Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen bei unzutreffender zeitlicher Zuordnung von Umsätzen

Unterjährige Zinsvorteile sind bei der Prüfung eines Liquiditätsvorteils im Rahmen des Billigkeitserlasses von Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer gemäß § 233a AO unbeachtlich. Dem Erlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer steht nicht entgegen, dass es zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen kommt (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.07.1996 - V R 18/95). Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um den Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.

Die Klägerin gab in den Jahren 2009 bis 2013 (Streitjahre) monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen (Voranmeldungen) für die von ihr nach vereinbarten Entgelten zu versteuernden Dienstleistungen ab. Bei einer Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2011 wurde u.a. festgestellt, dass die Klägerin, die in den Streitjahren keine Dauerfristverlängerung (§ 18 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. §§ 46 bis 48 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) in Anspruch genommen hatte, ihre erklärten Umsätze stets dem Monat der Rechnungsstellung zugeordnet hatte, obwohl sie 90 % ihrer Leistungen bereits im Vormonat erbracht hatte. Der Grund hierfür war, dass die Klägerin meist erst nach Ablauf der Abgabefrist für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum die für die Rechnungsstellung nötigen Informationen von ihren Subunternehmern erhielt. Um die falsche Zuordnung der Umsätze zu korrigieren, ordnete die Außenprüfung jeweils 90 % der im Januar angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zu.

In den entsprechend den Prüfungsfeststellungen geänderten Umsatzsteuer-Jahresbescheiden für 2009 bis 2011 setzte das Finanzamt Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO fest.

Den auf das Urteil des BFH vom 11.07.1996 - V R 18/95 (BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259) gestützten Antrag der Klägerin auf Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen lehnte das Finanzamt ab, weil der Streitfall nicht mit dem Sachverhalt des genannten Urteils vergleichbar sei.

Die Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg hatte Erfolg. Die Zinsfestsetzung sei sachlich unbillig i.S. von § 227 AO.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Auf der Grundlage des BFH-Urteils in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259 hat das Finanzgericht zutreffend entschieden, dass für die Frage, inwieweit die Klägerin Zinsvorteile erlangt hat, die einem Billigkeitserlass entgegenstehen, die Liquiditätsvorteile außer Betracht zu bleiben haben, die für die Klägerin durch die verspätete Anmeldung der bereits im Vormonat ausgeführten Umsätze unterjährig entstanden waren.

Das Finanzgericht hat hierfür zu Recht darauf abgestellt, dass festgesetzte Vorauszahlungen nicht verzinst werden (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO), so dass ein monatlicher Zinsvorteil, den der Gesetzgeber nicht abschöpfen will, nicht als Begründung für die fehlende Unbilligkeit einer Zinsfestsetzung für die Jahressteuer herangezogen werden kann, zumal die Klägerin bei Beginn des Zinslaufs für die Streitjahre bereits alle auf die Steuernachforderung entfallenden Umsätze mit ihren monatlichen Voranmeldungen bezahlt hatte.

Ebenso zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, dass eine fehlende Verrechnung der Steuernachforderung (für das Jahr der Vorverlagerung) mit einer Steuererstattung (für das Jahr der bisherigen Umsatzerfassung) dem Billigkeitserlass nicht entgegensteht.

Damit erweist sich die vom Finanzamt befürwortete Einbeziehung unterjährig entstandener Liquiditätsvorteile in die Billigkeitsbetrachtung als unzutreffend. Eine derartige Einbeziehung kommt auch insoweit nicht in Betracht, als die unterjährig vorzunehmenden Umsatzverlagerungen zu keiner Änderung der für die Zinsentstehung maßgeblichen Jahressteuerfestsetzungen geführt haben. Die Auffassung des Finanzamts läuft letztlich darauf hinaus, entgegen dem Wortlaut des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO und der sich hieraus ergebenden gesetzgeberischen Wertung (Nichtverzinsung von Vorauszahlungsfestsetzungen) gleichwohl zu einer weitergehenden Verzinsung zu gelangen, als sie sich auf der Grundlage einer Liquiditätsbetrachtung in Bezug auf die geänderten Jahressteuerfestsetzungen ergibt.

Dem Erlass von Nachzahlungszinsen steht nicht entgegen, dass es ‑wie im Streitfall‑ zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen gekommen ist und die Erhöhung der Jahressteuer, die durch die Hinzurechnung der im Folgejahr angemeldeten Umsätze ausgelöst wird, sowie die korrespondierende Ermäßigung für das Folgejahr, in dem die im Vorjahr entstandenen Umsätze angemeldet und die Steuern entrichtet wurden, nicht zu einer gleich hohen Erstattung und Nachforderung in zwei aufeinanderfolgenden Steuerjahren führen. Diese Auswirkungen sind für die Prüfung der sachlichen Billigkeit unbeachtlich, weil sie den tatsächlich bestehenden Liquiditätsvorteil für die jeweilige Jahressteuer nicht beeinflussen.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 23. Februar 2023 (V R 30/20), veröffentlicht am 29. Juni 2023.

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