Rückgängigmachung des Verzichts auf Steuerbefreiung bei einem Grundstückskaufvertrag

Ist im notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag auf die Umsatzsteuerbefreiung für die Grundstückslieferung verzichtet worden, kann dieser Verzicht nachträglich bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft der Umsatzsteuerfestsetzung rückgängig gemacht werden; dem stehen weder das Umsatzsteuerrecht noch das Unionsrecht entgegen. Mit dieser Entscheidung wendet sich das Finanzgericht Baden-Württemberg gegen die Auffassung der Finanzverwaltung.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten sich um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung in den Fällen eines Grundstückskaufvertrags rückgängig gemacht werden kann. Grundsätzlich sieht § 4 Nr. 9 Buchst. a Umsatzsteuergesetz (UStG) vor, dass Umsätze, die unter das Grunderwerbesteuergesetz fallen, steuerfrei sind. § 9 Abs. 1 UStG ermöglicht allerdings einen Verzicht auf die Steuerbefreiung, wenn der Umsatz für einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird, wodurch der Unternehmer die Möglichkeit hat, die ihm in Rechnung gestellte Vorsteuer abzuziehen. Dieser Verzicht ist in den Fällen des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG insofern befristet, als er in dem notariell zu beurkundenden Vertrag zu erklären ist. Im vorliegenden Fall ging es allerdings nicht um die Erklärung des Verzichts; dieser war unstreitig 2009 in dem notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag erklärt worden. Vielmehr ging es um den Widerruf des Verzichts, der (ebenfalls notariell beurkundet) erklärt wurde, nachdem sich die Interessenlage der Klägerin, der Erwerberin des Grundstücks, geändert hatte. Das Finanzamt ging davon aus, dass nachträglich zu dem Grundstückskaufvertrag ein Verzicht nicht möglich sei.

Entscheidung des Finanzgerichts

Das Finanzgericht entschied - und entgegen der Verwaltungsauffassung in Abschn. 9.2 Abs. 9 Satz 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass - dass eine Rückgängigmachung des Verzichts durch eine weitere notariell beurkundete Erklärung möglich sein müsse. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG, der allein den Verzicht betreffe, stehe dem nicht entgegen. Eine gegenteilige Rechtshandlung (der actus contrarius) könne niemals unmittelbar in dem notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag erklärt werden, sondern müsse ihm zeitlich nachfolgen. Dies liege in der Natur der Sache. Folgte man dem Finanzamt, wäre die Rückgängigmachung des Verzichts faktisch ausgeschlossen.

Im Streitfall haben sich die Verhältnisse für den Vorsteuerabzug nicht geändert. Sowohl der Erwerb als auch die Veräußerung des Grundstücks sind steuerfrei. Die Veräußerin hat ihren Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Grundstückslieferung wirksam rückgängig gemacht. Die Rückgängigmachung des Verzichts im Jahr 2012 wirkt auf das Jahr der Ausführung des Umsatzes (hier: 2009) zurück. Insofern schied nach Auffassung des Finanzgerichts eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a Abs. 2 UStG aus.

Das Unionsrecht macht für den Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Verzichts keine Vorgaben. Nach Art. 137 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie können die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich u.a. bei Grundstücksumsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden. Die Mitgliedstaaten legen dabei - wie in Deutschland - die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des Wahlrechts fest.

Fundstelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. August 2019 (1 K 3115/18); die Revision ist beim BFH unter dem Az. XI R 22/19 anhängig.

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