Europäische Aufsichtsbehörden veröffentlichen gemeinsamen Bericht zu aktuellen Risiken und Anfälligkeiten im EU-Finanzsystem
Die Europäischen Aufsichtsbehörden (EBA, EIOPA, ESMA) fordern von Marktteilnehmern angesichts bestehender Unsicherheiten erhöhte Wachsamkeit und proaktive Anpassungen im Risikomanagement.
Am 10. September publizierte der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden EBA, EIOPA und ESMA seinen regelmäßigen Bericht zu den Risiken und Anfälligkeiten im Finanzsystem der EU. Dieser bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Herausforderungen und Risiken, denen sich das europäische Finanzsystem gegenübersieht. Dabei werden im Bericht einerseits die anhaltend hohen wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten erfasst, andererseits spannt der Bericht den Handlungsraum für nationale Aufsichtsbehörden sowie Marktteilnehmer auf. Banken, Versicherer und andere Finanzinstitutionen werden zu erhöhter Wachsamkeit und geeigneten proaktiven und präventiven Maßnahmen aufgefordert. Dabei legt der Bericht einen Schwerpunkt auf Kreditrisiken, hier werden Hintergründe und die Qualität der Vermögenswerte sektorübergreifend diskutiert.
Geldpolitik, geopolitische Risiken und Digitalisierung als Treiber der Finanzinstabilität
Ein zentraler Punkt des Berichts ist die Entwicklung der geldpolitischen Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Aufgrund sinkender Inflation wurden die Wachstumsprognosen für die EU für 2024 von 1,3% auf 1,0% und 2025 von 1,7% auf 1,6% gegenüber dem Forecast vom Herbst 2023 reduziert. Die anhaltend rückläufige Inflation hatte bereits Ende 2023 die Zentralbanken dazu veranlasst, den Übergang zu einer lockeren Geldpolitik einzuleiten - unter anderem nahm die EZB Leitzinssenkungen vor, wobei seitens der Marktteilnehmer aktuell nur begrenzt weitere Zinssenkungen erwartet werden. Waren die Zinssenkungen erwartet und im ersten Halbjahr von einer Verbesserung der makroökonomischen Aussichten flankiert worden, dämpfte der heftige Einbruch der Aktienkurse im August die Stimmung.
Geopolitische Spannungen wie der Ukraine-Krieg und die Konflikte im Nahen Osten sowie die Beziehungen zwischen den USA und China bleiben bedeutende Risiken und verschärfen die Instabilität der Märkte. Zudem führte das Ergebnis der Europawahl und die teilweise anschließende Ankündigung von Neuwahlen zu erhöhter Marktvolatilität. Daher werden weiterhin beträchtliche Unsicherheiten weltweit in Bezug auf die künftige Entwicklung der Volkswirtschaften respektive der Inflation sowie die hierauf aufsetzenden geldpolitischen Maßnahmen gesehen. Insgesamt wird erwartet, dass Zinssätze zwar sinken, aber im Vergleich zum Vorpandemieniveau wahrscheinlich länger erst einmal höher bleiben werden.
Diese Unsicherheiten wirken sich unter anderem auf den Bankensektor aus. Das Wachstum der Vermögenswerte der EU/EWR-Banken verlangsamte sich im ersten Quartal 2024 auf 0,8% und das Kreditwachstum ist rückläufig. Außerdem stiegen die Marktbewertungen 2024, da Anleger auf Zinssenkungen hofften, was zu höheren Aktienkursen und steigenden Anleiherenditen führte.
Versicherer verbesserten 2023 ihre Rentabilität, die jedoch durch mögliche Marktkorrekturen unter Druck geraten könnte. Ein für die Branche beobachteter Rückgang bei der Durationslücke zwischen Aktiva und Passiva reduziert jedoch die potenziellen negativen Auswirkungen von Zinsrückgängen. Die mittleren Solvenzquoten verbesserten sich zudem gegenüber dem Vorjahr, der Median lag für Lebensversicherer bei 243% und für Kompositversicherer bei 225%. Der Sektor der betrieblichen Altersversorgung bleibt trotz einer Verschlechterung der Finanzlage widerstandsfähig. Die Rentabilität der EU/EWR-Banken stieg 2023 durch höhere Nettozinserträge, obwohl die Eigenkapitalrendite Anfang 2024 leicht sank. Zudem zeigten Investmentfonds eine positive Entwicklung, wohingegen sich die Kreditqualität der Rentenfonds verschlechterte.
Die Digitalisierung des Finanzmarkts und die Rolle sozialer Medien nehmen zu, was sowohl Chancen als auch Risiken wie Marktmanipulationen mit sich bringt. Der Bericht betont die Notwendigkeit, diese Entwicklungen genau zu beobachten, um potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und zu adressieren.
Handlungsfelder auch im Versicherungssektor – zwischen allgemeinen Herausforderungen und dem Fokusthema Kreditrisko
Für den Versicherungssektor stellt der Bericht einige zentrale Herausforderungen durch das makroökonomische Umfeld im Allgemeinen sowie das Kreditrisiko als ausgewähltes Fokusthema dar, das aufgrund wirtschaftlicher und geopolitischer Entwicklungen als besonders relevant erachtet wird.
In Hinblick auf den Handlungsraum der nationalen Aufsichtsbehörden wird neben allgemeinen, sektorübergreifenden Anforderungen an die Beobachtung möglicher Auswirkungen hoher Zinsen auf die Realwirtschaft und Cyberrisiken die Auswirkung der Inflation auf die Produktentwicklung als spezifisches Thema für die Versicherungsbranche und Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge adressiert. Dabei sollte sichergestellt werden, dass Trends bei der Inflation als ein grundlegendes Element im Produktüberwachungs- und -steuerungsprozess berücksichtigt werden sowie Verbrauchern die Auswirkung der Inflation auf reale Renditen bewusst sind.
Verzögerungen bei der Anpassung von Prämien können die Rentabilität erheblich beeinträchtigen, weshalb Versicherer die Inflation proaktiv in ihre Produktentwicklung einbeziehen sollten, um negative Effekte auf ihre Gewinnspannen zu vermeiden.
Geopolitische Risiken könnten die Risikobewertung, das Pricing, Deckungsangebote und Anlagestrategien europäischer Versicherer beeinflussen. Dies greift EIOPA im diesjährigen Insurance Stress Test mit einem entsprechenden Szenario auf.
Während Banken bei der Kreditvergabe durch die Möglichkeit des Ausfalls der Kreditnehmer insbesondere einem Kreditrisiko ausgesetzt sind, müssen Versicherer und Pensionseinrichtungen ein Kreditrisiko bei der Qualität der Vermögenswerte berücksichtigen, da diese sich auf ihre Fähigkeit zur dauerhaften Erfüllbarkeit der Verpflichtungen und ihre Solvenzsituation auswirken kann. Besonders betroffen sind Investments in Corporate Bonds – vor allem im Nicht-Finanzbereich – und Immobilienkredite, insbesondere Gewerbeimmobilien (CRE), die unter steigenden Zinssätzen und veränderten Marktbedingungen leiden.
Versicherungen und Pensionseinrichtungen sind in geringem Umfang an der Kreditvergabe beteiligt, der Fokus liegt dabei auf dem Immobilienbereich. Versicherer investieren in der Regel einen begrenzten Teil ihrer Vermögenswerte in Kredite und Hypotheken. Der Anteil ist dabei in den letzten 4 Jahren leicht angestiegen und liegt in Q4/2023 bei 6,7%. Daneben betrafen ca. 16% der Investments Alternative Assets wie Private Debt und Private Equity. Innerhalb der alternativen Anlagen werden die Engagements der Versicherer in Private Debt und Private Equity angesichts des weltweiten Wachstums dieser Kreditkanäle von den Aufsichtsbehörden genau beobachtet.
Entsprechend sind Versicherer dazu angehalten, ihre Anlageportfolios und Kreditvergabekriterien kontinuierlich zu überwachen und anzupassen. Zudem hebt der Bericht hervor, wie wichtig ein solides Risikomanagement ist, um den Auswirkungen geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten begegnen zu können. Daher ist ein proaktives Risikomanagement, das potenzielle Kreditrisiken und deren mögliche Realisierung frühzeitig erkennt und stabilisierende Maßnahmen ergreift, von großer Bedeutung.
Angesichts der Zunahme von Cyberangriffen, insbesondere im Zusammenhang mit geopolitischen Konflikten, wird der Schutz vor Cyberbedrohungen ebenfalls immer wichtiger. Versicherer müssen hier ihre eigenen Systeme absichern, der Bericht verweist hier insbesondere auch auf die aktuelle DORA-Regulierungsinitiative.
Ausblick
Der Bericht des Joint Committee der Europäischen Aufsichtsbehörden zeigt, dass das Finanzsystem der EU derzeit mit erheblichen Risiken konfrontiert ist. Versicherungen und Banken stehen dabei vor speziellen Herausforderungen, insbesondere in den Bereichen Zinsrisiko, Kreditrisiko, Cybergefahren und der Anpassung an ein volatiles Marktumfeld. Ein robustes – insbesondere im Rahmen des Anlage- und Asset-Liability-Managements – sowie dynamisches Risikomanagement, das flexible und proaktive Anpassungen erlaubt, ist entscheidend, um auch in diesem Umfeld erfolgreich zu bestehen.
In einem kürzlich publizierten Blogbeitrag haben wir uns zudem mit dem aktuellen EIOPA-Dashboard und der GDV-Auswertung für das Versicherungsjahr 2023 beschäftigt, die weitere wertvolle Einblicke in die Lage des Versicherungsmarkts liefern.
Laufende Updates zum Thema erhalten Sie über das regulatorische Horizon Scanning in unserer Recherche-Applikation PwC Plus. Lesen Sie hier mehr über die Möglichkeiten und Angebote. |
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