Verzinsung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer

Wurde eine nach Unionsrecht fakultative Steuerbegünstigung (hier: ermäßigter Steuersatz nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F.) zu Unrecht nicht gewährt, so dass der Steuerpflichtige Vorauszahlungen geleistet hat, ist ein daraus resultierender Erstattungsanspruch zu verzinsen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist die Verzinsung von erstatteter Stromsteuer streitig.

Das Finanzgericht München urteilte, die Klägerin habe weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht einen Anspruch auf die begehrte Verzinsung. Der BFH setzte das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung.

Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage mit Urteil Hauptzollamt B vom 09.09.2021 - C-100/20 (EU:C:2021:716, ZfZ 2021, 329), berichtigt durch Beschluss vom 29.09.2021 - C-100/20 (EU:C:2021:774), wie folgt:

"Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es eine Verzinsung des Erstattungsbetrags der Stromsteuer verlangt, die zu Unrecht erhoben wurde, weil eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom eingeräumten Möglichkeit erlassene nationale Vorschrift fehlerhaft angewendet wurde."

Entscheidung des BFH

Der BFH hat der Revision stattgegeben, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Der Klägerin steht nach Unionsrecht ein Anspruch auf Gewährung von Zinsen ab Zahlung der zu Unrecht erhobenen Stromsteuer zu.

Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht eine Pflicht zur Verzinsung des Betrags der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben auch dann, wenn dieser Verstoß aus einer Verkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts resultiert (EuGH, Urteil vom 9. September 2021, C 100/20, Rz 28).

Insbesondere verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil vom 9. September 2021, Rz 32, m.w.N.).

Hierzu hat der EuGH weiter festgestellt, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der in Anwendung einer Bestimmung des nationalen Rechts zur Umsetzung der von der EnergieStRL vorgesehenen Möglichkeit einem ermäßigten Satz der Stromsteuer unterliegt, die zu Unrecht erhoben wurde, im Hinblick auf den Betrag der zu Unrecht erhobenen Steuer und die Pflicht zur entsprechenden Rückerstattung in einer vergleichbaren Situation ist wie ein Wirtschaftsteilnehmer, der in Anwendung einer Bestimmung dieser Richtlinie dem Normalsatz dieser Steuer unterliegt, die zu Unrecht erhoben wurde (EuGH, Urteil vom 9. September 2021, C 100/20, Rz 33).

Daher ist der zu Unrecht erhobene Betrag der Steuer zu verzinsen, weil der Wirtschaftsbeteiligte auch in diesem Fall nicht über die Steuer verfügen konnte und dadurch Einbußen erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021, C 100/20, Rz 34 f.).

Nach den vom EuGH entwickelten Grundsätzen besteht ein Anspruch auf Verzinsung auch dann, wenn die zu Unrecht erhobene Steuer auf der Grundlage einer nach der EnergieStRL fakultativen Steuerbegünstigung festgesetzt und entrichtet wurde, weil der Steuerpflichtige auch in diesem Fall nicht über den entrichteten Betrag verfügen konnte und dieser Liquiditätsnachteil auszugleichen ist. Aufgrund dessen ist der zu Unrecht erhobene Steuerbetrag ab Zahlung der Steuer zu verzinsen.

Der Verzinsungszeitraum beginnt mit der Leistung der jeweiligen Vorauszahlung und endet mit der Erstattung des unter Verstoß gegen Unionsrecht festgesetzten Steuerbetrags. Die Pflicht zur Verzinsung erstreckt sich auf den gesamten Zeitraum, in dem der Betrag dem Steuerschuldner nicht zur Verfügung stand, nicht nur auf volle Zinsmonate gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 15. November 2022 (VII R 29/21 (VII R 17/18)), veröffentlicht am 1. Juni 2023.

Eine englische Zusammenfassung des BFH-Urteils und des zugrunde liegenden EuGH-Urteils finden Sie hier.

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