EuGH: Keine sinngemäße Anwendung von Art. 215 Abs. 4 des Zollkodex auf die Einfuhrumsatzsteuer

Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Finanzgerichts Hamburg hat der Europäische Gerichtshof im Fall einer illegalen Wareneinfuhr entschieden, dass eine nationale Regelung mit EU-Recht unvereinbar ist, nach der Artikel 215 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) auf die Einfuhrmehrwertsteuer für die Bestimmung ihres Entstehungsorts entsprechende Anwendung findet.

Hintergrund

Stellt eine Zollbehörde fest, dass eine Zollschuld gemäß Artikel 202 in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist, so gilt nach Art. 215 Abs. 4 des Zollkodex die Zollschuld, sofern sie weniger als 5 000 Euro beträgt, als in dem Mitgliedstaat entstanden, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde.

G. A., wohnhaft in Polen, erwarb auf einem Markt in Polen insgesamt 43 760 Zigaretten, auf deren Verpackung nur ukrainische und belarussische Steuerbanderolen angebracht waren. Er verbrachte die Zigaretten, ohne Zollstellen darüber zu informieren, in die Nähe von Braunschweig, wo er sie einem deutschen Käufer übergab. Dabei wurde er festgenommen, die Zigaretten wurden sichergestellt und später vernichtet. Das Hauptzollamt Braunschweig befand, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden seien und dass daher die Zollschuld entstanden sei, deren Schuldner G. A. sei. Die Behörde war ferner der Ansicht, dass gemäß § 21 Abs. 2 UStG in Deutschland die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden sei. Daher erließ es einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid. Die Einfuhrmehrwertsteuerschuld beträgt weniger als 5.000 €.

Das Finanzgericht (FG) Hamburg sah sich vor die Frage gestellt, welche Vorschriften im vorliegenden Fall für die Bestimmung des Entstehungsorts der Einfuhrmehrwertsteuer maßgeblich sind. Mit seiner Vorlagefrage (Beschluss vom 6.12.2022 - 4 K 1/18) wollte das FG im Wesentlichen wissen, ob Art. 30 Abs. 1, Art. 60 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung (hier: § 21 Abs. 2 UStG) entgegenstehen, nach der Art. 215 Abs. 4 des Zollkodex auf die Einfuhrmehrwertsteuer für die Bestimmung ihres Entstehungsorts entsprechende Anwendung findet.

Entscheidung des EuGH

Den Ort der Einfuhr eines Gegenstands zu bestimmen, indem nicht die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 angewandt würden, sondern Art. 215 Abs. 4 des Zollkodex entsprechende Anwendung fände, würde bedeuten, dass in einem solchen Fall die mit der Einfuhrmehrwertsteuer verbundenen Einnahmen aufgrund der in dieser Bestimmung aufgestellten rechtlichen Fiktion dem Mitgliedstaat zuflössen, in dem die Entstehung der Zollschuld festgestellt wurde, d. h. der Bundesrepublik Deutschland, was im Widerspruch zur Geltung des Grundsatzes der steuerlichen Territorialität auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer stünde.

In seinem Urteil weist der EuGH ferner darauf hin, dass die zuständige deutsche Behörde, sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zigaretten zum Verbrauch in Polen bestimmt waren, verpflichtet wäre, der zuständigen polnischen Behörde ohne vorheriges Ersuchen die Informationen über die Sicherstellung dieser Zigaretten zu übermitteln, um insbesondere die Gefahr eines Steuerverlusts in diesem anderen Mitgliedstaat zu vermeiden.

Fundstelle

EuGH-Urteil vom 18. Januar 2024 in der Rechtssache C791/22 Hauptzollamt Braunschweig (Lieu de naissance de la TVA – III).

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

Anmerkung: Die Vorlagefrage ist inhaltlich identisch mit der zweiten Vorlagefrage in der Rechtssache C-368/21 (Hauptzollamt Hamburg zum Ort des Entstehens der Mehrwertsteuer – siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 8. September 2022). Diese Frage konnte der EuGH im Urteil vom 8. September 2022 nicht beantworten, weil sie angesichts der Antwort auf die erste Vorlagefrage nicht entscheidungserheblich war.

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