EuGH: Zum Nachweis des Empfängers der innergemeinschaftlichen Lieferung

In einem tschechischen Vorabentscheidungsersuchen hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Lieferer, der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat geliefert hat, die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn dieser Lieferer nicht nachgewiesen hat, dass die Gegenstände an einen in dem letztgenannten Mitgliedstaat steuerpflichtigen Empfänger geliefert wurden, und die für die Überprüfung der Steuerpflichtigkeit des Empfängers erforderlichen Informationen fehlen.

Hintergrund

Die Tschechischen Behörden hatten sich geweigert, mehrere von B2 Energy, einer tschechischen Gesellschaft, bewirkte innergemeinschaftliche Lieferungen von Rapsöl nach Polen von der Mehrwertsteuer zu befreien. Grund: B2 Energy habe auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen nicht nachgewiesen, dass sie die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Mehrwertsteuer erfülle. B2 Energy habe weder nachgewiesen, dass sie die Befähigung, über die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen, auf die Personen übertragen habe, die in den Steuerunterlagen als Empfänger der Gegenstände genannt gewesen seien, noch, dass diese Gegenstände an eine in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich registrierte Person geliefert worden seien. Laut B2 Energy ermöglichten jedoch die vorgelegten Nachweise, die den tatsächlichen Empfang der betreffenden Gegenstände durch andere Gesellschaften bestätigten, die Identität der Empfänger festzustellen.

Im Fokus des Vorentscheidungsersuchens stand das EuGH-Urteil vom 9. Dezember 2021, Kemwater ProChemie (C‑154/20, wonach die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, wenn der Lieferer zwar nicht namhaft gemacht worden sei, die Steuerbehörde aber über die Angaben verfüge, die für die Prüfung erforderlich seien, ob der Lieferer Steuerpflichtiger sei.

Entscheidung des EuGH

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann der Verstoß gegen eine formelle Anforderung zur Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung führen, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Hieraus ergibt sich jedoch, dass die Verwaltung keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen darf, die die Ausübung des Rechts des Steuerpflichtigen auf Befreiung vereiteln können, wenn sie über die Angaben verfügt, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt und die Gegenstände insbesondere an einen Steuerpflichtigen geliefert wurden, der als solcher handelt.

Zunächst könnte der Umstand, dass die Gegenstände von anderen als den in den Steuerunterlagen genannten Subjekten empfangen wurden, darauf hindeuten, dass sie Gegenstand eines Handelsgeschäfts waren, dessen Zeitpunkt für die Anwendung der Befreiung entscheidend sein kann. Die Einstufung der von dem Lieferer, der die Steuerbefreiung in Anspruch nimmt, vorgenommenen und in den Steuerunterlagen angegebenen Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung hänge nämlich davon ab, ob die Beförderung tatsächlich dieser Lieferung zugerechnet werden kann.

Insoweit müssen die Steuerbehörden im Hinblick auf die Mehrwertsteuerbefreiung alle in ihrem Besitz befindlichen Nachweise, wie die vom vorlegenden Gericht angeführten Dokumente, gebührend berücksichtigen, um dies dann entsprechend zu prüfen.

Des Weiteren, so der EuGH, kann im Hinblick auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität vom Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, dass er in allen Fällen, wenn der Empfänger der betreffenden Gegenstände nicht namhaft gemacht worden ist, nachweist, dass dieser Empfänger Steuerpflichtiger ist, um sein Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung ausüben zu können, soweit sich aus den tatsächlichen Umständen mit Sicherheit ergibt, dass dieser Empfänger zwangsläufig Steuerpflichtiger war.

Fazit: Die zuständigen Steuerbehörden und nationalen Gerichte haben auf der Grundlage aller vorgelegten Dokumente, einschließlich der Dokumente, die sich im Besitz des Lieferers befanden, zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung erfüllt waren. Nur dann, wenn unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und trotz der vom Steuerpflichtigen vorgelegten Nachweise die zur Überprüfung der Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erforderlichen Angaben fehlen, ist ihm die Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen und zwar - wonach das vorlegende Gericht ebenfalls gefragt hatte - ohne dass die Steuerbehörde nachweisen müsste, dass dieser Steuerpflichtige an einer Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt war.

.Fundstelle

EuGH, Urteil vom 29. Februar 2024 (C676/22), B2 Energy.

Eine englische Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

To the top