Keine Heilung der sachlichen Unzuständigkeit durch Einspruchsentscheidung der tatsächlich zuständigen Behörde

Wird ein Erlassantrag von einer sachlich unzuständigen Behörde abgelehnt, ist die Klage auch dann gegen diese Ausgangsbehörde zu richten, wenn die Einspruchsentscheidung von der für die Ausgangsentscheidung sachlich und örtlich zuständigen Behörde getroffen wird. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem aktuellen Urteil entschieden.

Hintergrund

Im Oktober 2014 beendete die Klägerin ihre Ausbildung vorzeitig, wovon die zuständige Familienkasse erst im Jahr 2016 Kenntnis erlangte. Die Familienkasse NRW Nord hob deshalb gegenüber dem Vater der Klägerin die Kindergeldfestsetzung auf und forderte mit Bescheid vom 08.12.2016 von der Klägerin als Abzweigungsempfängerin das für den Zeitraum November 2014 bis einschließlich Juli 2016 gezahlte Kindergeld zurück. Die Vollstreckung des Rückforderungsbescheides übernahm die Agentur für Arbeit Inkasso-Service (die Beklagte). Am 15.11.2017 beantragte die Klägerin den Erlass dieser Rückforderung. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 17.05.2018, bekannt gegeben mit Schreiben vom 21.06.2018, als unbegründet zurück.

Soweit die Klägerin die Verpflichtung der Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse zum Ausspruch des begehrten Erlasses beantragte, wies das Finanzgericht die Klage als unbegründet ab.

Entscheidung des BFH

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Klage gegen die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse richtet. Ferner ist das Finanzgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Ablehnung des Erlasses durch eine sachlich unzuständige Behörde ausgesprochen wurde und dass dieser Mangel nicht aufgrund der nachfolgenden Einspruchsentscheidung geheilt wurde oder unbeachtlich ist.

Im Einzelnen führt der BFH folgendes aus (Leitsätze):

1. Wird ein Erlassantrag von einer sachlich unzuständigen Behörde abgelehnt, ist die Klage auch dann gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO gegen diese Ausgangsbehörde zu richten, wenn die Einspruchsentscheidung von der für die Ausgangsentscheidung sachlich und örtlich zuständigen Behörde getroffen wird.

2. Der Heilungstatbestand des § 126 AO erfasst nicht den Mangel der fehlenden sachlichen Zuständigkeit.

3. Die rechtswidrige Ablehnung des Erlasses einer Kindergeldrückforderung durch eine sachlich unzuständige Behörde wird nicht dadurch rechtmäßig, dass die für die Prüfung des Erlasses sachlich und örtlich zuständige Familienkasse den Einspruch gegen den Ausgangsbescheid als unbegründet zurückweist.

4. Stellt die Einspruchsbehörde im Rahmen der gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO durchzuführenden umfassenden Prüfung der Erlassablehnung fest, dass die Ausgangsbehörde sachlich unzuständig war, hat sie deren Ausgangsbescheid aufzuheben und durch einen neuen Ausgangsbescheid erstmals selbst über den Erlassantrag zu entscheiden. Im Falle der Erlassablehnung steht dem Antragsteller dagegen der Einspruch offen.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 19. Januar 2023 (III R 2/22), veröffentlicht am 6. April 2023.

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