Anwendung des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen

Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs sind bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz dient, für den sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen.

Hintergrund

§ 13b Abs. 2 Satz 2 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) regelt den sog. „Einstiegstest“: Danach ist die Inanspruchnahme der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigungen für Betriebsvermögen von vornherein ausgeschlossen, wenn der nach dieser Vorschrift modifizierte Wert des Verwaltungsvermögens mindestens 90 v. H. des gemeinen Werts des grundsätzlich begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.

Das Finanzamt hatte im Streitfall wegen des sog. Einstiegstests die Begünstigungen gemäß § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG versagt. Die Klägerin beantragte die Gewährung der Regelverschonung für Betriebsvermögen. Das Finanzgericht Münster hatte der Klage stattgegeben (hierzu unser Blogbeitrag vom 10. Februar 2022).

Entscheidung des BFH

Im Revisionsverfahren hatte die Klage erneut Erfolg. Der Begünstigung stehe der 90 %-Einstiegstest im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht entgegen, da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die wortlautgetreue Anwendung der in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG verankerten Berechnungsformel führt grundsätzlich dazu, dass begünstigungsfähiges Betriebsvermögen von Handelsunternehmen, deren Hauptzweck in einer gewerblichen Tätigkeit besteht und die am Tag der Entstehung der Steuer über einen hohen Bestand an Finanzmitteln verfügen, in vollem Umfang von der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung ausgeschlossen ist.

Die neben dem Wortsinn u. a. zu berücksichtigende systematische und teleologische Auslegung erfordern nach Meinung des BFH jedoch hier eine den Wortlaut eingrenzende Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG dahingehend, dass zumindest bei typischen Handelsunternehmen für den 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG in Abzug zu bringen sind.

Dieser Auslegung steht der von der Finanzverwaltung in der Revisionsbegründung hervorgehobene Missbrauchsgedanke nicht entgegen. Bei § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG handelt es sich um eine besondere Missbrauchsvermeidungsvorschrift. Als unproduktives Verwaltungsvermögen ist bei originär gewerblich Tätigen solches Vermögen anzusehen, das der Betrieb zu seiner Fortführung nicht notwendigerweise benötigt, das also hinweggedacht werden kann, ohne dass die Fortführung des Betriebs gefährdet ist. Bei Handelsunternehmen, deren Betriebsvermögen im Hauptzweck einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dient, würde es dem Gesetzeszweck der Begünstigung von produktivem Vermögen nicht gerecht, würde man für den 90 %-Einstiegstest diese Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die unstreitig Finanzmittel nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 ErbStG darstellen, isoliert ohne die Schuldenverrechnung heranziehen.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 13. September 2023 (II R 49/21) – veröffentlicht am 14. Dezember 2023.

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