Vorrang der Kapitalverkehrsfreiheit bei gesetzlicher Mindestbeteiligung von 10 Prozent

Eine nationale Regelung, die eine Mindestbeteiligungsschwelle von 10 Prozent voraussetzt, ist am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen und wird nicht von der Niederlassungsfreiheit verdrängt. Mit einem Urteil zu der früheren und im Streitjahr 2001 geltenden Rechtslage weicht der Bundesfinanzhof von seiner hierzu bisher vertretenen Auffassung ab.

Hintergrund und Ausgangslage

Im Streitfall ging es um das pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot von 5 Prozent („Schachtelstrafe“) hinsichtlich der von einer GmbH aus ihrer 25,17 prozentigen Beteiligung an einer indischen Kapitalgesellschaft in 2001 gemäß § 8b Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) steuerfrei bezogenen Dividende. Die Schachtelstrafe gilt erst seit 2004 auch für Inlandsdividenden, wodurch die Norm europarechtlich entschärft wurde. Während es in der ab 2002 geltenden Regelung keine Mindestbeteiligungsgrenze gab, war im Streitfall nach der bis einschließlich des VZ 2001 geltenden Regelung des § 8b Abs. 7 i. V. m. Abs. 5 KStG 1999 die Steuerfreiheit der Auslandsdividenden und damit verbunden die Anwendung des pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbots von 5 Prozent von einer Mindestbeteiligungsgrenze von 10 Prozent abhängig.

Frühere Rechtsauffassung des BFH…

Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft ermöglichen und deren Tätigkeiten zu bestimmen, fällt in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Hingegen sind nationale Regelungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (so im EuGH-Urteil C-504/16, Deister Holding). Mit Urteil vom 6. März 2013 (I R 10/11) bzw. 29. August 2012 (I R 7/12) hatte der BFH entschieden, dass eine unmittelbare Beteiligung von mindestens 10 Prozent bei der gebotenen typisierenden Betrachtung einen „hinreichend sicheren Einfluss" ermöglicht und damit vorrangig die Niederlassungsfreiheit anwendbar sei.

…steht im Widerspruch zu derjenigen des Europäischen Gerichtshofes

An dieser Rechtsprechung hält der BFH nun unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Rechtsprechung nicht mehr fest. Danach ermöglicht es eine Beteiligung von mindestens 10 Prozent zwar, diejenigen Investitionen vom Geltungsbereich der Befreiung auszuschließen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage getätigt werden, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll. Eine Beteiligung in dieser Höhe lasse aber nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass die Gesellschaft, die sie hält, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt (z. B. EuGH-Urteile Kronos International vom 11. September 2014, C-47/12, Itelcar vom 3. Oktober 2013, C-282/12).

Demzufolge ist die Regelung zur "Schachtelstrafe" des § 8b Abs. 7 KStG 1999 nicht nur auf Dividenden anwendbar, die eine gebietsansässige Gesellschaft auf Grundlage einer Beteiligung hält, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der ausschüttenden Gesellschaft verleiht, sondern auch auf Dividenden, die auf der Grundlage einer Beteiligung bezogen werden, die keinen solchen Einfluss verleiht. Da in § 8b Abs. 7 KStG 1999 die Pauschalierung lediglich zu Lasten ausländischer Beteiligungsgesellschaften wirkte, verstößt sie gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.

Fundstelle

BFH-Urteil vom 24. Juli 2018 (I R 75/16), veröffentlicht am 30. Januar 2019

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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