Krieg in der Ukraine – Versorgungssicherheit und Energiekosten in der Krise: Drei Fragen an Peter Mussaeus, Partner, Rechtsanwalt für Energierecht

Neben den USA und Saudi-Arabien ist Russland der drittgrößte Ölproduzent und der zweitgrößte Gasproduzent weltweit und hat dadurch eine immense strategische Bedeutung. Unter anderem wir in Deutschland sind abhängig von den Lieferungen. Welche Auswirkungen das auf die Versorgungssicherheit und die Energiekosten hat, darüber sprechen wir in „Drei Fragen an…“ mit dem PwC-Experten Peter Mussaeus. Peter ist Rechtsanwalt und verantwortet bei uns die energierechtliche Beratungspraxis.

Peter Mussaeus, Partner, Tax & Legal

„Derzeit gibt es ein engmaschiges Monitoring der Versorgungssituation, bei dem ständig analysiert und bewertet wird, ob weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen müssen. Das ist leider auch erforderlich.“

Der Krieg in der Ukraine stellt unter anderem die deutsche Energiepolitik auf den Kopf, denn die Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen ist immens. Wohin steuern die deutschen Energiekosten und wie steht es um die Versorgungssicherheit?

Peter Mussaeus: Fangen wir mal mit den Energiekosten an. Da gibt es kurzfristige und langfristige Komponenten. Kurzfristig haben wir eine sehr angespannte Situation, die schon zum Beginn des Krieges durch hohe Energiepreise an der Börse geprägt wird. Diese Situation hat sich mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine nun noch intensiviert. In Zahlen gesprochen: bislang waren Preise von 20-30 Euro pro Megawattstunde normal, inzwischen liegen sie bei 120 bis 200 Euro. Wir haben derzeit zwar physikalisch genug Erdgas im Markt, die Pipelines aus Russland haben sogar mehr Durchlauf als in der Zeit vor dem Krieg. Aber dadurch, dass die Märkte so belastet und die Preise so hoch sind, ist die wirtschaftliche Belastung teilweise enorm. Und das betrifft sowohl die Energiewirtschaft als auch Industrie und Gewerbe, aber auch Haushalte. Denn es gibt ja unterschiedliche Abhängigkeiten von Energiekosten. Viele Unternehmen haben sich angesichts der schon erhöhten Strompreise im Herbst letzten Jahres nur kurzfristig und nicht langfristig mit Erdgas eingedeckt. Jetzt sind die Preise noch weiter gestiegen und jetzt wäre es noch teurer für sie, den hohen Energiepreis zu zahlen. Deshalb sind einzelne Unternehmen schon dabei, ihre Produktion zu drosseln, weil sie merken, dass sie ihre Produkte nicht mehr verkaufen können, weil sie jetzt doppelt so teuer sind.

Was die Versorgungssicherheit angeht, will sich Deutschland mittel- und langfristig unabhängig machen. Tatsächlich ist das Thema Erdgas etwas problematischer als das Thema Öl, weil es noch mehr Bereiche betrifft und aufgrund der bereits genannten Preis- und Marktentwicklungen zudem noch verfahrener ist. Das Bestreben der Bundesregierung geht deshalb dahin, die Abhängigkeit von Russland durch Alternativen zu ersetzen. Teil des Plans ist es, auf Mindestbestände in den Gasspeichern zu setzen. Daher gibt es aktuell ein neues Gesetz, welches steigende Mindestfüllmengen im Jahresverlauf definiert. Zudem setzt die Regierung auf LNG, also flüssiges Erdgas. Deutschland ist bislang allerdings eins der wenigen EU- Mitgliedstaaten ohne eigenes LNG Terminal und wird beispielsweise über Belgien oder Holland versorgt. Der Anteil reicht allerdings nicht aus, um den Bedarf an Erdgas zu decken. Deshalb sollen über Länder wir Qatar LNG-Bestände für Deutschland gesichert werden. Verschiedene LNG Terminals in Deutschland sind bereits in Planung. Trotzdem bleibt das Problem, dass es Jahre dauert, ein solches Terminal zu bauen. Dieser Ansatz wird also nicht zu einer kurzfristigen Lösung führen. Es ist aber zumindest mittelfristig eine Verbesserung in Sachen Versorgungssicherheit. Ein Ansatz, der zu einem schnelleren Effekt führen könnte, ist die Reduzierung des Energieverbrauchs, und zwar in möglichst allen Bereichen. Dies ist wiederum aufwendig umzusetzen.

Eine Möglichkeit zum Reduzieren ist der Gas-Notfallplan. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat nun am 30. März die Frühwarnstufe ausgerufen. Wie geht es jetzt weiter?

Peter Mussaeus: Dass Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck die Frühwarnstufe ausgerufen hat, bedeutet, dass Deutschland sich zumindest darauf vorbereitet, dass es zu Engpässen bei den Gaslieferungen kommt. Es gibt ein engmaschiges Monitoring der Versorgungssituation, bei dem ständig analysiert und bewertet wird, ob weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen werden können oder müssen. Sowohl Gaslieferanten als auch Fernleitungsnetz- oder Verteilnetzbetreiber ergreifen gemäß dem Gas-Notfallplan marktbasierte Maßnahmen, um die Versorgung mit Gas aufrechterhalten zu können. Beispielsweise loten sie aus, auf welche zusätzlichen Energiemengen sie zugreifen können. Zudem nutzen sie Möglichkeiten, große Verbraucher, insbesondere Industrieunternehmen, im Verbrauch zu drosseln. In dieser Krisenstufen geht dies nur mit Zustimmung der Verbraucher. Auch der Rückgriff auf die Gasspeicher ist eine marktbasierte Maßnahme. Allerdings sollen die Speicher möglichst geschont werden, damit sie bis zum Beginn des nächsten Winters aufgefüllt sind. Haushaltskunden sind übrigens nicht betroffen. Sie sind besonders geschützt und würden erst in allerletzter Konsequenz abgeschaltet.

Womit muss man rechnen, wenn es tatsächlich zu Lieferunterbrechungen kommt? Welche Auswirkungen gibt es und welche Maßnahmen kann man durchdenken?

Peter Mussaeus: Wenn es einen Lieferstopp geben sollte – sei es durch Russland oder durch ein europäisches Embargo verursacht –, hätte man direkt eine immense physikalische Verknappung. Dann wäre einfach weniger Gas verfügbar, was zu einer Mangellage führen würde, weil Deutschland etwa 50 Prozent seines Erdgases aus Russland bezieht. Das könnte ein Stück weit kompensiert werden durch LNG und vielleicht auch ein wenig durch Energieeffizienz. Aber damit ließe sich das Defizit natürlich nicht gänzlich ausgleichen. Man käme wohl nicht umhin, einzelne Verbraucher aus Industrie und Gewerbe abzuschalten. Hier kämen dann die Netzbetreiber ins Spiel, deren Kernkompetenz das Ausbalancieren der Netze ist – also den Markt zu sondieren und zu schauen, bei welchen Unternehmen die Gaszufuhr abgeschaltet oder zumindest gedrosselt werden könnte, um Energie einzusparen. Die Industrie hätte im Fall einer Lieferunterbrechung zuerst das Nachsehen. Private Haushalte sind wie schon gesagt geschützt und daher nicht unmittelbar von Abschaltungen betroffen. Denkbar sind aber auch im Haushaltsbereich Maßnahmen, die dazu führen, dass wir weniger Gas verbrauchen. Es gibt übrigens auch eine gewisse europäische Solidaritätspflicht. Das heißt: wenn ein EU-Staat in Schieflage gerät, müssen die anderen EU-Mitgliedstaaten ihn unterstützen. Das ist sicherlich auch ein Thema, dass man im Falle des Falles angehen wird.

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