Update: Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten

Im Erbschaftsteuerrecht gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen.

Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der zivilrechtlich aufgrund Konfusion erloschene Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger und ursprüngliche Revisionskläger (Pflichtteilsberechtigter) ist während des Revisionsverfahrens verstorben. Alleinerbin ist die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), seine Ehefrau.

Der Vater des Pflichtteilsberechtigten verstarb am 09. Januar 2008. Er wurde von dessen Ehefrau, der Stiefmutter des Pflichtteilsberechtigten, allein beerbt. Der Pflichtteilsberechtigte machte zunächst keine Pflichtteilsansprüche geltend. Die Stiefmutter des Pflichtteilsberechtigten verstarb am 01. Januar 2011. Der Pflichtteilsberechtigte war ihr Alleinerbe.

Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer gegen den Pflichtteilsberechtigten wegen des Erwerbs von Todes wegen nach seiner verstorbenen Stiefmutter fest.

Am 04. September 2013 beantragte der Pflichtteilsberechtigte, den Erbschaftsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) zu ändern und den von ihm geltend gemachten Pflichtteilsanspruch nachträglich als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Er habe, nachdem seine Stiefmutter verstorben und er deren alleiniger Erbe geworden sei, mit einem an sich selbst gerichteten Schreiben vom 14. August 2013 seinen Pflichtteilsanspruch aus der Erbschaft nach seinem Vater geltend gemacht. Erbschaftsteuer für den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs entstehe nicht, da der Wert des Reinnachlasses den geltenden Freibetrag nicht übersteige.

Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.

Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Hessischen Finanzgericht hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Der originär beim Pflichtteilsberechtigten entstandene Pflichtteilsanspruch gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 3 ErbStG erst dann als Erwerb von Todes wegen, wenn er geltend gemacht wird.

Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete seinerseits, bevor der Pflichtteilsanspruch durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder aus anderen Gründen, etwa aufgrund eines Erlassvertrags (§ 397 Abs. 1 BGB), erloschen ist, geht die Verbindlichkeit gemäß §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB zivilrechtlich auf dessen Erben über, ohne dass es auf die vorherige Geltendmachung des Anspruchs ankommt.

Die Verpflichtung zur Zahlung des Pflichtteils stellt dabei --abweichend vom Zivilrecht-- erbschaftsteuerrechtlich nur dann eine vom Pflichtteilsverpflichteten als Erblasser herrührende Schuld und somit eine gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehbare Nachlassverbindlichkeit dar, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hatte oder ihn nach dessen Tod nunmehr geltend macht.

Dieselben Grundsätze sind anzuwenden, wenn der Pflichtteilsberechtigte zugleich der Erbe des verstorbenen Pflichtteilsverpflichteten ist.

Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten, erlöschen durch den Tod des Pflichtteilsverpflichteten --zivilrechtlich betrachtet-- sowohl dessen Verbindlichkeit als auch der Pflichtteilsanspruch durch die Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person (Konfusion).

Im Erbschaftsteuerrecht hingegen gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs als Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten nachzuholen.

Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der aufgrund Konfusion zivilrechtlich erloschene Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerrechtlich auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war.

Der Pflichtteilsberechtigte konnte den zivilrechtlich bereits erloschenen Pflichtteilsanspruch nachträglich nicht mehr gegen sich selbst als Alleinerben seiner Stiefmutter geltend machen. Es steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass der Pflichtteilsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen seine Stiefmutter wegen des Todes seines Vaters im Zeitpunkt der Geltendmachung im August 2013 zivilrechtlich bereits verjährt war. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG umfasst nicht die Geltendmachung verjährter und zivilrechtlich durch Konfusion erloschener Pflichtteilsansprüche.

Update (28. Juli 2020)

Am 23. Juli hat der BFH das weitgehend inhaltsgleiche Urteil II R 17/16 veröffentlicht. Die Leitsätze der beiden Urteile stimmen überein.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 5. Februar 2020 (II R 1/16), veröffentlicht am 9. Juli 2020.

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