Körperschaftsteuerrechtliche Organschaft im Fall der Insolvenz

Die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags ist Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Kann ein vorläufiger Jahresabschluss der Organgesellschaft wegen Insolvenz nicht mehr korrigiert werden und wäre bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze im endgültigen Jahresabschluss ein anderes Ergebnis auszuweisen, kann diese Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags ungeachtet der Insolvenz nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG "geheilt" werden. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 1. Juni 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Holding-GmbH. Diese hielt sämtliche Geschäftsanteile der X-GmbH.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Insolvenz beider Parteien eines Gewinnabführungsvertrags vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit dazu führt, dass einer ertragsteuerrechtlichen Organschaft rückwirkend die steuerliche Anerkennung zu versagen ist.

Die Klage vor dem Finanzgericht Nürnberg hatte keinen Erfolg. Eine rückwirkende Nichtanerkennung der Organschaft komme für die Streitjahre nicht in Betracht.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen der Holding-GmbH als Organträgerin und der X-GmbH als Organgesellschaft zunächst eine wirksame Organschaft i. S. des § 14 KStG begründet wurde.

Insbesondere erfüllte der EAV die Bedingung der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG)). Hierfür reicht es aus, dass ein EAV auf mindestens fünf Zeitjahre vereinbart wird (BFH, Urteil vom 12. Januar 2011, I R 3/10).

Die Entscheidung des Finanzgerichts, auch die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sei erfüllt, ist dagegen rechtsfehlerhaft.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts liegt für das Jahr 2008 ein vorläufiger Jahresabschluss der X-GmbH vor, der einen Jahresüberschuss vor Gewinnabführung von … € ausweist. Dieser Jahresüberschuss wurde am 2. Februar 2009 über das Aufwandskonto "Abgef Gew aufgr EAV" auf dem Verrechnungskonto X-GmbH/Holding-GmbH verbucht. Der vorläufige Jahresabschluss war der Holding-GmbH bekannt und wurde von den Geschäftsführern der X-GmbH am 20. Februar 2009 im Rahmen eines Konzernberichtspakets freigegeben. Eine Umbuchung auf das Cash-Clearing-Konto erfolgte nicht. Darüber hinaus fehlte bis zur Entscheidung des Finanzgerichts eine endgültige Feststellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2008. Ausgehend von diesen Feststellungen hat das Finanzgericht entschieden, dass der EAV tatsächlich durchgeführt worden sei.

Zwar trifft es zu, dass der Anspruch auf Gewinnabführung unabhängig von der Feststellung des Jahresabschlusses zum Bilanzstichtag entsteht und bei Unstimmigkeiten zunächst ein vorläufiger Jahresabschluss zu erstellen ist, um die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG (vorläufig) sicherzustellen.

Das Finanzgericht ist allerdings rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Durchführung des EAV durch den vorläufigen Jahresabschluss auch endgültig erfüllt werden kann. Vielmehr kommt es für die tatsächliche Durchführung des EAV auf das Ergebnis an, das bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze in einem endgültigen Jahresabschluss auszuweisen wäre. Dieser Betrag ist im Streitfall aber unter keinen Umständen tatsächlich an die Holding-GmbH abgeführt worden.

Die Annahme des Finanzgerichts, zumindest im Fall der Insolvenz könne für die Durchführung des EAV auf einen vorläufigen Jahresabschluss abgestellt werden, ist rechtsfehlerhaft. Für die Voraussetzungen einer Organschaft kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welchem Umfang der Steuerpflichtige auf deren Erfüllung selbst Einfluss nehmen konnte oder ob er ‑wie im Fall der Insolvenz‑ durch rechtliche Restriktionen daran gehindert wurde.

Die Nichtdurchführung des EAV kann für das Jahr 2008 auch nicht durch § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG geheilt werden. Diese Regelung, die durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 eingefügt worden ist, zeitlich nach § 34 Abs. 9 Nr. 7 KStG (in der Fassung dieses Gesetzes) aber für alle noch offenen Verfahren Anwendung findet, gilt ausdrücklich nur für die spätere Korrektur fehlerhafter Bilanzansätze eines wirksam festgestellten Jahresabschlusses. Hieran fehlt es im Streitfall, da nur ein vorläufiger Jahresabschluss vorliegt.

Die Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2008 war auch nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG, der vorsieht, dass eine vorzeitige Beendigung des Vertrags durch Kündigung unschädlich ist, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt, unerheblich.

Kommt es während der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren zur Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags, führt dies nicht nur zu einer Unterbrechung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft für einzelne Veranlagungszeiträume, sondern insgesamt zu einer (rückwirkenden) Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft.

Ungeachtet der Nichtanerkennung der Organschaft kann der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden. Das Finanzgericht hat zwar die Höhe der Jahresüberschüsse bzw. Jahresfehlbeträge der X-GmbH festgestellt, die der Holding-GmbH aufgrund der Organschaft in den Streitjahren zugerechnet worden sind. Welche konkreten Folgen die Nichtanerkennung der Organschaft in den Streitjahren hat, lässt sich aber weder aus den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts noch aus den Ausführungen der Beteiligten mit der erforderlichen Sicherheit herleiten. Hierzu sind in einem zweiten Rechtsgang weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 2. November 2022 (I R 29/19), siehe auch das teilweise inhaltsgleiche Urteil I R 37/19 vom selben Tag (vgl. unseren Blogbeitrag), veröffentlicht am 9. Februar 2023.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

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