EuGH Vorlage zur Auslegung des Begriffs der Lieferkette in Missbrauchsfällen

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Begriffs „Lieferkette” im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzugs in Missbrauchsfällen vorgelegt. Fraglich ist, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund des Umstands, dass die Klägerin von den Umsatzsteuerhinterziehungen auf einer vorhergehenden Umsatzstufe hätte Kenntnis haben müssen, gerechtfertigt ist.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb einen Getränkegroßhandel. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2009 und 2010 machte sie u.a. Vorsteuern aus Rechnungen der P-GmbH geltend. Die in den Rechnungen aufgeführten Getränkelieferungen wurden von der P-GmbH tatsächlich an die Klägerin erbracht. Weder die Klägerin noch die P-GmbH haben im Rahmen ihrer Umsatzbeziehung eine Steuerhinterziehung begangen. Die P-GmbH hat jedoch die an die Klägerin gelieferten Getränke unter Begehung mehrerer Umsatzsteuerhinterziehungen unter Beteiligung des Ehemanns der Klägerin bezogen. Ein Mitarbeiter der P-GmbH hatte Scheinrechnungen über den Wareneinkauf erstellt und die P-GmbH machte aus diesen zu Unrecht den Vorsteuerabzug geltend. Das Finanzamt versagte auch bei der Klägerin den Vorsteuerabzug, soweit Vorsteuerbeträge auf Eingangsleistungen der P-GmbH entfielen. Begründung: Die Klägerin sei mit ihrem Unternehmen Teil einer Lieferkette gewesen sei, in der Umsatzsteuerhinterziehungen begangen worden seien.

Entscheidung des Finanzgerichts

Nach unionsrechtlichen Grundsätzen, so dass Finanzgericht, käme eine Versagung des Vorsteuerabzugs bezogen auf das Ausgangsverfahren nur dann in Betracht, wenn die streitigen Umsätze Teil einer Lieferkette waren, innerhalb derer eine Steuerhinterziehung stattgefunden hat. Da nach Meinung des Finanzgerichts der vom EuGH verwendete Begriff „Lieferkette“ von diesem – soweit ersichtlich – bislang nicht näher definiert worden ist, wird die folgende Vorlagefrage den Europarichtern zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 167 , 168 Buchst. a MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsanwendung entgegen stehen, nach der ein Vorsteuerabzug auch dann zu versagen ist, wenn auf einer vorhergehenden Umsatzstufe eine Umsatzsteuerhinterziehung begangen wurde und der Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, er mit dem an ihn erbrachten Umsatz aber weder an der Steuerhinterziehung beteiligt noch in diese einbezogen war und die begangene Steuerhinterziehung auch nicht gefördert oder begünstigt hat?

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH spreche summarisch vieles dafür, so das Finanzgericht in seiner ausführlichen Analyse (Rz. 20ff des Volagebeschlusses), dass eine bloße Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen hinsichtlich einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Steuerhinterziehung ohne aktives Fördern oder Begünstigen nicht ausreichend sein dürfte. Dass eine Anwendung der Vorsteuerversagung im Streitfall unzutreffend sein dürfte, könnte nach Ansicht Finanzrichter schließlich auch durch die ständige Rechtsprechung des EuGH belegt sein, wonach umsatzsteuerlich nicht zwischen „erlaubten“ und „unerlaubten“ Umsätzen zu differenzieren ist. Ob ein Umsatz rechtlich missbilligt wird, ist für dessen Umsatzbesteuerung irrelevant, da der Grundsatz der mehrwertsteuerlichen Neutralität eine Erfassung sämtlicher Umsätze erfordert.

Fundstelle

Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Vorlagebeschluss vom 5. Februar 2020 (5 K 5311/16); das Verfahren wird beim EuGH unter der Rechtssache C-108/20, Finanzamt Wilmersdorf geführt.

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