Für eine digitale Justiz
Expert:innen von Strategy&, PwC und PwC Legal haben ein Zukunftsprogramm für eine moderne Justiz entwickelt.
Zunehmende Komplexität von Gesetzen und Straftaten, steigende Fallzahlen sowie großer Personalmangel stellen die deutsche Justiz vor gravierende Herausforderungen. Einige Zahlen dazu: Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg von 17,5 Monaten im Jahr 2014 auf 21,5 Monate im Jahr 2024. Außerdem stapelten sich 2024 mehr als 900.000 unerledigte Fälle bei den Staatsanwaltschaften – 30 Prozent mehr als 2021. Im vergangenen Jahr hatten die Staatsanwaltschaften in Deutschland nach eigenen Angaben rund 5,3 Millionen neue Fälle zu bearbeiten – gegenüber 4,7 Millionen im Jahr 2021. Immer häufiger fehlt dafür das Personal, in den Staatsanwaltschaften allein rund 2.000 Ermittler:innen.
Althergebrachte Methoden: Das deutsche Justizwesen agiert immer noch überwiegend analog.
Dringend notwendige Initiativen
Die Bundesregierung kennt das Problem: In ihrem Koalitionsvertrag nennt sie drei Maßnahmenbündel für eine moderne, zukunftssichere Justiz: Verschlankung und Beschleunigung von Verfahrensabläufen, personelle Stärkung, mehr Digitalisierung. Wie die Umsetzung gelingen kann, beschreiben Expert:innen von Strategy&, PwC und PwC Legal in der Veröffentlichung Ein Zukunftsprogramm für die Digitalisierung der deutschen Justiz. Dafür haben sie unter anderem mehr als 50 Beschäftigte aus dem Justizwesen befragt – unter ihnen Verwaltungsfachleute, Staatsanwält:innen und Richter:innen. Einige der Kernergebnisse: Für 38,5 Prozent der Interviewten gehört die begrenzte IT-Expertise – insbesondere bei älteren Justizmitarbeiter:innen – zu den größten Herausforderungen bei der Digitalisierung im Justizwesen. 32,7 Prozent äußerten Sicherheitsbedenken und verwiesen auf mangelnde Vorsorge gegen Ausfälle von Informationstechnologien. Ebenso fehlten oft wirksame Sicherheits- und Notfallkonzepte für Systemausfälle. Schnittstellen zu anderen Behörden, etwa der Polizei, sind ebenfalls erst im Aufbau.
Die Justiz hat erste Digitalisierungsinitiativen gestartet – darunter die Bundesjustiz-Cloud, das zivilgerichtliche Onlineverfahren, der Digitale Austausch zwischen Polizei und Justiz (DAPJ) sowie die Entwicklung eines gemeinsamen Fachverfahrens für die Justiz (GeFa). Allerdings sind die Steuerung und Umsetzung wegen der föderalen Struktur, der vielen beteiligten Stellen und der unterschiedlichen digitalen Reifegrade der Bundesländer komplex. Hinzu kommen begrenzte IT-Lösungen sowie -Fähigkeiten, unzureichende Finanzmittel und komplexe rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere für den KI-Einsatz.
Um die Umsetzungshürden zu überwinden, empfehlen die Expert:innen von PwC und Strategy&, die Digitalisierungsinitiativen in einem Zukunftsprogramm für eine digitale Justiz institutionell zu verankern. Die drei Hauptziele des Programms: das Informationswesen der Justiz über Bund und Länder hinweg harmonisieren, eine gemeinsame Datenarchitektur der bisher heterogenen Datenhaltung schaffen und einheitliche Anwendungen für alle Justizbeschäftigten einführen.
Modernisierung auf vier Säulen
Die Umsetzung sollte auf den folgenden vier Säulen basieren: Auf die Bestandsaufnahme der vorhandenen Software- und Hardwaresysteme sowie deren Leistungs- und Zukunftsfähigkeit sollte, erstens, ein Zielbild für die künftige Systemlandschaft folgen, einschließlich klarer Anforderungen und Standards. Dazu gehört es, Usability-Tests einzusetzen, um die Bedürfnisse der Anwender:innen zu erfassen, intuitive Benutzungsoberflächen zu entwickeln, Szenarien für Systemausfälle auszuarbeiten und Schulungen aufzusetzen. Ein internes Multiplikatoren- oder Digital-Champions-Netzwerk kann den Einsatz digitaler Anwendungen unterstützen.
Zweitens sind Lasttests und Performance-Benchmarks, um Engpässe zu identifizieren, für die Steigerung der IT-Performance unverzichtbar – ebenso wenig wie optimierte Softwarearchitekturen und Datenbanken für bessere Systemleistungen. Sicherheitsrelevante Prozesse sollten unter anderem mit performanten Single-Sign-on-Lösungen optimiert werden. Erforderlich sind auch Investitionen in eine moderne Serverinfrastruktur und den Aufbau einer Testplattform.
Drittens sollten die Systeme auf Bundesebene ausgeweitet werden, um die Nutzung zwischen den Ländern zu harmonisieren. Dafür braucht es bundeseinheitliche IT-Standards und Schnittstellen für eine bessere Interoperabilität. Wichtige Elemente hierfür sind eine wirkungsvolle Bund-Länder-Governance mit einer geeigneten Gremien- und Führungsstruktur, inklusive strategischer Partnerschaften mit Dienstleistern, Forschungseinrichtungen und EUInitiativen. Außerdem notwendig sind standardisierte Schnittstellen, deren Qualitätsüberwachung sowie eine zentrale Datenverwaltungsplattform.
Viertens sollten Prozesse mit hohem Automatisierungspotenzial – etwa für die Zwangsvollstreckung oder die Veröffentlichung von Urteilen – priorisiert und möglichst mit künstlicher Intelligenz optimiert werden. Für Zivilprozesse identifizieren die Autor:innen besonders großes Potenzial bei der Kommunikation mit Sachverständigen, bei der Beweisaufnahme und der Einreichung von Klageschriften bei Gericht. Für Strafprozesse bestehen große Chancen bei Zeug:innenbefragungen, Schlussberichten sowie der Verfahrensleitung durch die Staatsanwaltschaft. Das Zukunftsprogramm für eine digitale Justiz bietet die Chance, die dringend erforderliche digitale Transformation der Justiz in Deutschland zu beschleunigen und so das Justizwesen insgesamt nutzungsfreundlicher und leistungsstärker zu gestalten.
Ansprechpartner:
Dr. Philipp Mette
Kontakt

Prof. Dr. Rainer Bernnat
Partner
Frankfurt am Main
                                                

