Keine Erhebungskompetenz für GewSt in gemeindefreien Gebieten zugunsten der Länder nach § 4 Abs. 2 GewStG i.V.m. einer Rechtsverordnung der Landesregierung (GewSt eines Offshore-Windparks)

Der BFH hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass § 4 Abs. 2 GewStG es den Ländern nicht erlaubt, die Erhebungskompetenz für die Gewerbesteuer in gemeindefreien Gebieten durch Rechtsverordnung sich selbst anstelle der Gemeinden zuzuweisen. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung über die Erhebung der Gewerbe- und der Grundsteuer in gemeindefreien Gebieten (GGrStGfGebV ND vom 2.10.2008, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 2008, 304) ist rechtswidrig und nicht anzuwenden.

Sachverhalt

Klägerin des Verfahrens ist eine im Land Niedersachsen gelegene Stadt (Gemeinde), auf deren Gebiet eine GmbH & Co. KG (KG) im Streitjahr 2014 ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung hatte. Die KG betrieb im (seerechtlichen) Küstenmeer der Bundesrepublik Deutschland (der sog. 12-Meilen-Zone) vor der niedersächsischen Nord-seeküste einen Offshore-Windpark. Das betreffende Gebiet des Küstenmeeres gehört zu keiner Gemeinde (sog. gemeindefreies Gebiet).

Das Finanzamt zerlegte den GewSt-Messbetrag der KG für das Streitjahr 2014 nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG in der Fassung des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809) in der Weise, dass auf die Klägerin 30% und auf das Land Niedersachsen 70% entfielen.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, dass ihr der gesamte GewSt-Messbetrag der KG zuzuordnen sei. Die Niedersächsische Verordnung über die Erhebung der Gewerbe- und der Grundsteuer in gemeindefreien Gebieten (GGrStGfGebV ND) bestimme zwar, dass das Land die auf die Betriebsstätten in gemeindefreien Gebieten entfallende Gewerbesteuer selbst erhebe. Diese Regelung sei jedoch rechtswidrig, da nach Art. 106 Abs. 6 GG das Aufkommen der Gewerbesteuer ausschließlich den Gemeinden zustehe. Das Land hätte daher durch eine entsprechende, auf der Grundlage des § 4 Abs. 2 GewStG erlassene Verordnung lediglich bestimmen dürfen, welcher Gemeinde der anteilige Gewerbesteuermessbetrag zustehe, nicht jedoch sich selbst die Erhebungskompetenz für die Gewerbesteuer zuweisen dürfen.

Nachdem das Finanzamt den Einspruch zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht. Die KG wurde zu diesem Verfahren beigeladen. Sie stimmte der Klägerin darin zu, dass die GGrStGfGebV ND rechtswidrig und deswegen nicht anzuwenden sei. Rechtsfolge davon könne jedoch nicht sein, dass der Anteil am GewSt-Messbetrag des Landes Niedersachsen der Klägerin zuzuordnen sei. Vielmehr gebe es auch dafür keine Rechtsgrundlage, so dass der Klägerin lediglich 30% zuzuordnen seien (wie im angefochtenen Zerlegungsbescheid geschehen) und die übrigen 70% keiner Gemeinde zugeordnet werden dürften.

Das Niedersächsische Finanzgericht wies die Klage ab. Es sah § 29 Abs. 1 Nr. 2 GewStG sowie § 4 Abs. 2 GewStG i.V.m. § 1 GGrStGfGebV ND als gültige Rechtsgrundlagen an, um der Klägerin 30% und dem Land Niedersachsen 70% des GewSt-Messbetrags der KG zuzuordnen. Die Rechtsverordnung des Landes Niedersachsen verstoße weder gegen die Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 2 GewStG noch gegen das Grundgesetz.

Entscheidung des BFH

Der dagegen gerichteten Revision der Klägerin hat der BFH stattgegeben. Er hat das Urteil des Finanzgerichts sowie die Einspruchsentscheidung und den Zerlegungsbescheid des Finanzamts (§ 188 AO) aufgehoben und das Finanzamt verpflichtet, einen sog. Zuteilungsbescheid (§ 190 AO) zu erlassen, durch den der gesamte GewSt-Messbetrag der KG für den streitigen EZ 2014 der Klägerin zugeteilt wird.

Das Finanzgericht habe zu Unrecht entschieden, dass der GewSt-Messbetrag der KG für den Erhebungszeitraum 2014 nach §§ 28 ff. GewStG zu zerlegen sei, denn die KG habe nicht Betriebsstätten in mehreren Gemeinden unterhalten i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG.

Zwar habe die KG sowohl im Gemeindegebiet der Klägerin als auch im deutschen Küstenmeer (= Inland im völkerrechtlichen Sinne nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982, BGBl. II 1994, 1799) eine Betriebsstätte unterhalten. Das deutsche Küstenmeer gehöre jedoch zu keiner Gemeinde. Und § 4 Abs. 2 GewStG lasse es nicht zu, die Erhebungskompetenz für die Gewerbesteuer in gemeindefreien Gebieten durch Rechtsverordnung einem Land zuzuordnen, wie es Niedersachsen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 GGrStGfGebV ND getan habe.

§ 4 Abs. 2 GewStG sei vielmehr verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass diese Ermächtigungsgrundlage es nur zulasse, die Erhebungskompetenz für die GewSt in gemeindefreien Gebieten durch Rechtsverordnung einer (oder mehreren) Gemeinde(n) zuzuweisen, nicht dem Land. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben hierfür ergäben sich aus Art. 106 Abs. 6 GG, nach dessen Satz 1 die Erhebungskompetenz für die GewSt grundsätzlich den Gemeinden zustehe.

Nur in dem in Satz 3 beschriebenen Ausnahmefall, dass es auf dem Gebiet eines Landes keine Gemeinde gebe, stehe die Erhebungskompetenz dem Land zu. Die Regelung des Satzes 3 betreffe jedoch nur die gemeindelosen Stadtstaaten Berlin und Hamburg. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GGrStGfGebV ND sei demzufolge rechtswidrig und nicht anzuwenden. Die Erhebungskompetenz stehe im Streitfall in voller Höhe der Klägerin zu.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 3. Dezember 2024 (IV R 5/22), veröffentlicht am 10. April 2025.

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