Update: Privates Veräußerungsgeschäft nach unentgeltlicher Übertragung - grundsätzlich kein Gestaltungsmissbrauch

Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Besteuerung eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und --damit zusammenhängend-- um das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

Die Klägerin erwarb im Jahr 2011 ein Grundstück. Im Jahr 2012 übertrug die Klägerin das Eigentum an ihrem Grundstück unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihren volljährigen Sohn und ihre volljährige Tochter. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom selben Tag verkauften diese das Grundstück. Der Kaufpreis wurde je zur Hälfte an die beiden Kinder der Klägerin ausgezahlt. Die Verkaufsverhandlungen waren allein von der Klägerin geführt worden.

In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr (2012) erklärte die Klägerin keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Das Finanzamt sah in der Schenkung an den Sohn und die Tochter einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. von § 42 AO; der Veräußerungsgewinn sei der Klägerin zuzurechnen. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr setzte das Finanzamt daher sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft an. Die Klägerin legte gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2012 erfolglos Einspruch ein.

Die hiergegen erhobene Klage vor dem Finanzgericht Nürnberg hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Die Klägerin hat das im Jahr 2011 angeschaffte Grundstück nicht veräußert, sondern es nach den bindenden Feststellungen des Finanzgerichts unter dem 2012 unentgeltlich im Wege der Schenkung auf die Beigeladenen übertragen. Dass die Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung von Rechtsgeschäften zwischen nahestehenden Personen der Annahme einer unentgeltlichen Übertragung entgegenstehen, lässt sich den Feststellungen des Finanzgerichts nicht entnehmen. Da die Klägerin das Grundstück nicht veräußert hat, ist ihr auch kein Veräußerungsgewinn i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG entstanden.

Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO), der zur Entstehung des Steueranspruchs aus der Veräußerung des Grundstücks bei der Klägerin führen könnte, liegt ebenfalls nicht vor.

Die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks an einen Dritten, der das Grundstück sodann innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG veräußert, unterfällt dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG und stellt daher ungeachtet der zeitlichen Nähe zwischen Übertragung und Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dar.

Unterfällt ein Sachverhalt einer Regelung i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift. Daneben kommt die Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO und die daran anknüpfende Rechtsfolge in § 42 Abs. 1 Satz 3 AO grundsätzlich nicht in Betracht.

Bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG handelt es sich um eine Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient und damit um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO.

Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke des § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Die Vorschrift regelt die Entstehung des Veräußerungsgewinns bei vorangegangenem unentgeltlichen Erwerb. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale werden dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger aufgrund Gesetzes persönlich zugerechnet. Dies bewirkt, dass das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert wird, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat.

Im Streitfall ist auch der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Die Klägerin und ihre Kinder haben mit der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks und der anschließenden Veräußerung genau die Voraussetzungen erfüllt, die mittels Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG zur Entstehung jeweils eines hälftigen Veräußerungsgewinns bei den Kindern führen.

Den Feststellungen des Finanzgerichts lässt sich nicht entnehmen, dass die vertraglichen Regelungen zur Schenkung des Grundstücks an die Kinder sowie die Veräußerung des Grundstücks unangemessene Vereinbarungen enthielten. Auch der Umstand, dass der Veräußerungsgewinn bei den Beigeladenen niedriger besteuert wird als bei der Klägerin, führt nicht zur Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.

Update (23. März 2022)

Das Urteil IX R 8/20 wurde im BStBl. veröffentlicht, BStBl. II 2021, Seite 743.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 23. April 2021 (IX R 8/20), veröffentlicht am 26. August 2021.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

To the top