Übertragung eines nach dem 31.12.2018 ausgestellten Gutscheins über eine elektronische Dienstleistung in einer Leistungskette (Abgrenzung Einzweck-/Mehrzweck-Gutschein)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob sich das für die Annahme eines Einzweck-Gutscheins bestehende Erfordernis, dass der Ort der Leistung feststehen muss (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG und Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL) a) nur auf die Ausgabe ("Verkauf eines Gutscheins an Kunden" i.S. des Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 11 UStAE) oder b) auch auf eine vorausgehende Übertragung ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern" i.S. des Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 10 UStAE) bezieht. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen ADV-Beschluss entschieden.

Hintergrund

Durch Art. 9 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338, BStBl I 2018, 1377) wurden auf der Grundlage von Art. 30a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) § 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) die Absätze 13 bis 15 angefügt, die gemäß § 27 Abs. 23 UStG erstmals auf Gutscheine anzuwenden sind, die nach dem 31.12.2018 ausgestellt werden.

Nach § 3 Abs. 13 Satz 1 UStG ist ein Gutschein (Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein) ein Instrument, bei dem

1.

die Verpflichtung besteht, es als vollständige oder teilweise Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung anzunehmen und

2.

der Liefergegenstand oder die sonstige Leistung oder die Identität des leistenden Unternehmers entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind.

Ein Gutschein i.S. des § 3 Abs. 13 UStG, bei dem der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen, ist ein Einzweck-Gutschein. Überträgt ein Unternehmer einen Einzweck-Gutschein im eigenen Namen, gilt die Übertragung des Gutscheins als die Lieferung des Gegenstands oder die Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht (§ 3 Abs. 14 Sätze 1 und 2 UStG). Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die ein Einzweck-Gutschein als Gegenleistung angenommen wird, gilt dann nicht als unabhängiger Umsatz (§ 3 Abs. 14 Satz 5 UStG).

Ein Gutschein i.S. des § 3 Abs. 13 UStG, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ist ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 UStG, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Umsatzsteuer unterliegt (§ 3 Abs. 15 UStG).

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Übertragung von Guthabenkarten oder Gutscheincodes für den Erwerb digitaler Inhalte für das X-Network (X), sog. X-Cards, der Umsatzsteuer unterliegt. Im vorliegenden Eilverfahren geht es um die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des vom Finanzamt erlassenen Umsatzsteuerbescheids für den Besteuerungszeitraum 2019 (Streitjahr).

Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht hat den Antrag abgelehnt.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2019 wird für die Dauer des Revisionsverfahrens XI R 21/21 bis zur Zustellung einer dieses Verfahren beendenden Entscheidung ausgesetzt.

Soweit die Antragstellerin im Streitjahr nach dem 31. Dezember 2018 ausgestellte Gutscheine übertrug und damit gemäß § 27 Abs. 23 UStG die Vorschriften des § 3 Abs. 13 bis 15 UStG Anwendung finden, ist ernstlich zweifelhaft, ob es sich bei diesen Gutscheinen um Einzweck-Gutscheine i.S. des § 3 Abs. 14 UStG handelt, deren Übertragung jeweils als Lieferung oder sonstige Leistung gilt.

Denn hierfür müssten der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG).

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob zum Zeitpunkt der Ausstellung der Gutscheine der Ort der sonstigen Leistung und die geschuldete Steuer feststanden. Denn fraglich ist, ob sich das für die Annahme eines Einzweck-Gutscheins bestehende Erfordernis, dass der Ort der Leistung feststehen muss (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG und Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL), nur auf die Ausgabe ("Verkauf eines Gutscheins an Kunden" i.S. von Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 11 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses ‑‑UStAE‑‑) oder auch auf eine dem vorausgehende Übertragung ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern" i.S. von Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 10 UStAE) bezieht (zu diesen Begrifflichkeiten vgl. auch Abschn. 3.17 Abs. 3 Satz 1 UStAE).

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 16. August 2022 (XI S 4/21 (AdV)), veröffentlicht am 01. September 2022.

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