Konzessionen (Teil 17): BGH in Sachen „Fernwärme Stuttgart“ – Beginn der Ausschreibungspflicht für Wegerechte in der Wärmeversorgung?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 5. Dezember 2023 über einen Rechtsstreit zwischen der Stadt Stuttgart und der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) entschieden, der die Fernwärmeversorgung in der Landeshauptstadt betrifft.

Unter teilweiser Stattgabe aber weitgehender Abweisung der Revision beider Seiten hat der BGH im Ergebnis die Klage der Stadt auf Eigentumsverschaffung oder Beseitigung bzgl. der Versorgungsanlagen ebenso wie die Widerklage der EnBW auf Einräumung von Nutzungsrechten abgewiesen.

Die EnBW betreibt seit 1994 das Fernwärmenetz in Stuttgart auf Grundlage eines befristeten Wegenutzungs-/Konzessionsvertrags mit der Stadt, der zum 1. Januar 2014 ausgelaufen ist. Die Stadt hat ein Auswahlverfahren für die Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für das Fernwärmenetz begonnen, aber noch nicht abgeschlossen, sondern ruhend gestellt. Sie hat die EnBW aufgefordert, ihr das Eigentum an den in ihren Grundstücken verlegten Leitungen zu verschaffen oder diese zu beseitigen. Die EnBW hat dem widersprochen und ihrerseits die Stadt auf Einräumung von Nutzungsrechten für die bestehenden Leitungen verklagt.

Soweit der BGH mit seinem Urteil (Az.: KZR 101/20) ) von der Entscheidung des OLG Stuttgart (Urteil vom 26. März 2020 – Az.: 2 U 82/19 - wir berichteten) abgewichen ist, hat er in der Sache selbst entschieden. Auch wenn es sich das Urteil auf einen Einzelfall unter besonderen Umständen bezog, in dem u.a. der bisherige Konzessionsvertrag keine Endschaftsklausel enthielt, so hat der BGH die Gelegenheit, erstmals sich eingehend mit dem Thema Wegerechte für die Fernwärmeversorgung zu beschäftigen, dazu genutzt, einige allgemeine Aussagen zu treffen, die über den Einzelfall hinaus und teilweise auch über die Fernwärmeversorgung hinaus von Bedeutung sein können.

Wie die Vorinstanzen urteilte der BGH, dass die Stadt mit Beendigung des Konzessionsvertrags kein Eigentum an den Wärmeleitungen erworben habe, weil diese als Scheinbestandteile im Sinne des § 95 BGB anzusehen seien, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden wurden. Eine ergänzende Vertragsauslegung oder eine gesetzliche Anordnung zugunsten der Stadt komme nicht in Betracht, weil es sich um ein eigenständiges Regelungsziel handele, das die Vertragsparteien nicht bedacht haben und das nicht durch das dispositive Recht geschlossen wird.

Geltendmachung von Zwischenerwerbs- oder Beseitigungsansprüchen rechtsmissbräuchlich

Der BGH hat anders als das OLG Stuttgart zuvor einen Anspruch der Stadt auf Beseitigung der Leitungen aus § 1004 BGB verneint. Die Klägerin sei aus Gründen von Treu und Glauben und Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2, § 242 BGB zur Duldung des fremden Eigentums in ihren Grundstücken verpflichtet, solange das Fernwärmenetz weiterbetrieben werden solle und unklar sei, wer es zukünftig betreiben werde. Dabei seien auch die Interessen der an das Netz angeschlossenen Wärmekunden zu berücksichtigen, die eine Versorgungssicherheit erwarteten. Keine abweichende Beurteilung ergebe sich auch insoweit, als sich der von der Stadt geltend gemachte Beseitigungsanspruch auf die Entfernung von stillgelegten, schadhaften oder veralteten Leitungen beziehe. Die Stadt habe insoweit keine über das fremde Eigentum an den Netzleitungen hinausgehende konkrete Beeinträchtigung ihres Grundstückseigentums zum Gegenstand ihrer Klage gemacht. Solange aber die EnBW für den Betrieb des Fernwärmenetzes verantwortlich sei und keine konkreten Gefahren für die Grundstücke der Stadt drohten, sei es allein Sache der Beklagten, die in ihrem Eigentum stehenden schadhaften oder überalterten Leitungsteile auszutauschen. Das Interesse der Stadt, etwaige Beseitigungsansprüche im Hinblick auf anfallende Beseitigungskosten nicht verjähren zu lassen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Sei die Stadt zur Duldung des fremden Eigentums in ihren Grundstücken nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet, bestehen noch keine Beseitigungsansprüche und können solche auch nicht verjähren. Dies ist insofern weit über die Fernwärmversorgung hinaus relevant, als der BGH mithin davon auszugehen scheint, dass eine Kommune, sollten konkrete Gefahren für ihre Grundstücke aus einzelnen schadhaften oder veralteten Leitungsteilen resultieren, auch weit über etwaige Verjährungsfristen seit der Stilllegung einer Anlage den jeweiligen Netzbetreiber wird in Anspruch nehmen können.

Wie auch hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs auf Übertragung des Eigentums hielt der BGH den Versuch der Durchsetzung eines Anspruchs auf Beseitigung der Anlagen für rechtsmissbräuchlich, da bei auch zukünftigem Betrieb der Fernwärmeversorgung davon auszugehen sei, dass dies mit den jetzt vorhandenen Anlagen erfolgen werde. Sollten die EnBW oder ein Dritter die Versorgung in Zukunft in Folge einer Auswahlentscheidung der Stadt fortführen, so hätte der Dritte einen Anspruch auf Verschaffung jedenfalls der Verfügungsmacht seitens der EnBW als bisherigen Konzessionär und Eigentümer. Bei einer vorherigen Eigentumsverschaffung an die Stadt bestünde die Gefahr eines umständlichen und mit erheblichen Transaktionskosten verbundenen Kettengeschäfts. Die Inhaberschaft von Wegenutzungsrechten und das Eigentum an den Netzleitungen, zumindest aber der Besitz daran, sollen nach dem Regelungskonzept des § 46 Abs. 2 Nr. 2 EnWG ohne Zwischenerwerbsschritte in einer Hand zusammengeführt werden. Diese Interessenlage sei bei der Neuvergabe von Wegenutzungsrechten für den Betrieb von Fernwärmenetzen, sofern die Gemeinde ein transparentes und nichtdiskriminierendes Auswahlverfahren durchführt, nicht anders. Mit diesen Ausführungen hat der BGH nebenbei die Geltendmachung von – heute weniger üblichen – Ansprüchen/Forderungen aus Endschaftsbestimmungen auf Übertragung des Versorgungsnetzes auf die jeweilige Kommune anstatt auf den neuen Konzessionär, die in der Vergangenheit durchaus Netzübernahmeverhandlungen bei Strom und Gas erschwert haben, als missbräuchlich beurteilt.

Konzessionsverträge vermitteln nur „Eigentum auf Zeit“

Die EnBW habe andererseits aber auch keinen Anspruch auf Einräumung von Nutzungsrechten aus § 19 Abs. 4 GWB. Die Stadt handele zwar als Unternehmen, wenn sie die Wegenutzungsrechte vergibt oder selbst nutzt, und sei diesbezüglich auch marktbeherrschend. Aber sie sei nicht verpflichtet, diese Rechte jedem Interessenten einzuräumen, sondern kann ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchführen, um den Wettbewerb um das Netz zu organisieren. Solange dieses Verfahren nicht abgeschlossen ist, könne die EnBW nicht verlangen, dass die Stadt ihr ein Angebot auf Abschluss eines Gestattungsvertrags unterbreitet. Diese Verweigerung behindere zwar die EnBW auf dem nachgelagerten Markt der Fernwärmeversorgung, sie sei aber nicht zu missbilligen, da der Stadt aus kartellrechtlichen Gründen jedenfalls nicht verwehrt werden könne, in Anlehnung an die Regelung des § 46 EnWG im eigenen Interesse und in dem der Allgemeinheit Wegenutzungsrechte zeitlich begrenzt zu vergeben und einen Wettbewerb um das Netz mit dem Zweck zu organisieren, die wettbewerblichen Nachteile, die mit einem Leitungsmonopol verbunden sind, zumindest teilweise zu kompensieren. Der Umstand, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Energiewirtschaftsgesetzes ausdrücklich nicht auf den Bereich der Fernwärme erstreckt wissen wollte, schließe eine solche privatautonome Entscheidung der Klägerin zur Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens nicht aus, auch nicht, dass die Beklagte für den danach möglichen Rechtsverlust - ebenso wie es § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG vorsieht - zu entschädigen ist.

Dass die Monopolstellung der EnBW aus Rechtsgründen deshalb zu akzeptieren sei, weil diese das natürliche Monopol mit eigenen Ressourcen aufgebaut habe, hat der BGH als Gegenargument zurückgewiesen. Dabei übersehe sie, dass sie die Investitionen nur im Rahmen eines zeitlich befristeten Gestattungsvertrags und auf Grundlage von Wegenutzungsrechten vorgenommen hat, die sie im Streitfall von der öffentlichen Hand ableitet. Insoweit sei das von ihr erworbene Eigentum "belastet". Der BGH scheint sich insofern, ebenso wie das OLG Stuttgart zuvor, der im Schrifttum diskutierten „Belastungstheorie“ angeschlossen zu haben, die ebenfalls über die Fernwärme hinaus eine Rolle in der Preisfindung bei Netzübernahmen spielt. Folgt man dieser, kann der abgebende Netzbetreiber nicht mehr geltend machen, dass alle zukünftigen Erlöse bei der Ermittlung eines angemessenen Entgelts berücksichtigt werden.

Gibt es eine Verpflichtung zur Ausschreibung von Wegerechten für die Fernwärmeversorgung?

Die Frage, ob die Stadt zur Ausschreibung der Wegerechte für die Fernwärmeversorgung verpflichtet ist, lässt sich aus dem Urteil des BGH nicht eindeutig beantworten, weil der BGH diese Frage nicht entscheiden musste. Er hat nur festgestellt, dass die Stadt ein solches Auswahlverfahren begonnen, aber noch nicht beendet hat, und dass die EnBW an diesem Verfahren beteiligt ist. Er hat offengelassen, ob die Stadt dieses Verfahren formell beenden oder wieder aufnehmen muss, und ob sie gegebenenfalls eine Rekommunalisierung der Fernwärmeversorgung ohne Ausschreibung durchführen kann.

Aus den Erwägungen des BGH könnte man aber im Umkehrschluss folgern, dass eine Stadt zur Ausschreibung der Wegerechte für die Fernwärme verpflichtet wäre, wenn sich mehr als ein Unternehmen für diese Wegerechte interessierte und zugleich eine parallele Nutzung der städtischen Wege zum Aufbau von Fernwärmenetzen durch sämtliche Interessenten neben dem bereits bestehenden Fernwärmenetz nicht möglich wäre. Denn dann könnte die Stadt nicht mehr argumentieren, dass sie kein marktbeherrschendes Unternehmen ist. Sie müsste dann die Interessen der verschiedenen Bewerber berücksichtigen und ihnen gleiche Chancen auf den Erhalt der Wegerechte einräumen. Andernfalls könnte sie sich dem Vorwurf der unbilligen Behinderung oder Diskriminierung aussetzen und einen Anspruch eines nicht berücksichtigten Unternehmens auf Einräumung von Nutzungsrechten aus § 19 Abs. 2 GWB begründen. Ob im jeweils betroffenen Versorgungsgebiet der Bau von Parallelleitungen technisch, aber auch wirtschaftlich möglich ist, wird eine Einzelfallentscheidung sein.

Da die Wärmeversorgung – außer in Fällen einer durch Fernwärmesatzung mit Anschluss- und Benutzungszwang geschaffenen öffentlichen Einrichtung – anders als die Wasserversorgung keine der Kommune obliegende Aufgabe ist, dürfte es sich bei den seitens des BGH angesprochenen Auswahlverfahren nicht um Beschaffungsvorgänge im weiteren Sinne handeln, wie z.B. bei der Ausschreibung einer Wasserkonzession als (inhaltlich) Dienstleistungskonzession. Die Erwägungen des BGH, dass eine Übernahme der Wegerechte durch die Kommune in einem Markt, für den es weitere Interessenten gibt, missbräuchlich sei, könnten dementsprechend so zu verstehen sein, dass eine Kommune sich in dieser Konstellation nicht zur Vermeidung eines Auswahlverfahrens auf ein „Inhouse-Privileg“ berufen kann, sondern, wenn sie selbst auf diesem Markt unternehmerisch tätig werden will, sich dem Wettbewerb auch stellen muss.

PwC und PwC Legal begleiten Kommunen und Versorgungsunternehmen seit vielen Jahren rechtlich, strategisch und wirtschaftlich in Verfahren zu Wegenutzungsrechten, sowohl für die Strom- und Gas- als auch die Wasser- und Wärmeversorgung. Wir unterstützen die Beteiligten bei den Herausforderungen der Wärmewende, zu denen insbesondere die rechtliche Absicherung von erforderlichen Investitionen gehört. Sollten sich für Ihre Kommune oder Ihr Versorgungsunternehmen Fragen in diesem Zusammenhang stellen oder konkret ein Konzessionsverfahren anstehen, sprechen Sie uns gern an.

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