Update: Kein Anspruch auf Einsicht in die Einkommensteuerakte auf Grundlage der DSGVO

Das Niedersächsische Finanzgericht hat entschieden, dass die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern, wie etwa die der Umsatzbesteuerung, anwendbar sind, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommensbesteuerung natürlicher Personen. Es ist nicht zulässig, den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO durch ein Schreiben der Finanzverwaltung zu erweitern.

Sachverhalt

Streitig ist das Bestehen eines Anspruchs auf Akteneinsicht der Kläger nach den Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die Kläger begehrten unter Hinweis auf die Vorschrift des Art. 15 Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 2 DSGVO die Einsicht in ihre Einkommensteuerakte beim beklagten Finanzamt.

Das beklagte Finanzamt lehnte diesen Antrag ab.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage.

Richterliche Entscheidung

Das Niedersächsische Finanzgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der von den Klägern mit ihrer Klage geltend gemachte und auf die Vorschriften der DSGVO gestützte Anspruch auf Akteneinsicht besteht nicht, da sich der sachliche Anwendungsbereich der Vorschriften der DSGVO nicht auf das Gebiet der Einkommensteuer erstreckt.

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a DSGVO findet diese Verordnung keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

Dementsprechend sind die Vorschriften der DSGVO im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern, wie etwa die der Umsatzbesteuerung, anwendbar, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommensbesteuerung natürlicher Personen.

Der nationale Gesetzgeber hat den sachlichen Anwendungsbereich der Norm des Artikels 2 DSGVO auch nicht auf den Bereich nicht harmonisierter Steuern ausgedehnt. Insbesondere kann der Vorschrift des § 2a AO keine solche Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs entnommen werden, da sich diese Vorschrift nicht mit Fragen der sachlichen Anwendung der Datenschutzgrundverordnung auf die einzelnen Steuerarten, wie etwa die der Einkommensbesteuerung, befasst.

Soweit sich die Kläger hinsichtlich eines auch auf die Einkommensbesteuerung erstreckenden sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO auf das BMF-Schreiben vom 12.1.2018 berufen, vermag ihnen das Gericht ebenfalls nicht zu folgen.

Das Finanzgericht erachtet es schon nicht als zulässig, wenn die Finanzverwaltung und nicht der hierzu gegebenenfalls aufgerufene und befugte Gesetzgeber im Wege eines (bloßen) BMF-Schreibens den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO auf nicht harmonisierte Steuern ausdehnte. Die Finanzverwaltung darf – auch nicht zu Gunsten eines Steuerpflichtigen – von gesetzlichen Bestimmungen nicht abweichen. Insoweit können sich die Kläger mit Erfolg auch nicht auf eine Selbstbindung der Verwaltung berufen. Dies widerspricht der vom Finanzgericht des Saarlandes in seinem Beschluss vom 3. April 2019 vertretenen Auffassung (vgl. unseren Blogbeitrag).

Update (03. Mai 2022)

Durch Gerichtsbescheid vom 03. Februar 2022, 15 K 1212/19, hat der 15. Senat des Finanzgericht München seine Rechtsprechung bestätigt (vgl. bereits das Urteil 15 K 118/20), wonach Betroffene bzgl. aller Steuerarten nach Art. 15 DSGVO gegenüber den Finanzbehörden einen gebundenen Anspruch auf Auskunft über ihre durch die Behörden verarbeiteten persönlichen Daten haben.

Der Auskunftsanspruch bestehe jedoch nicht in allen Fällen, sondern könne unter den Voraussetzungen des § 32c AO ausgeschlossen werden. Art. 23 Abs. 1 Buchstabe e DSGVO (ABl. EU 2016 Nr. L 119, S. 1 ff.) gebe den EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht, zum Schutz wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses, bspw. im Steuerrecht, das Auskunftsrecht Betroffener nach Art. 15 DSGVO zu beschränken. Von dieser Möglichkeit habe Deutschland in § 32c AO Gebrauch gemacht.

Über den Auskunftsanspruch hinaus hätten Betroffene jedoch kein allgemeines Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren und erst recht keinen Anspruch darauf, dass ihnen Kopien aus den Akten zur Verfügung gestellt würden.

Die konkrete Klage, mit der eine Bank begehrte, ihr Kopien aller Daten über sie zur Verfügung zu stellen, die Gegenstand der Verarbeitung durch das Finanzamt waren, wies das Finanzgericht daher ab und ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Über die Einlegung ist noch nichts bekannt.

Update (16. März 2022)

Das Finanzgericht München hat mit Urteil 15 K 118/20 vom 04. November 2021 entschieden, dass die DSGVO auf die Datenverarbeitung sämtlicher durch das Finanzamt verwalteten Steuern anwendbar ist (anders FG Niedersachsen 12 K 213/19, Rz. 15 ff.).

Darauf aufbauend bejahte es grundsätzlich das Vorliegen eines nicht in das Ermessen der Behörde gestellten Auskunftsanspruch über die vom Finanzamt verarbeiteten Daten. Das FG setzt sich dabei intensiv mit dem Begriff der „personenbezogenen Daten“ (vgl. Rn. 22 ff. und 55 ff.) sowie dem Begriff der „(teil-)automatisierten Datenverarbeitung“ i.S.d. DSGVO (vgl. Rn. 37 ff.) sowie der Reichweite und den Grenzen des Auskunftsanspruchs auseinander (vgl. ab Rn. 72 ff. oder die nachfolgend wiedergegebenen Leitsätze 2 und 3). Ein Recht auf Einsicht in die Steuerakte oder einzelne Verwaltungsdokumente ist nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich nicht vom Auskunftsanspruch umfasst.

Gegen das Urteil ist beim BFH unter dem Az. II R 43/21 Revision anhängig.

Update (09. März 2022)

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat durch Urteil vom 27. Oktober 2021, 16 K 5148/20, entschieden, dass die Vorschriften der DSGVO auch für die unionsrechtlich nicht harmonisierten Steuern gelten. Dabei könne, so das Finanzgericht, dahinstehen, ob sich diese Rechtsfolge unmittelbar aus der DSGVO ergebe. Sie ergebe sich jedenfalls aus dem umfassenden Verweis auf die DSGVO in § 2a AO.

Die Klage war gleichwohl nicht erfolgreich, da der Kläger unter Berufung auf die DSGVO (insbesondere auf deren Art. 15 Abs. 3) geltend gemacht hatte, dass er einen Anspruch darauf habe, dass ihm das FA die gesamten über ihn geführten Akten unentgeltlich auf Papier (in Kopie) oder elektronisch aushändige. Diesen Anspruch lehnte das Finanzgericht ab.

Die umstrittene Frage, ob der grundsätzlich bestehende Anspruch des Stpfl. auf eine ermessensgerechte Entscheidung des FA über einen Antrag auf bloße Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren (vgl. hierzu BFH vom 23. Februar 2010, VII R 19/09, BStBl. II 2010, 729) durch die DSGVO zu einem gebundenen Anspruch verstärkt wird (vgl. hierzu den Kostenbeschluss 2 K 1002/16 des FG des Saarlandes, Update 12. Mai 2020), musste das Finanzgericht nicht beantworten, weil der Kläger die bloße Akteneinsicht nicht beantragt hatte.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, das Az. beim BFH ist II R 47/21.

Update (04. Februar 2022)

Mit Urteil vom 8. Juni 2021 (II R 15/20) hat der BFH die Klage des Steuerpflichtigen gegen die Ablehnung eines auf die DSGVO gestützten Antrags auf Akteneinsicht als unzulässig verworfen, da bereits eine Klage zu dem gleichen Streitgegenstand anhängig war. Der BFH hob das Urteil der Vorinstanz (FG Niedersachsen vom 28.1.2020, 12 K 213/19) jedoch auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat nun Gelegenheit die Sache mit der zuvor anhängig gemachten Klage zu verbinden.

Update (27. Juli 2020)

Der VII. Senat des BFH hat das anhängige Verfahren VII R 12/20 an den II. Senat abgegeben. Das neue Az. lautet II R 15/20.

Update (10. Juli 2020)

Die Revision wurde mittlerweile eingelegt und ist beim BFH unter dem Az. VII R 12/20 anhängig.

Fundstelle

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 28. Januar 2020 (12 K 213/19), die Revision ist beim BFH unter dem Az. II R 15/20 anhängig.

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