Betriebsstätte/feste Einrichtung im Dienstleistungsbereich
Den Anforderungen an eine Betriebsstätte gemäß § 12 S. 1 AO, die auch für den abkommensrechtlichen Begriff der Betriebsstätte/festen Einrichtung (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970 und 2010) prägend sind, wird entsprochen, wenn dem Dienstleistenden (hier: Flugzeugmechaniker/-ingenieur) im Zusammenhang mit der Erbringung der Dienstleistung (hier: Wartungsarbeiten an Flugzeugen) personenbeschränkte Nutzungsstrukturen an ortsbezogenen Geschäftseinrichtungen (hier: Spind und Schließfach in Gemeinschaftsräumen auf dem Flughafengelände) zur Verfügung gestellt werden. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.
Sachverhalt
Streitig ist, ob einer inländischen Steuerpflicht mit Blick auf eine inländische feste Einrichtung beziehungsweise Betriebsstätte und eine dortige Erzielung von Einkünften in den Jahren 2008 bis 2014 (Streitjahre) das Abkommensrecht entgegensteht.
Der Kläger hatte in den Streitjahren sowohl einen inländischen Wohnsitz als auch einen Wohnsitz in Großbritannien (und einen dortigen Mittelpunkt der Lebensinteressen). Er ist Flugzeugingenieur und Inhaber von Lizenzen zur Wartung von Flugzeugen verschiedener Typen. Zugleich ist er alleiniger Gesellschafter und (ohne schriftlichen Arbeitsvertrag) Director der am …2006 gegründeten X Ltd. mit (Satzungs-)Sitz in Großbritannien.
In dem Gebäude sind über ein dort ebenfalls ansässiges Steuerbüro mehr als 130 Firmen registriert. Die X Ltd. verfügt über keine eigene Website und Telefonnummer. Die in Großbritannien erstellten Bilanzen der X Ltd. weisen im Jahr 2011 Gehaltszahlungen an den Kläger in seiner Funktion als Director aus.
Die in Großbritannien ansässige Y Ltd. hatte mit der in Deutschland ansässigen A GmbH, einem Betreiber und Charterer von Flugzeugen, im Jahr 2008 sog. Line Maintenance Agreements mit dem Gegenstand abgeschlossen, lizenziertes Flugzeugwartungspersonal (und deren Werkzeug) zu überlassen. Der Kläger und die Y Ltd. vereinbarten einen "Freelancer Contract", worin der "Freelancer" verpflichtet wurde, flugzeugbezogene Wartungsleistungen als Subunternehmer des Auftraggebers zu erbringen. Der Vertrag wurde vom Kläger mit seinem Namen (ohne Zusatz, als Organ der X Ltd. zu handeln) unterzeichnet.
Der Kläger übte seine Tätigkeit auf dem Flughafengelände der A GmbH aus. Für die im Auftrag der Y Ltd. tätigen Ingenieure und Mechaniker waren auf diesem Gelände (in durch die Y Ltd. von der A GmbH angemieteten Räumen) Umkleide-, Verwaltungs- und Gemeinschaftsflächen vorhanden. Die Mitarbeiter hatten unter anderem einen verschließbaren Spind, um ihre Kleidung aufzubewahren (auf der Spindtür war ein Schild mit dem jeweiligen Namen des Mitarbeiters und der Y Ltd. angebracht). Die Dokumentation der am Flugzeug durchgeführten Arbeiten (mit Unterschrift und Stempel) erfolgte im sogenannten Log-Buch des Flugzeugs in einem mit Computern ausgestatteten Raum der Y Ltd. neben dem Hangar. In diesem Raum hatte jeder Mitarbeiter ein mit seinem Namen und dem Namen der Y Ltd. beschriftetes Schließfach, in dem er persönliche Gegenstände wie Handy, Schlüssel, Geld et cetera aufbewahren konnte. Am Eingang des Gebäudes mussten sich die Mitarbeiter einer Sicherheitskontrolle unterziehen, anschließend konnten sie sich in dem Gebäude frei bewegen.
Der Kläger war Inhaber eines Sicherheitsausweises für den Flughafen. Der Zutritt war unabhängig von der schichtplanorganisierten Einteilung zum Dienst technisch möglich. Die für die Y Ltd. tätigen Mitarbeiter buchten sich bei Arbeitsbeginn und -ende im Zeiterfassungssystem der A GmbH ein und aus. Die Y Ltd. erstellte ihre Rechnungen an die A GmbH anhand der Arbeitszeiten, die ihr von der A GmbH mitgeteilt worden waren.
Während einer Steuerfahndungsprüfung kam die Prüferin zu dem Ergebnis, dass der Kläger ab April 2008 Einnahmen aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den jeweiligen Streitjahren geltenden Fassung (EStG) durch die Wartung von Flugzeugen erzielt habe. Als Flugzeugingenieur habe er seine Tätigkeit ausschließlich auf dem Flughafen Z erbracht. Das Finanzamt folgte der Auffassung der Steuerfahnderin und behandelte die Vergütungen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit.
Die Klage vor dem Sächsischen Finanzgericht hatte Erfolg.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.
Der Kläger ist in den Streitjahren in Deutschland nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 EStG mit Blick auf den inländischen Wohnsitz (§ 8 AO) unbeschränkt steuerpflichtig.
Der Kläger ist Zurechnungssubjekt der vermittels der vertraglichen Vereinbarung ("Freelancer Contract") erzielten Einkünfte, die als gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (Flugzeugmechaniker) beziehungsweise als freiberufliche Einkünfte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Flugzeugingenieur) zu qualifizieren sind.
Die Besteuerung in Deutschland ist abkommensrechtlich (DBA-Großbritannien) nicht gehindert, da die vom Kläger erzielten Tätigkeitseinkünfte durch Nutzung einer ihm in Deutschland regelmäßig zur Verfügung stehenden festen Einrichtung beziehungsweise einer Betriebsstätte erzielt wurden.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Annahme einer Betriebsstätte gemäß § 12 S. 1 AO eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Es geht darum, dass die eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird ("Verwurzelung" des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit).
Diesen Anforderungen, die auch für den abkommensrechtlichen Begriff der Betriebsstätte/festen Einrichtung (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970 und 2010) prägend sind, wird entsprochen, wenn dem Dienstleistenden (hier: Flugzeugmechaniker/-ingenieur) im Zusammenhang mit der Erbringung der Dienstleistung (hier: Wartungsarbeiten an Flugzeugen) personenbeschränkte Nutzungsstrukturen an ortsbezogenen Geschäftseinrichtungen (hier: Spind und Schließfach in Gemeinschaftsräumen auf dem Flughafengelände) zur Verfügung gestellt werden.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 7. Juni 2023 (I R 47/20), veröffentlicht am 17. August 2023.
Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.