Konzessionen (Teil 16): OLG Stuttgart zur Einhaltung des Diskriminierungsverbots im Konzessionsvergabeverfahren
Das Urteil enthält wichtige Hinweise, welche Anforderungen an den Nachweis der Einhaltung des Neutralitätsgebots gestellt werden können.
Das OLG Stuttgart entschieden, dass auch eine Gemeinde, die nur mit einer Minderheitsbeteiligung an einem Mitbewerber um das Gasverteilernetz beteiligt ist, das Gebot der organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und Bewerber beachten muss, um eine diskriminierungsfreie Vergabeentscheidung zu gewährleisten. Das Urteil enthält wichtige Hinweise, welche Anforderungen an den Nachweis der Einhaltung des Neutralitätsgebots gestellt werden können.
Das OLG hat mit Urteil vom 25.05.2023 (Az.: 2 U 2101/22) die einstweilige Verfügung des LG Stuttgart aufgehoben, die der Gemeinde untersagt hatte, den Konzessionsvertrag mit dem Mitbewerber abzuschließen, und sie dazu verpflichtet hatte, den Zuschlag einem anderen Bewerber zu erteilen.
Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, hatte sich um das Wegenutzungsrecht für das Gasverteilernetz der Beklagten, einer Gemeinde, beworben. Die Beklagte war mit 25,1 % an der Streithelferin, einem anderen Energieversorgungsunternehmen, beteiligt, die ebenfalls ein Angebot abgegeben hatte. Die Oberbürgermeisterin der Beklagten war zudem stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Streithelferin. Die Beklagte hatte die Durchführung des Konzessionsverfahrens einer externen Anwaltskanzlei übertragen und die verwaltungsinterne Zuständigkeit dem Ersten Bürgermeister und dem Leiter des Fachbereichs "Organisation und Personal" zugewiesen, die zur Vertraulichkeit und Weisungsfreiheit verpflichtet waren. Der Gemeinderat der Beklagten beschloss auf der Grundlage eines Auswertungsvermerks der Anwaltskanzlei, den Konzessionsvertrag mit der Streithelferin abzuschließen. Die Klägerin rügte verschiedene Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot, insbesondere die fehlende organisatorische und personelle Trennung zwischen der Vergabestelle und der Streithelferin, und beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Das LG gab dem Antrag statt und begründete dies damit, dass die Beklagte keine ausreichende Trennung zwischen der verfahrensleitenden Stelle und der Streithelferin sichergestellt habe, weil sie kein schriftliches Konzept zur Vermeidung eines Wissenstransfers ausgearbeitet habe und keine konkreten Maßnahmen vorgetragen habe, die einen solchen Wissenstransfer verhindern sollten. Das LG sah in der Doppelfunktion der Oberbürgermeisterin auf der Seite der Vergabestelle und als Mitglied und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Streithelferin einen weiteren Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen das Trennungsgebot. Das LG meinte, dass die Klägerin einen Anspruch darauf habe, dass ihr der Zuschlag erteilt werde, weil die Streithelferin als einzige Mitbewerberin vom Konzessionsverfahren ausgeschlossen sei und eine Aufhebung des Konzessionsverfahrens mit anschließendem Neubeginn nicht in Betracht komme.
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Das OLG hat zunächst festgestellt, dass ein Verfügungsgrund nach § 47 Abs. 4 Satz 3 EnWG nicht glaubhaft gemacht werden muss und sich im Übrigen aus der Ankündigung der Beklagten ergibt, den Konzessionsvertrag mit der Streithelferin abzuschließen.
Das OLG hat weiter ausgeführt, dass der Verfügungsantrag auf Unterlassung des Vertragsschlusses zulässig sei, weil er dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genüge, da die Rügen in der Antragsschrift im Einzelnen aufgezählt und anhand des zugehörigen Sachverhalts erläutert seien.
Nachweis der Einhaltung des Neutralitätsgebots
Das OLG hat jedoch diesen Verfügungsantrag als unbegründet angesehen, weil die Beklagte durch ihre Auswahlentscheidung für die Streithelferin nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen habe. Das OLG hat betont, dass aus dem Diskriminierungsverbot das Gebot der organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und Bewerber folge, um die Neutralität und Objektivität der Vergabestelle zu gewährleisten. Das OLG hat folgt insoweit auch der Rechtsprechung des BGH, dass eine solche Trennung auch bei einer Minderheitsbeteiligung der Gemeinde an einem Mitbewerber erforderlich sei, weil diese Beteiligung so gewichtig sei, dass aus objektiver Sicht ein Interessenkonflikt bestehe, zumal hinzukomme, dass die Oberbürgermeisterin der Beklagten zugleich stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Mitbewerbers sei.
Das OLG hat aber anders als das LG angenommen, dass die Beklagte eine ausreichende organisatorische und personelle Trennung zwischen der verfahrensleitenden Stelle und der Streithelferin sichergestellt habe, indem sie die verwaltungsinterne Zuständigkeit dem Ersten Bürgermeister und dem Leiter des Fachbereichs "Organisation und Personal" zugewiesen habe, die zur Vertraulichkeit und Weisungsfreiheit verpflichtet gewesen seien. Das OLG hat dies durch die eidesstattliche Versicherung des Ersten Bürgermeisters glaubhaft gemacht und keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit des eidesstattlich versicherten Sachverhalts zu zweifeln. Das OLG hat ferner festgestellt, dass die personelle und organisatorische Trennung rechtzeitig erfolgt sei, weil die Aufgabenübertragung vor den weiteren in § 46 EnWG bestimmten Verfahrensabschnitten und damit insbesondere auch vor der Bestimmung und Ausgestaltung der Vergabekriterien erfolgt sei. Das OLG hat schließlich die Doppelfunktion der Oberbürgermeisterin auf der Seite der Vergabestelle und als Mitglied und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Streithelferin nicht als Verstoß gegen das Trennungsgebot angesehen, weil die Oberbürgermeisterin bei der Durchführung des Konzessionsverfahrens keine Weisungen erteilt habe und die Mitglieder des Verwaltungs- und Finanzausschusses und des Gemeinderats auf die erforderliche Trennung hingewiesen worden seien.
Das OLG hat zudem die weiteren Rügen der Klägerin als unbegründet oder präkludiert erachtet. Das OLG hat die Rüge der Klägerin, dass die Beklagte die Angebote der Bewerber nicht gleichmäßig und sachgerecht bewertet habe, als präkludiert angesehen, weil die Klägerin diese Rüge erst mit Schreiben vom 04.02.2021 erhoben habe, obwohl sie bereits im Juli 2020 Akteneinsicht gehabt habe und die gerügten Rechtsverletzungen hieraus bereits erkennbar gewesen seien. Das OLG hat die einzelnen nicht präkludierten Rügen der Klägerin, als unbegründet abgelehnt, weil die Beklagte jeweils die Aussagen in den Angeboten der Bewerber ausreichend bei der Bewertung berücksichtigt habe und sich damit im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bewegt habe.
Kein Anspruch auf Zuschlagserteilung im einstweiligen Rechtsschutz
Das OLG hat schließlich den weiteren Verfügungsantrag, der Klägerin den Zuschlag im Verfahren zu erteilen, als unzulässig erachtet, weil er zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. Das OLG hat ausgeführt, dass die Anordnung, der Klägerin den Zuschlag zu erteilen, eine endgültige Regelung darstellen würde, die den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigen würde. Das OLG hat betont, dass das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein vorläufiges und summarisches Erkenntnisverfahren sei, das nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen dürfe. Die Entscheidung sei daher auch nicht mit der Entscheidung des BGH „Gasnetz Berlin“ (Urteil vom 09. 03. 2021 – Az. KZR 55/19, Rn. 57 ff.), die in einem Hauptsacheverfahren ergangen sei und bei der der einzige Mitbewerber vom Verfahren auszuschließen war, vergleichbar. Das OLG hat daher den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen.
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Peter Mussaeus
Partner, Leiter Energierecht
Düsseldorf