Update: DBA-Freistellung für Dividenden - anlegerbezogene Betrachtung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass § 4 InvStG 2004 dahin auszulegen ist, dass die Frage, ob Dividendenerträge nach einem Doppelbesteuerungsabkommen aufgrund des sog. Schachtelprivilegs steuerbefreit sind, im Einklang mit dem sog. Transparenzprinzip nach Maßgabe der Beteiligungen der Fondsanleger zu beurteilen ist.

Sachverhalt

Der Kläger war in den Jahren 2009 und 2010 ein inländisches Immobilien-Spezial-Sondervermögen. An diesem waren zwei Anleger mit jeweils mehr als 10 % der Anteile und die übrigen Anleger mit jeweils weniger als 10 % beteiligt.

Zum investmentrechtlichen Sondervermögen des Klägers gehörten im Geschäftsjahr 2009/2010 alle Anteile an einer polnischen Kapitalgesellschaft. Diese nahm im Dezember 2009 eine Ausschüttung vor. Der Kläger machte diese Ausschüttung in der Feststellungserklärung als für alle Anleger nach § 4 Abs. 1 Investmentsteuergesetz (InvStG) i. V. mit Art. 24 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 DBA Polen steuerfreie Schachteldividende geltend, da nach Auffassung des Klägers aus Sicht des DBA Polen für erforderliche Beteiligungshöhe von mindestens 10 % nicht auf die anteilige Beteiligungsquote der Anleger abzustellen sei, sondern auf die Beteiligung des Sondervermögens, die 100% betrage.

Das Finanzamt war demgegenüber der Auffassung, die Steuerbefreiung nach dem abkommensrechtlichen Schachtelprivileg gelte nur für jene Anleger, die zu mindestens 10 % am Kläger und damit mittelbar auch an der polnischen Kapitalgesellschaft beteiligt gewesen seien.

Die Klage vor dem Hessischen Finanzgericht blieb ohne Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 sind die auf Investmentanteile ausgeschütteten Erträge bei der Veranlagung der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer insoweit außer Betracht zu lassen, als sie aus einem ausländischen Staat stammende Einkünfte enthalten, für die Deutschland aufgrund eines DBA auf die Ausübung des Besteuerungsrechts verzichtet hat.

Der Wortlaut der Vorschrift lässt --anders als § 15 Abs. 1a Satz 1 InvStG 2004 in Bezug auf die Besteuerung von Streubesitzdividenden bei den Anlegern von Spezial-Investmentfonds-- keinen eindeutigen Schluss darauf zu, aus wessen Perspektive das Tatbestandsmerkmal des Verzichts auf die Ausübung des Besteuerungsrechts zu beurteilen ist.

Nach Ansicht des BFH ist das Tatbestandsmerkmal des Besteuerungsverzichts in § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 dahin zu interpretieren, dass es nicht auf die tatsächliche Abkommensberechtigung in der Fondskonstellation ankommt, sondern im Rahmen einer fiktiven Betrachtung ausschließlich auf die Prüfung gerichtet ist, ob der jeweilige Anleger, wäre er unmittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt, sich auf einen abkommensrechtlichen Besteuerungsverzicht berufen könnte (anlegerbezogene Sichtweise, vgl. BMF-Schreiben v. 18. August 2009 - IV C 1 -S 1980 1/08/10019, Rz 75a).

Für dieses Normverständnis spricht, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 unmittelbar die Ebene der Besteuerung der Anleger betrifft ("… bei der Veranlagung der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer"…). Darüber hinaus entspricht diese Sichtweise sowohl dem verlautbarten Willen des historischen Gesetzgebers als auch dem Normzweck.

Der Begründung der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 sei unmissverständlich der Wille des historischen Gesetzgebers zu entnehmen, den einzelnen Anleger in abkommensrechtlicher Hinsicht so behandeln zu wollen, als wäre er selbst anteilig unmittelbarer Empfänger der jeweiligen ausländischen Einkünfte.

Dieser erkennbare Wille deckt sich überdies mit dem im Investmentsteuergesetz seinerzeit angelegten (eingeschränkten) Transparenzprinzip, das darauf abzielte, Erträge des Fonds unmittelbar beim Anleger zu erfassen.

Die vom Kläger gegen die anlegerbezogene Sichtweise erhobene Einwendung, diese könne in den Fällen der Publikumsfonds nicht zu einer Steuerfreistellung von Anlegern führen, weil dem Publikumsfonds die Identität und der Beteiligungsumfang der Anleger regelmäßig nicht bekannt seien, ist nicht stichhaltig. Jene Anleger, bei denen die Voraussetzungen einer Begünstigung nach einem DBA vorgelegen haben, waren nicht aus Rechtsgründen gehindert, die im Feststellungsverfahren unberücksichtigt gebliebene Begünstigung im Rahmen der individuellen Veranlagung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer noch geltend zu machen.

Update (08. Oktober 2020)

Das Urteil I R 51/16 wurde im BStBl. veröffentlicht, BStBl. II 2020, Seite 470.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 23. Oktober 2019 (I R 51/16), veröffentlicht am 9. Juli 2020.

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