Update: EuGH-Vorlage zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Leistung durch Ist-Versteuerer

Das Finanzgericht Hamburg hat den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung u. a. darüber gebeten, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen steht, nach der das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden nach nationalem Recht erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht.

Ausgangslage

Streitig ist, ob der Vorsteueranspruch des Leistungsempfängers nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) bereits mit der Ausführung der Leistung oder erst mit der Entrichtung des Entgelts entsteht, wenn der Leistungserbringer ein Ist-Versteuerer nach § 20 UStG ist, der die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet. Nach deutscher Gesetzeslage kann der Leistungsempfänger die Vorsteuer abziehen, wenn die Leistung erbracht ist. Unerheblich ist, ob der Leistende Soll- oder Ist-Versteuerer ist und ob das Entgelt bereits gezahlt wurde. Dies ermöglicht eine Vorfinanzierung zu Lasten des Fiskus, indem der Leistungsempfänger die Vorsteuer abzieht, obwohl er die Leistung noch nicht gezahlt hat und der Leistungsempfänger die entsprechende Steuer noch nicht schuldet. Diese für den Steuerpflichtigen günstige Regelung könnte dem Unionsrecht widersprechen, das in Art. 167 MwStSysRL vorsieht, dass der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers erst entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht; Ausnahmen für Leistungen von Ist-Versteuerern sind nicht vorgesehen.

Beschluss des Finanzgerichts + Besonderheit im Vorlagefall

Da für den Steuerpflichtigen günstige Regelungen normalerweise nicht zu Klageverfahren führen und demzufolge auch keine Vorlagen an den EuGH auslösen, bedurfte es einer besonderen Konstellation. Diese war im Streitfall gegeben: Die Klägerin ist eine zur Umsatzsteuer optierende Vermietungsgesellschaft, die ein ihrerseits gemietetes Grundstück weitervermietete. Beiden Vertragsparteien war gestattet, die Steuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Die Mietzahlungen wurden der Klägerin teilweise gestundet, die Vorsteueransprüche machte sie immer erst geltend, wenn die Zahlung erfolgte. Diese Verfahrensweise wurde nach einer Außenprüfung beanstandet und die Vorsteuer nunmehr bereits im Zeitraum der Ausführung des Umsatzes – monatsweise Mietüberlassung – berücksichtigt. Infolge zwischenzeitlich eingetretener Verjährung konnte die Vorsteuer in den Änderungsbescheiden für vergangene Jahre nicht mehr berücksichtigt werden. Hiergegen richtete sich die auf den Unionsrechtsverstoß gestützte Klage.

Update (9. September 2021)

Der Generalanwalt (GA) schlägt dem Gericht in seinen heutigen Schlussanträgen vor, die erste Frage des Finanzgerichts Hamburg wie folgt zu beantworten: Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn – gemäß einer nationalen Abweichung nach Art. 66 Buchst. b der Richtlinie – der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und das Entgelt noch nicht gezahlt worden ist.

Der GA führt dazu im Wesentlichen aus: Die Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 (GK) als Steuerpflichtige und Empfängerin von Vermietungsdienstleistungen habe aufgrund des klaren Wortlauts der Mehrwertsteuerrichtlinie die auf diese Dienstleistungen entfallende Vorsteuer zu dem Zeitpunkt abzuziehen, zu dem der Steueranspruch gegen die Vermieterin entsteht. Genau dies habe GK in Kenntnis, dass ihre Vermieterin ein Ist-Versteuerer war, getan. Die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen enthalten nichts, was darauf hindeuten würde, dass GK den geringsten Versuch unternommen hätte, sich irgendeinen Vorteil, geschweige denn einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen. Vor dem Gerichtshof sind keine Betrugsvorwürfe laut geworden. Ein Vorsteuerabzug zu dem früheren Zeitpunkt, wie es nach der Rechtsauffassung des Finanzamts erforderlich wäre, würde im Gegenteil zu einem nicht unerheblichen Liquiditätsvorteil von GK zum Nachteil der Steuerbehörde führen.

Fundstelle

Finanzgericht Hamburg Newsletter 1/2020, Beschluss vom 10. Dezember 2019 (1 K 337/17); das Verfahren ist beim EuGH unter dem Az. C-9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 anhängig.

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