Haftung der Organgesellschaft für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern

Die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO beschränkt sich nicht notwendig auf solche Steuern, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig ist, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 der Abgabenordnung (AO) auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrechtlich noch nicht entstandene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden kann.

Der Kläger wurde mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts (AG) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des AG eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die GmbH war zuvor umsatzsteuerlich als Organgesellschaft in das Unternehmen der A-GmbH eingegliedert gewesen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)). Über das Vermögen der A-GmbH wurde ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

Bei der A-GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen Umsatzsteuerrückstände, u.a. aus den Voranmeldungen für März 2014. Das Finanzamt meldete deswegen im Insolvenzverfahren der GmbH eine Haftungsforderung in ebendieser Höhe gemäß § 73 AO wegen rückständiger Umsatzsteuer der A-GmbH zur Insolvenztabelle an. Da der Kläger die Forderung in vollem Umfang bestritt, erließ das Finanzamt den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO.

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage und beantragte, den Feststellungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Forderung in dem Umfang reduziert werde, in dem die Umsatzsteuer für März 2014 betroffen sei.

Die Klage vor dem Sächsischen Finanzgericht hatte Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Die Finanzbehörde stellt nach § 251 Abs. 3 AO Ansprüche, die sie im Insolvenzverfahren aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend macht, erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest. Das betrifft u.a. den Fall, in dem ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon begründet, aber noch nicht festgesetzt war und der Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemeldeten Forderung widersprochen hat. Wird der Feststellungsbescheid unanfechtbar, beseitigt er den Widerspruch zur Tabelle.

Gegenstand der Feststellung ist die Geltendmachung einer Steuerforderung als Insolvenzforderung mit dem Ziel ihrer Berücksichtigung bei der Verteilung der Insolvenzmasse. Der Verwaltungsakt nach § 251 Abs. 3 AO enthält also zwei Feststellungen, und zwar erstens, dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO besteht, und zweitens, dass es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt.

Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 Abs. 1 AO gehört auch der Haftungsanspruch. Gemäß § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.

Steuern des Organträgers, "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist", liegen demzufolge nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 Sätze 1 und 3, § 18 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO.

Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. § 73 AO soll die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könnten.

Der BFH folgt damit nicht der im Schrifttum ‑ohne nähere Begründung‑ vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.

Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde. Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 Satz 1 AO ist das Bestehen der Organschaft.

Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze konnte der BFH nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO haftet. Das Finanzgericht hat ‑ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zutreffend‑ keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2014 Steuern des Organkreises und nicht originäre Steuern der ehemaligen Organträgerin enthält.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 05. April 2022 (VII R 18/21), veröffentlicht am 08. September 2022.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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