Keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung ohne tatsächliche Verlusttragung durch eine inländische Muttergesellschaft

Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft setzt voraus, dass die "Organschaft" zuvor in dem Sinne faktisch "gelebt" worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil entschieden.

Sachverhalt

Streitig ist die Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft im Rahmen der Gewinnermittlung der inländischen Muttergesellschaft.

Die Klägerin, eine GmbH, war alleinige Gesellschafterin einer in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaft (S.a.r.l.), die bis zum Jahr 2012 durchgehend Verluste erzielte. Mit Wirkung zum 31. Oktober 2012 wurde die Tochtergesellschaft aufgelöst und die Geschäftstätigkeit eingestellt.

In der Körperschaftsteuererklärung für 2011 brachte die Klägerin den Verlust ihrer Tochter aus 2011 zum Abzug. Das Finanzamt veranlagte zunächst erklärungsgemäß. Im Rahmen einer späteren Außenprüfung vertrat der Prüfer allerdings die Auffassung, dass die Verluste nicht verrechnet werden können. Den anschließenden Einspruch der Klägerin wies das Finanzamt zurück.

In der Körperschaftsteuererklärung für 2012 brachte die Klägerin den Verlust ihrer Tochter aus 2012 zum Abzug. Das Finanzamt berücksichtigte den Verlust nicht, wogegen die Klägerin wiederum Einspruch einlegte. In einer Teil-Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2018 erklärte das Finanzamt, dass eine Berücksichtigung der Verluste der Tochtergesellschaft nicht möglich sei, da zwischen der Klägerin und der Tochtergesellschaft keine Organschaft bestehe.

Die Tochtergesellschaft sei weder eine Organgesellschaft i.S.d. § 14 bzw. § 17 Körperschaftsteuergesetz (KStG) noch bestehe zwischen beiden Gesellschaften ein Gewinnabführungsvertrag bzw. eine Verlustübernahmevereinbarung i.S.d. §§ 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG i.V.m. § 302 Aktiengesetz (AktG). Ebenso ergebe sich kein Recht auf Verlustverrechnung auf Basis der Niederlassungsfreiheit, da keine Schlechterstellung einer ausländischen Tochtergesellschaft im Vergleich zu einer inländischen Tochtergesellschaft erfolge. Die Klägerin könne schließlich auch keine Verluste einer inländischen Tochtergesellschaft verrechnen, wenn mit dieser keine Organschaft besteht.

Die Klägerin hat daraufhin Klage erhoben und begehrt die Berücksichtigung der bis einschließlich 2012 bei der Tochtergesellschaft entstandenen Verluste im Streitjahr 2012 durch geltungserhaltende Reduktion der §§ 14 und 17 KStG.

Die Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht hatte keinen Erfolg (siehe unseren Blogbeitrag).

Entscheidung des BFH

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts war zwischen der Klägerin, die unstreitig in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 KStG fällt, und der s.a.r.l., die nach nationalem Recht keine taugliche Organgesellschaft ist, weil sie nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des Finanzgerichts weder über eine inländische Geschäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte, keine Vereinbarung über eine Gewinnabführung (Verlustübernahme) abgeschlossen worden.

Der Senat hatte bislang keinen Anlass, abschließend zu den Voraussetzungen für eine Verlustverrechnung "über die Grenze" bei einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ansässigen (verlusterzielenden) Tochtergesellschaft und einer im Inland ansässigen Muttergesellschaft zu entscheiden.

Auch im Streitfall ist nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob die "kumulierten operativen Verluste" der s.a.r.l., wie die Klägerin meint, über eine unionsrechtskonforme Auslegung der §§ 14 ff. KStG (und des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) ‑im Sinne einer Restriktion des Tatbestandserfordernisses des Gewinnabführungsvertrags‑ im Inland abzugsfähig sein könnten.

Auch der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des EuGH Marks & Spencer vom 13.12.2005, C-446/03 sowie den in der Folge ergangenen EuGH-Entscheidungen lässt sich bei einer Übertragung auf die nationalen Organschaftsregelungen jedenfalls nicht entnehmen, dass die begehrte Verlustverrechnung ohne eine zumindest "faktisch gelebte Organschaft" möglich sein könnte, das heißt ohne dass die von der ausländischen Tochtergesellschaft jährlich erwirtschafteten Verluste von der inländischen Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.

Diese Grundvoraussetzung lag im Streitfall nicht vor; nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des Finanzgerichts fehlte es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. an einer den inländischen Organschaftsregelungen entsprechenden tatsächlichen Übernahme der jährlichen Verluste durch die Klägerin.

Die Entscheidung auf der Grundlage dieser tatsächlichen Würdigung zur Verlustübernahme entsprechend dem nationalen Organschaftskonzept und der Umstand, dass die Klägerin letztlich nicht anders besteuert wird als eine Muttergesellschaft mit einer im Inland ansässigen abhängigen Kapitalgesellschaft, mit der eine Ergebnisabführung nicht vereinbart worden ist, weshalb es an einer Ungleichbehandlung fehlt, nötigt nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH (Urteil CILFIT vom 06.10.1982, Rs. 283/81) den Senat nicht zu einer Vorlage im Sinne des Art. 267 AEUV an den EuGH wegen unionsrechtlicher Zweifel an dem nationalen Tatbestandserfordernis des Gewinnabführungsvertrags in § 14 Abs. 1 KStG. Eine Vorlage hätte nur dann erforderlich sein können, wenn es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. zumindest tatsächlich ‑oder auf Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung‑ zu einer Übernahme der jährlichen Verluste der s.a.r.l. gekommen wäre.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 9. August 2023 (I R 26/19), veröffentlicht am 14. Dezember 2023.

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