Keine Versagung des Vorsteuerabzugs bei fehlendem Nachweis eines Steuerbetrugs; kein Vertrauensschutz bei sorgfaltswidriger Nichtabfrage der USt-IdNr

Hat das Finanzamt nicht dargelegt, dass ein Steuerbetrug begangen worden ist, kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nicht in Betracht. Die Nichtabfrage der USt-IdNr. des Empfängers zeitnah zur ersten innergemeinschaftlichen Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, die Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG ausschließt. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, betrieb in den Streitjahren einen Groß- und Einzelhandel im In- und Ausland mit alkoholischen und alkoholfreien Getränken. Die GmbH bezog in den Streitjahren Waren sowohl von der R GmbH als auch von der P GmbH.

Im Rahmen einer Außenprüfung, in deren Verlauf das Finanzamt von der Steuerfahndung informiert wurde, dass die Klägerin in sog. Umsatzsteuerkarussellketten eingebunden gewesen sei, kam das Finanzamt zu der Auffassung, dass Vorsteuer u.a. aus den Rechnungen der R GmbH in 2009 nicht abzugsfähig sei, da die Rechnungsausstellerin keine Waren geliefert habe.

Weiterhin lieferte die Klägerin Getränke an die J-S.A.R.L., die als Sitz Luxemburg angab. Auf die Anfrage der Klägerin beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), teilte dieses am 16. Juni 2010 mit, dass die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) der J-S.A.R.L. gültig sei.

Die Lieferungen wurden jedoch nicht in Luxemburg, sondern im Inland bewirkt. Die Klägerin richtete ein Schreiben an das Finanzamt und bat um die Prüfung der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Geschäfte mit der J-S.A.R.L., da der wirtschaftliche Hintergrund der Bestellungen und die Abholung durch ein Unternehmen in Luxemburg nicht nachvollziehbar sei.

Das Finanzamt stellte am 06. Oktober 2010 fest, dass die USt-IdNr. der J-S.A.R.L. seit dem 24. Juni 2010 nicht mehr gültig war, und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin ein. Die luxemburgischen Behörden teilten mit, dass die J-S.A.R.L. unter der Anschrift in Luxemburg nicht aufzufinden gewesen und daher aus der Liste der Mehrwertsteuerpflichtigen zum 24. Juni 2010 gelöscht worden sei.

Daraufhin verweigerte das Finanzamt die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen. Die Klägerin berief sich auf den Vertrauensschutz.

Die Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg hinsichtlich des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der R GmbH hatte Erfolg. Dagegen seien die Lieferungen betreffend "J-S.A.R.L." nicht als weitere steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen zu berücksichtigen und der Klägerin insofern auch kein Vertrauensschutz zu gewähren.

Daraufhin legten sowohl die Klägerin als auch das Finanzamt Revision ein.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und sowohl die Revision des Finanzamtes als auch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Wird die Abfragemöglichkeit nach § 18e Umsatzsteuergesetz (UStG) sorgfaltspflichtwidrig nicht wahrgenommen, ergibt sich aus sachlichen Billigkeitsgründen kein über § 6a Abs. 4 UStG hinausgehender Vertrauensschutz.

Die Klägerin konnte die Unrichtigkeit der Angaben der J-S.A.R.L. (Angabe einer ungültigen USt-IdNr.) bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erkennen, und kann deshalb den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG nicht in Anspruch nehmen.

Eine Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der R GmbH kam, wie schon das Finanzgericht festgestellt hatte, nicht in Betracht. Der Vorsteuerabzug kann nur versagt werden, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.

Dies ist nicht nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch dann, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. EuGH, Urteil v. 22. Oktober 2015 - C 277/14 „PPUH Stehcemp“).

Im Streitfall ist aber bereits vom Finanzamt nicht dargetan, worin der ungerechtfertigte Steuervorteil der Klägerin (oder der B GmbH) bestehen soll. Das bloße Vorliegen einer Kette von Umsätzen und die bloße Vermutung des Finanzamtes, dass die Klägerin die Verfügungsmacht über die Ware tatsächlich nicht von der B GmbH, sondern von der P GmbH erhalten habe, was das Finanzgericht indes nicht festgestellt hat, rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass deshalb kein Umsatz zwischen der B GmbH und der Klägerin bewirkt worden sei.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 11. März 2020 (XI R 38/18), veröffentlicht am 13. August 2020.

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