Ableitung des Anteilswerts einer Kapitalgesellschaft aus Verkäufen zwischen fremden Dritten

Der Wert von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft ist nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG auf den Substanzwert begrenzt, wenn eine Ableitung des (niedrigeren) gemeinen Werts aus Verkäufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG möglich ist. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig war, ob der gemeine Wert eines Anteils an einer GmbH gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Bewertungsgesetz (BewG) aus Einziehungen von Geschäftsanteilen abgeleitet werden kann. Nach Satz 2 ist der gemeine Wert vorrangig aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten, die am Stichtag weniger als ein Jahr zurückliegen.

Die Klägerin zu 1. ist eine GmbH und Familienholdinggesellschaft, die insbesondere Beteiligungen an anderen Gesellschaften hielt. Die Kläger zu 2. und 3. sind Erben ihrer 2014 verstorbenen Mutter (M). M gehörten ca. 9,95 % der Anteile an der Klägerin zu 1.

Bereits seit dem Jahr 2009 waren mehrfach Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen an der Klägerin zu 1. jeweils zu einem Einziehungskurs von 400 % des jeweiligen Nennkapitals sowie ein Anteilsverkauf unter Gesellschaftern zu einem Veräußerungspreis von 400 % des Nennkapitals erfolgt. Im Februar 2015 erfolgten zwei Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen an der Klägerin zu 1. zu einem Einziehungskurs von 400 %. Die jeweils verbliebenen Anteile wurden verhältnismäßig aufgestockt. Im Jahr 2018 wurde ein weiterer Anteil an der Klägerin zu 1. unter Gesellschaftern zu einem Kurs von 380 % des Nennkapitals verkauft.

Das Finanzamt stellte den Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. nach einer Betriebsprüfung unter Ansatz des Substanzwerts fest.

Die Klage vor dem Finanzgericht Münster hatte keinen Erfolg (siehe unseren Blogbeitrag).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Eine Ableitung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zu 1. nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus zeitnahen Verkäufen unter Heranziehung eines Einziehungskurses von 400 % des Nennwerts kommt nicht in Betracht.

Dass der Mindestwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG keine Anwendung bei der Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten findet, ergibt sich aus dem Zweck der Norm, den gemeinen Wert der Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu ermitteln (teleologische Auslegung) und aus der inneren Systematik (systematische Auslegung).

§ 11 Abs. 2 Satz 1 BewG enthält das Bewertungsziel des Gesetzgebers und entspricht § 9 Abs. 1 BewG sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, nach denen die einzelnen Vermögensgegenstände wegen der zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem Annäherungswert an den gemeinen Wert zu bewerten sind (BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, Leitsatz 2.a).

Ist die Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen zwischen fremden Dritten möglich und damit das verfassungsrechtlich gebotene Bewertungsziel nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG erreicht, ist kein Grund ersichtlich den durch Ableitung aus zeitnahen Verkäufen gefundenen gemeinen Wert durch einen anderen, namentlich höheren Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG zu ersetzen.

Ein Ansatz der Anteile an der Klägerin zu 1. mit einem Einziehungskurs in Höhe von 400 % des Nennkapitals als Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kommt nicht in Betracht, so dass nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der Substanzwert als Mindestwert anzusetzen ist.

Zur Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG können solche Verkäufe nicht herangezogen werden, bei denen über Jahre hinweg regelmäßig derselbe Preis zugrunde gelegt wird.

Ein solcher Ansatz zeigt, dass die Beteiligten den Preis gerade nicht unter den Bedingungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektiver Wertmaßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören, gebildet haben (vgl. BFH-Urteil vom 15.07.1998, II R 23/97, BFH/NV 1998, 1463, m.w.N., unter II.1.). 

Ist eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, nicht möglich, so ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln.

Ob der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG eine andere im Geschäftsverkehr anerkannte Methode im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist, kann dahinstehen. Jedenfalls darf ein nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ermittelter Wert den Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht unterschreiten. Ein nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ermittelter Wert könnte daher nur gleich hoch oder höher sein als der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG. 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 25. September 2024 (II R 15/21), veröffentlicht am 6. Februar 2025.

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