbon Credit Markt maßgeblich stärken.
Die freiwilligen Kohlenstoffmärkte sind geprägt von vielfältigen Risiken – von Naturkatastrophen (z.B. durch Feuer, Sturm) über politische Instabilitäten bis hin zu Betrugs- und Reputationsrisiken –, die den Erfolg von Klimaschutzprojekten und den Wert der daraus resultierenden Credits erheblich beeinträchtigen können.
Diese Unsicherheiten stellen eine erhebliche Hürde für Investoren, Projektentwickler und Käufer dar, insbesondere angesichts der noch unzureichenden Integration von Carbon Credits in die traditionellen Finanzmärkte und der häufig fehlenden Anerkennung als kreditwürdige Vermögenswerte.
Innovative Versicherungsprodukte als Stabilisator im VCM
Versicherungen bieten hier eine dringend benötigte Risikodeckung, die nicht nur finanzielle Verluste bei Ausfällen oder Nichterfüllung von Projekten abfedert, sondern auch Investitions- und Kreditrisiken erheblich mindert. Beispielsweise können Versicherungslösungen Ausfälle infolge von Naturereignissen, Unterperformance, politischer Eingriffe oder Betrugsfällen abdecken und so die Zuverlässigkeit und Planbarkeit von Carbon Credit Investments verbessern.
Innovative Versicherungsprodukte gehen dabei weit über einfache Schadensersatzleistungen hinaus und umfassen beispielsweise Partnerschaften zwischen Versicherern, Umweltorganisationen und Regulierungsbehörden sowie den Einsatz von Blockchain-Technologien zur verbesserten Transparenz und Betrugsprävention. Ein praktisches Beispiel ist die Kooperation von Swiss Re mit dem Start-up goodcarbon, die eine Versicherung für die langfristige Sicherstellung von Carbon Credits aus Aufforstungsprojekte aufbaut, welche im Schadensfall gleichwertige Ersatzkredite bereitstellt. Das stärkt insbesondere Projekte aus Aufforstung und Waldschutz, in denen das Risiko von Schäden durch Extremwetterereignisse oder anderen Einflüssen hoch ist und gleichzeitig ein Beitrag zu stabilen Lieferketten von qualitativ hochwertigen Credits geleistet wird.
Banken als Finanzierer, Marktfazilitatoren und Marktteilnehmer
Parallel dazu agieren Banken als wichtige Finanzierer und Marktfazilitatoren im VCM. Sie stellen die notwendige Kapitalbasis bereit, um Klimaschutzprojekte zu entwickeln und zu skalieren – über klassische Kredite, Beteiligungen und zunehmend durch innovative Blended Finance-Modelle, die öffentliche, philanthropische und private Mittel bündeln. Darüber hinaus verbinden Banken als Intermediäre Projektentwickler mit Käufern und erhöhen die Marktliquidität. Ihre aktive Teilnahme am Handel mit Carbon Credits stärkt den Markt, signalisiert Vertrauen in seine Tragfähigkeit und motiviert weitere Investoren sowie Unternehmen zum Engagement.
Andererseits zeigen Untersuchungen, wie die aktuelle Analyse des Columbia Center on Sustainable Investment (CCSI) im Auftrag von Carbon Market Watch, dass Banken trotz öffentlicher Bekundungen zur Unterstützung des VCM zurückhaltend agieren und ihr tatsächliches Engagement hinter dem Potenzial zurückbleibt. Die Zurückhaltung der Banken ist vielfach durch Risiken begründet: Probleme in Projekten wie Überbewertungen von Emissionsminderungen, Menschenrechtsverletzungen, fehlende Umweltwirkung sowie Vorwürfe von Greenwashing erzeugen Reputationsängste. Hinzu kommen Unsicherheiten durch komplexe Verifizierungsprozesse sowie steigende regulatorische und rechtliche Risiken im Zusammenhang mit irreführenden Klimaangaben. In der Folge investieren Banken vor allem in die Handelsinfrastruktur des VCM, etwa in Börsen oder Plattformen, statt direkt die Qualität von Projekten zu finanzieren.
Zurückhaltung weicht Innovation
Zuletzt deutete sich aber ein Wandel innerhalb des Bankensektors hin zu innovativen Finanzierungsmodellen an: So gelang JPMorgan Chase ein wegweisender Abschluss eines 210-Millionen-Dollar-Darlehens für Chestnut Carbon, eine US-basierte Aufforstungsfirma. Dieses sogenannte Carbon Loan nutzt zukünftige Einnahmen aus verifizierten Carbon Credits als Sicherheit und stellt damit eine der größten nicht rückzahlbaren Projektfinanzierungen im VCM dar. Microsoft unterstützte die Transaktion durch die verbindliche Abnahme eines großen Teils der erzeugten hochwertigen Carbon Removal Credits, was das Risiko für JPMorgan maßgeblich senkte und das Modell replizierbar macht.
Es gibt durchaus Signale, dass der VCM zunehmend ins Zentrum der Finanzwelt rückt. Laut einer Studie von MSCI wird der VCM, der 2024 auf etwa 1,4 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde, voraussichtlich bis 2030 auf 7 bis 35 Milliarden US-Dollar und bis 2050 sogar auf 45 bis 250 Milliarden US-Dollar wachsen.
Synergien für die Skalierung des freiwilligen Kohlenstoffmarkts
Langfristig trägt die Finanzbranche somit entscheidend dazu bei, dass der freiwillige Kohlenstoffmarkt nicht nur als Offsetting-Instrument verstanden wird, sondern als ein integraler Bestandteil der globalen Klimastrategie mit nachhaltiger Kapitalmobilisierung. In ihrer gemeinsamen Rolle als Risikoträger, Kapitalgeber und Marktfazilitatoren sind Versicherungen und Banken somit tragende Säulen für die Weiterentwicklung und Skalierung des freiwilligen Kohlenstoffmarkts. Sie schaffen die notwendige Balance zwischen Chancen und Risiken, schützen Marktteilnehmer vor finanziellen Unsicherheiten und stärken das Vertrauen in die Qualität und Integrität von Carbon Credits. Damit leisten sie einen fundamentalen Beitrag zur Skalierung der Klimainvestitionen und zur Beschleunigung des Weges zu Net-Zero.
Weiterführende Links:
- Emissionen im eigenen Geschäftsbetrieb – ein (kleiner) Hebel für Finanzunternehmen?
- Vergleichende Analyse der Transitionspläne und Klimaziele europäischer Versicherer
- Nature Credits – Überblick & Herausforderungen
- CSRD-Benchmarking: Transitionspläne sind noch in Entwicklung, aber erste Schritte sind getan
- Point of View: Future Insurance Availability for Businesses
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