Keine Berichtigung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids bei fehlender Erfassung der vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Einkünfte

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht mehr nachträglich vom Finanzamt nach § 129 AO berichtigt werden kann, wenn die fehlende Erfassung der vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Einkünfte trotz ergangener Prüf- und Risikohinweise im Rahmen eines Risikomanagementsystems nicht auf einem bloßen „mechanischen Versehen“ beruht.

Sachverhalt

Der Kläger hatte in seiner auf dem amtlichen Vordruck eingereichten Einkommensteuererklärung u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 128.641 € erklärt. Beim Einscannen der Unterlagen im Veranlagungsbezirk des Finanzamts wurde die Anlage S zur Einkommensteuererklärung versehentlich übersehen, so dass eine Erfassung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers unterblieb.

Nach maschineller Überprüfung der eingescannten Daten durch ein Risikomanagementsystem gingen im Veranlagungsbezirk mehrere Prüf- und Risikohinweise ein, die u.a. auf Einkünfte „des Ehemanns/der Ehefrau von weniger als 4.200 €“ hinwiesen und eine „personelle Prüfung“ des als „risikobehaftet“ eingestuften Falls vorsahen.

Die zuständige Sachbearbeiterin bearbeitete diese Prüf- und Risikohinweise, prüfte jedoch nicht, ob die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers zutreffend im Einkommensteuerbescheid übernommen worden waren. Erst im Folgejahr wurde der Fehler erkannt und der Einkommensteuerbescheid nach § 129 Satz 1 Abgabenordnung (AO) berichtigt.

Die Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, dass das Finanzamt wegen Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit befugt gewesen sei, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid gemäß § 129 Satz 1 AO zu berichtigen, da die Bearbeitung der Prüf- und Risikohinweise nicht zu einer neuen Willensbildung geführt.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision des Steuerpflichtigen stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

129 Satz 1 AO erlaubt nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sind. § 129 AO ist dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des FA ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat.

Im vorliegenden Fall beruhte der fehlerhafte Einkommensteuerbescheid darauf, dass die zutreffende Höhe der im Bescheid angesetzten Einkünfte nicht aufgeklärt wurde, obwohl aufgrund der Risiko- und Prüfhinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und deshalb eine weitere Sachaufklärung geboten war. Das schließt das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 4. Januar 2020 (VIII R 4/17), veröffentlicht am 28. Mai 2020, vgl. die Pressemitteilung des BFH.

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