Update: Bundesverfassungsgericht erklärt die nach § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG i.d.F. des EURLUmsG rückwirkende Einführung von § 14 Abs. 3 KStG betreffend die Behandlung vororganschaftlicher Mehrabführungen teilweise für nichtig

Mit dem heute veröffentlichten Beschluss vom 14. Dezember 2022 – 2 BvL 7/13, 2 BvL 18/14 – hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die in § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG angeordnete Anwendung von § 14 Abs. 3 KStG (jeweils i.d.F. des EURLUmsG) auf in vororganschaftlicher Zeit verursachte Mehrabführungen von Organgesellschaften, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31. Dezember 2003 endet, zu einer sog. unechten Rückwirkung führt, die in bestimmten Fallgruppen mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar und daher teilweise nichtig ist.

Hintergrund

Mit dem Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (EURLUmsG) vom 9. Dezember 2004 wurde das Konzept der in vororganschaftlicher Zeit verursachten Mehr- und Minderabführungen in § 14 Abs. 3 KStG erstmals gesetzlich geregelt. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG gelten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger. Das Gesetz ist am 16. Dezember 2004 in Kraft getreten.

Die Einführung von § 14 Abs. 3 KStG erfolgte in Reaktion auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs I R 51/01 vom 18. Dezember 2002 (BFHE 201, 221, veröffentlicht am 5. März 2003) wonach vororganschaftliche Mehrabführungen – entgegen der damaligen Auffassung der Finanzverwaltung – keine Gewinnausschüttungen, sondern steuerneutrale Gewinnabführungen darstellten.

Mit der Einführung von § 14 Abs. 3 KStG durch das EURLUmsG wurde die frühere Verwaltungsauffassung gesetzlich festgeschrieben. Am 13. August 2004 leitete die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf für das EURLUmsG mit den Änderungen in § 14 Abs. 3 und § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG zu. Das Gesetz trat am 16. Dezember 2004 in Kraft.

Nach § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG i.d.F. des EURLUmsG war die Neuregelung in § 14 Abs. 3 KStG erstmals auf vororganschaftliche Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31. Dezember 2003 endete. Der Bundesfinanzhof hatte dem Bundesverfassungsgericht diesbezüglich in zwei Beschlüssen (I R 38/11 v. 6. Juni 2013 und I R 36/13 v. 27. November 2013) die Frage vorgelegt, ob mit der Anwendungsregelung gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoßen wird.

Klägerin in beiden Verfahren war jeweils die Organgesellschaft - jeweils ehemals gemeinnützige und bis Ende 1990 steuerbefreite Wohnungsbauunternehmen. In beiden Fällen behandelte das Finanzamt vororganschaftliche Mehrabführungen im Streitjahr 2004 (2 BvL 7/13) bzw. in den Streitjahren 2004 bis 2006 (2 BvL 18/14) als Gewinnausschüttungen. Diese führten aufgrund der Verwendung nicht vorbelasteten Eigenkapitals zu einer Nachbelastung mit Körperschaftsteuer (Körperschaftsteuererhöhung) im Rahmen der in den Streitjahren geltenden Regelungen zur gewinnausschüttungsabhängigen Realisierung des Körperschaftsteuererhöhungspotentials als Bestandteil der Übergangsvorschriften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren.

Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geht von § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG i.d.F. des EURLUmsG eine unechte Rückwirkung mit belastender Wirkung aus. Diese ist in den nachfolgend aufgeführten Fallgruppen mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) unvereinbar, soweit durch eine Mehrabführung oder die Summe der jeweiligen Mehrabführungen eine Körperschaftsteuererhöhung (§ 38 Abs. 2 KStG i.d.F. des StVergAbG) ausgelöst wurde, die nicht durch eine durch die jeweilige Mehrabführung oder die Summe der jeweiligen Mehrabführungen ausgelöste Körperschaftsteuerminderung (§ 37 Abs. 2 KStG i.d.F. des EURLUmsG) ausgeglichen wurde.

Fallgruppe 1: Mehrabführungen, die auf den Schluss eines spätestens am 15. Dezember 2004 (Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung) endenden Wirtschaftsjahres erfolgt sind.

Der Ablauf des Wirtschaftsjahres ist als maßgeblicher Zeitpunkt anzusehen, zu dem der materielle steuerrelevante Tatbestand der vororganschaftlichen Mehrabführung vollständig verwirklicht ist. Die Steuerpflichtigen dürfen aufgrund der Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung grundsätzlich darauf vertrauen, dass das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht nicht nachträglich geändert wird.

Fallgruppe 2: Mehrabführungen, die auf der Grundlage eines zwischen dem 5. März 2003 (Veröffentlichungsdatum des Urteils des Bundesfinanzhofs I R 51/01) und dem 13. August 2004 (Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat) abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrags vor dem 1. Januar 2007 erfolgen.

Im Zeitraum zwischen Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs I R 51/01 und dem 13. August 2004 durften die Vertragspartner darauf vertrauen, dass vororganschaftliche Mehrabführungen steuerneutrale Gewinnabführungen im Sinne der §§ 14 ff. KStG darstellten. Dieses Vertrauen verdiene aufgrund der gesetzlich erforderlichen fünfjährigen Mindestvertragslaufzeit für einen Gewinnabführungsvertrag (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG) Schutz über den bei Vertragsschluss laufenden Veranlagungszeitraum hinaus. Die belastende Wirkung und damit das Schutzbedürfnis für die Organgesellschaft ende am 31. Dezember 2006, auch wenn in diesem Zeitpunkt die fünfjährige Mindestvertragslaufzeit des Gewinnabführungsvertrages noch nicht abgelaufen war, da ab dem 1. Januar 2007 das Übergangsrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren von einer ausschüttungsabhängigen Nachbelastung auf eine ausschüttungsunabhängige Realisierung des Körperschaftsteuererhöhungspotenzials umgestellt wurde (§ 38 Abs. 4 bis 6 KStG i.d.F. des JStG 2008). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Organgesellschaft unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 16 KStG (i.d.F. des JStG 2008) für eine Fortgeltung des § 38 Abs. 1 bis 3 KStG (i.d.F. des StVergAbG) optiert hat.

Fallgruppe 3: Mehrabführungen, die aufgrund eines vor dem 5. März 2003 geschlossenen Gewinnabführungsvertrags

i) auf den Schluss eines im Laufe des Jahres 2004 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Vertrag ab dem 5. März 2003 eine ordentliche Kündigung spätestens zum 31. Dezember 2003 zugelassen hätte, und

ii) die auf den Schluss des ersten im Jahr 2005 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Vertrag eine ordentliche Kündigung ab dem 5. März 2003 spätestens zum 31. Dezember 2004 zugelassen hätte.

In Bezug auf einen vor dem 5. März 2003 abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag ist das Vertrauen der Beteiligten auf eine im Sinne der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I R 51/01 vom 18. Dezember 2002 geklärte Rechtslage nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann als schutzwürdig anzusehen, wenn die Vertragsparteien im Jahr 2003 bzw. 2004 eine dann gegebene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verstreichen ließen.

Update (24. April 2023)

Das anlässlich der Vorlage an das BVerfG ausgesetzte Verfahren mit dem Az I R 38/11 wird nach dem Beschluss des BVerfG nun unter dem neuen Az. I R 15/23 fortgeführt.

Das anlässlich der Vorlage an das BVerfG ausgesetzte Verfahren mit dem Az I R 36/13 wird nach dem Beschluss des BVerfG nun unter dem neuen Az. I R 16/23 fortgeführt.

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