Verfassungsmäßigkeit der Geltung des § 8 Nr. 5 GewStG für Auslandsdividenden aus Streubesitz im Erhebungszeitraum 2001

Der Bundesfinanzhof (BFH) holt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber ein, ob § 36 Abs. 4 des Gewerbesteuergesetzes i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) auch insoweit gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verstößt, als er § 8 Nr. 5 des Gewerbesteuergesetzes i.d.F. dieses Gesetzes auf Ausschüttungen ausländischer Kapitalgesellschaften für anwendbar erklärt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor dem 12.12.2001 verbindlich beschlossen wurden und die der direkt oder mittelbar über ein inländisches Wertpapier-Sondervermögen mit weniger als 10 % an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt zugeflossen sind.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegende Anstalt des öffentlichen Rechts, die ein Lebensversicherungsunternehmen betreibt. Sie vertrat die Auffassung, die Anwendung der Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 Satz 1 GewStG für den Erhebungszeitraum 2001 sei wegen Verstoßes gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit ausgeschlossen. Sie leitete dies aus dem Umstand ab, dass die Bestimmung des § 8b Abs. 1 KStG im Jahr 2001 für Ausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften noch nicht anwendbar gewesen sei, sodass es in diesen Fällen auch nicht zu einer Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG habe kommen können. Die faktisch vom Sitz der ausschüttenden Gesellschaft abhängende unterschiedliche zeitliche Anwendbarkeit der Regelung führe zu einer Diskriminierung der Auslandssachverhalte.

Diese Auffassung hatte der vorlegende Senat in einer früheren Entscheidung vertreten (Urteil vom 06.03.2013, I R 14/07, BFHE 241, 185, BStBl II 2015, 349). Für diese Entscheidung hat die Finanzverwaltung die Nichtanwendung auf andere Fälle angeordnet (Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 30.03.2015, BStBl I 2015, 260).

Außerdem hält die Klägerin die durch § 36 Abs. 4 GewStG angeordnete Geltung des § 8 Nr. 5 GewStG bereits ab dem Erhebungszeitraum 2001 wegen Verstoßes gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG)) für verfassungswidrig, soweit von der Hinzurechnung auch Ausschüttungen der ausländischen Kapitalgesellschaften an die Klägerin oder die Investmentfonds erfasst werden, die bis zum 11.12.2001 (Zeitpunkt der Vermittlungsempfehlung bezüglich § 8 Nr. 5 GewStG im Gesetzgebungsverfahren) erfolgt sind.

Insoweit stützt sich die Klägerin auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07 (BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932) betreffend Dividendenvorabausschüttungen aus Streubesitzbeteiligungen, die ebenfalls bereits im Streitjahr dem Regime des § 8b Abs. 1 KStG unterlagen. Das BVerfG hatte in jenem Beschluss entschieden, dass § 36 Abs. 4 GewStG gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt und nichtig ist, soweit er § 8 Nr. 5 GewStG auf Dividendenvorabausschüttungen für anwendbar erklärt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor dem 12.12.2001 verbindlich beschlossen wurden und die der mit weniger als 10 % an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt zugeflossen sind.

Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht hielt die Anwendung der Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 Satz 1 GewStG für den Erhebungszeitraum 2001 für unionsrechtswidrig und änderte den angefochtenen Bescheid.

Auf die Revision des Finanzamtes hat der vorlegende Senat mit Beschluss vom 23.11.2021, I R 5/18 (BFHE 275, 219) das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über eine Frage zur Auslegung des Art. 56 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 63 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) eingeholt (siehe unseren Blogbeitrag), über die der EuGH mit dem Urteil H Lebensversicherung vom 22.06.2023, C-258/22 entschieden hat (siehe unseren Blogbeitrag).

In Bezug auf die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes gehen die Beteiligten davon aus, dass die Problematik der hier in Rede stehenden Dividenden aus Streubesitzanteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften mit derjenigen der im BVerfG-Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07 (BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932) angesprochenen Dividendenvorabausschüttungen vergleichbar ist. Unterschiedliche Auffassungen bestehen mit Blick auf den vom BVerfG angenommenen Zeitpunkt des Verlusts des Vertrauensschutzes (Ablauf des 11.12.2001) darüber, ob es ‑‑wie das FA meint‑‑ hinsichtlich der der Klägerin über den Y-Fonds zugeflossenen Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften auf den Zeitpunkt des Zuflusses der vom Fonds weitergeleiteten Dividenden bei der Klägerin (12.12.2001) ankommt, oder ob hierfür ein früherer Anknüpfungspunkt entscheidend ist.

Entscheidung des BFH

§ 36 Abs. 4 GewStG verstößt nach Auffassung des vorlegenden Senats nach den Maßstäben des BVerfG-Beschlusses vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07 (BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932) auch insoweit gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, als er § 8 Nr. 5 GewStG auf Ausschüttungen ausländischer Kapitalgesellschaften für anwendbar erklärt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor dem 12.12.2001 verbindlich beschlossen wurden und die der direkt oder mittelbar über ein inländisches Wertpapier-Sondervermögen mit weniger als 10 % an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt zugeflossen sind.

Fundstelle

BFH, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2024 (I R 36/23 (I R 5/18)), veröffentlicht am 13. Juni 2024.

Eine englische Zusammenfassung dieses Beschlusses finden Sie hier.

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