(Folge-)Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO in einer anderen Steuerart

Wurden Umsätze in Änderungsbescheiden zur Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer zunächst rechtsirrig als umsatzsteuerpflichtig (und eine Umsatzsteuerverbindlichkeit auslösend) berücksichtigt, darf das Finanzamt, wenn es dem Einspruch des Steuerpflichtigen gegen den Umsatzsteuerbescheid dadurch abhilft, dass es die Umsätze umsatzsteuerfrei belässt, den bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheid nach § 174 Abs. 4 AO einkommenserhöhend in dem Umfang ändern, in dem es zuvor zu einer Einkommensminderung gekommen war. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Hintergrund

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt die gegenüber der Klägerin ergangenen Körperschaftsteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2011 und 2012 (Streitjahre) vom 12. Mai 2014 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO erneut ändern durfte.

Die Klägerin, eine GmbH, gab in den Streitjahren u.a. elektronische Versicherungsbestätigungen (eVB) für die Zulassung von Fahrzeugen an andere Unternehmer weiter. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie Betriebseinnahmen, die sie in ihren Umsatzsteuer-Jahreserklärungen als umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) deklarierte. Das Finanzamt folgte dem und veranlagte antragsgemäß.

Nach einer Außenprüfung im Jahr 2014 vertrat das Finanzamt in den Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom 12. Mai 2014 die Auffassung, dass die Umsätze der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Gleichzeitig seien weitere Vorsteuerbeträge zum Abzug zuzulassen. In den Körperschaftsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom selben Tag verminderte das Finanzamt den Gewinn entsprechend.

Die Klägerin legte gegen die Umsatzsteuer-Änderungsbescheide Einspruch ein. Nach Ergehen des BFH-Urteils vom 24. Juli 2014, V R 9/13 (BFH/NV 2014, 1783) half das Finanzamt dem Einspruch der Klägerin wegen Umsatzsteuer für die Streitjahre ab.

Unter dem 01. Juli 2016 (für das Jahr 2011) und dem 12. Juli 2016 (für das Jahr 2012) erließ das Finanzamt auf § 174 Abs. 4 AO gestützte Körperschaftsteuer-Änderungsbescheide, mit denen es die in den Körperschaftsteuer-Änderungsbescheiden vom 12. Mai 2014 vorgenommenen Gewinnminderungen wieder rückgängig machte.

Die dagegen gerichtete Klage vor dem Finanzgericht Köln blieb ohne Erfolg. Der der rechtlichen Beurteilung zugrunde liegende Sachverhalt sei die entgeltliche Weitergabe der eVB. Diese Tätigkeit der Klägerin sei der einheitliche Lebensvorgang, der bei der Umsatzsteuer dazu führe, dass diese Tätigkeit nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei sei, und gleichzeitig bei der Körperschaftsteuer dazu führe, dass die Einnahmen als Nettoeinnahmen nicht um Umsatzsteuer zu kürzen seien. Beides beruhe auf demselben Sachverhalt ohne Ergänzung um weitere Sachverhaltselemente. Unerheblich sei, dass die Folgeänderung nicht auf die gleiche Rechtsfolge gerichtet sei und unterschiedliche Steuerarten betroffen seien.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO erfüllt sind.

Wurden Umsätze in Änderungsbescheiden zur Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer zunächst rechtsirrig als umsatzsteuerpflichtig (und eine Umsatzsteuerverbindlichkeit auslösend) berücksichtigt, darf das Finanzamt, wenn es dem Einspruch des Steuerpflichtigen gegen den Umsatzsteuerbescheid dadurch abhilft, dass es die Umsätze umsatzsteuerfrei belässt, den bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheid nach § 174 Abs. 4 AO einkommenserhöhend in dem Umfang ändern, in dem es zuvor zu einer Einkommensminderung gekommen war.

Der Regelungsmechanismus des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO setzt hinsichtlich der verfahrensmäßigen Abfolge voraus, dass ein angefochtener Bescheid als irrig erkannt und deswegen auf Antrag des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert wird. Dies löst sodann ‑"nachträglich"‑ die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann.

§ 174 Abs. 4 AO regelt mithin den Fall, dass verfahrensrechtliche Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zu ziehen sind (vgl. u.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10. November 1997, GrS 1/96, BStBl. II 1998, 83, Rz. 54).

Die Vorschrift soll in dieser Situation (erfolgreiches Vorgehen gegen einen anderen Bescheid) den Grundsätzen von Treu und Glauben gerecht werden: Der Steuerpflichtige soll im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an seiner Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 10. Mai 2012, IV R 34/09, BStBl. II 2013, 471, Rz. 26). Wer erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss die damit verbundenen Nachteile hinnehmen.

Eine irrige Beurteilung eines Sachverhalts i.S. des § 174 Abs. 4 AO liegt vor, wenn sich dessen Beurteilung nachträglich als unrichtig erweist; ob der dafür ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ist unerheblich.

Die zutreffende Berücksichtigung desselben Sachverhalts kann auch bei einer anderen Steuerart in Frage kommen, sofern ‑bezogen auf den zu beurteilenden Sachverhalt‑ eine sachliche Verbindung zwischen beiden Regelungsgegenständen besteht.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 17. März 2022 (XI R 5/19), veröffentlicht am 28. Juli 2022.

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