Strategische Flexibilität: Der Schlüssel zu einer finanziell tragfähigen und nachhaltigen Infrastruktur

Flexibel konzipierte Energie-Infrastrukturen fördern das Erreichen von Umweltzielen und erzeugen eine bessere Rentabilität

Laut Prognosen der Vereinten Nationen werden bis zum Jahr 2050 68% der Weltbevölkerung in Städten leben, gegenüber 55% im Jahr 2018. Dieser Anstieg unterstreicht, wie dringend notwendig eine nachhaltige Infrastruktur zur Versorgung einer zunehmenden Stadtbevölkerung ist, ohne dass die Umwelt weiter in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch legt dieses Zukunftsszenario nahe, dass der Ausbau der Infrastruktur auf herkömmliche Weise nicht den Weg zur Klimaneutralität wird leisten können: Während der Ausbau der Infrastruktur zur Deckung der Nachfrage an sich unumgänglich ist, muss er gleichzeitig intelligenter, effizienter und anpassungsfähiger gestaltet werden, um den Herausforderungen des schnellen Wachstums und Wandels gerecht zu werden. Eine Planung mit strategischer Flexibilität ist dabei ein entscheidendes Instrument, um die doppelte Herausforderung von Bedarf an Infrastruktur und Entgegenwirkung des Klimawandels zu meistern. Gleichzeitig kann sie die Kosten für Instandsetzungen oder Upgrades eingrenzen, die mit den bisherigen Ansätzen der Infrastrukturplanung einhergehen.

Eine frühe Berücksichtigung von Gestaltungsalternativen kann langfristig einen erheblichen Wert freisetzen

Ein Vergleich des traditionellen Ansatzes mit einer strategisch flexiblen Gestaltung eines Stromversorgungssystems zeigt die Vorteile einer sorgfältigen Planung und Analyse, wie aus der Abbildung hervorgeht.

Flexible Expansiondesign Flat artwork_Desktop.png [id=237546]Quelle: PwC

Bei einem "Fixed design” ist die Kapazität des Systems festgelegt und kann zusätzliche Nachfrage nicht ohne weiteres decken. In dem ersten Szenario der Abbildung überträgt ein Umspannwerk den Strom für die Versorgung einer Stadt. Im Gegensatz dazu umfasst eine strategisch flexible Gestaltung zusätzliche Elemente, die über den aktuellen Bedarf hinausgehen, wie beispielsweise große Betonfundamente. Dies ermöglicht eine schnelle und kostengünstige Erweiterung des Systems, sobald die Nachfrage steigt. Ein solcher Ansatz kann beispielsweise bedeuten, dass im Vorfeld mehr Grundstücke erworben werden, Stromgeneratoren so konzipiert werden, dass problemlos weitere Übertragungsleitungen hinzufügt werden können und Standorte für zusätzliche Masten vorbereitet werden, wie in der mittleren und rechten Abbildung veranschaulicht wird. Die dabei im Anfangsstadium notwendig höheren Kosten amortisieren sich zu späterer Zeit, da die flexiblen Anpassungen zu wesentlich günstigeren Kosten durchgeführt werden können als mögliche Neu- und Umbauten eines fixen Designs. 

Diese Ansatz hat PwC gemeinsam mit der Imperial Dyson School of Design Engineering anhand unterschiedlicher Planungsansätze für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) konkret analysiert. Das Ergebnis zeigt, dass eine flexible Planung einen um 70 % höheren zu erwartenden Cashflow bieten könnte als eine von Beginn an festgelegte Gestaltung - vor Betrachtung der Kosten für Flexibilität. Konkrete Zahlen konnten dabei mit fortschrittlichen Wirtschaftsmodellen, die diese Ansätze der Flexibilität bzw. Realoptionen nutzen, errechnet werden und sie verdeutlichen den finanziellen Vorteil. Beispielsweise könnte bei der Eingangs erwähnten theoretischen Betrachtung einer Hochspannungsleitung, die erneuerbare Energien über Tausende von Kilometern transportiert, bei einer anfänglichen Investitionssumme von 700 Millionen US-Dollar ein Mehrwert von über 310 Millionen US-Dollar freigesetzt werden. Darüberhinaus ergibt sich ein ökologischer Nutzen aus diesem Design, da es Kapazitätsverschwendungen minimiert und die Anpassungsfähigkeit an den Energiebedarf über den mehr als 40-jährigen Lebenszyklus des Projekts maximiert.

Angesichts der zunehmenden Unsicherheiten in der Energielandschaft, insbesondere durch die Diversifizierung der Energieerzeugung und der zunehmenden Elektrifizierung, wird eine flexible Infrastrukturgestaltung herkömmliche, starre Ansätze deutlich übertreffen. Ein Planungsprozess, der flexible Konzepte bereits in der kritischen Frühphase identifiziert und bewertet, ermöglicht es den Planern, fundierte Entscheidungen durch Kostenbetrachtungen und Vergleiche zu treffen. In einem Rechenszenario konnte gezeigt werden, dass trotz überdimensionierter Betonfundamente zukünftige Erweiterungen von Übertragungsleitungen und -stationen schneller und kostengünstiger durchgeführt werden können, wodurch neben den Übertragungsleistungen auch die Renditen der Investition signifikant gesteigert werden könnten.

Anpassungsfähigkeit in einer Zeit des unvorhersehbaren Wandels

Eine kosteneffiziente Infrastruktur ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, dem weltweiten Druck zur Urbanisierung und gleichzeitig dem Trend zu nachhaltiger Entwicklung gerecht zu werden. Der Global Infrastructure Outlook prognostiziert einen Bedarf von 94 Billionen US-Dollar an weltweiten Infrastrukturinvestitionen bis 2040, um mit dem erwarteten Wachstum Schritt zu halten. Dabei sind die hohen Investitionen in die Infrastruktur für Energieübertragung und -verteilung eine der vielen Lücken, die in den nächsten Jahrzehnten überbrückt werden müssen. Und da diese Transformation weiter zunimmt, muss auch sichergestellt werden, dass die Investitionen in Projekte fließen, die nicht nur für Investoren attraktiv, sondern auch ökologisch nachhaltig und vor allem anpassungsfähig sind, um die zukünftige globale Nachfrage zu decken.

In der Praxis zeigt der Hauptsitz von Blue Cross Blue Shield in Chicago, bei dessen ursprünglichen Bau in den späten 1990er Jahren Vorkehrungen für eine beträchtliche künftige vertikale Erweiterung getroffen wurden, die greifbaren Vorteile dieses Ansatzes nachdrücklich. Diese bereits eingeplante Anpassungsoption ermöglichte es dem Unternehmen, effizient auf das Wachstum seiner Arbeitskräfte zu reagieren und, fast ein Jahrzehnt nach dem ursprünglichen Bau, 24 Stockwerke hinzuzufügen, ohne den Grundstein für ein neues Gebäude legen zu müssen. Angesichts der zunehmenden Remote Arbeit könnten flexibel konzipierte Bürogebäude, die modulare Komponenten enthalten, es den Gebäudeeigentümern ermöglichen, Teile der Struktur zur Wiederverwendung oder zum Recycling zu demontieren. Ein solcher Ansatz würde nicht nur die Verschwendung minimieren, sondern ermöglicht auch eine Reaktion auf sich ändernde Arbeitsgewohnheiten oder Geschäftsanforderungen.

Zu den Unsicherheiten unserer Zeit, die den Bedarf an strategischer Flexibilität weiter verstärken, zählen wirtschaftliche Volatilität, geopolitische Spannungen, technologische Veränderungen und die unvorhersehbaren Auswirkungen globaler Gesundheitskrisen. Traditionelle Ansätze im Ingenieurwesen, die häufig Robustheit und Skaleneffekten den Vorrang geben, erweisen sich zunehmend als unzureichend, da sie nur innerhalb einer vorgegebenen Reihe von Bedingungen optimal funktionieren. “Der Grundgedanke besteht darin, ein Infrastrukturdesign zu wählen, bei dem Sie das Spiel bestimmen und zukünftige Entscheidungen im Lichte zusätzlicher Informationen und höherer Gewissheit treffen, anstatt zu versuchen, das richtige Design im Hinblick auf eine - oft optimistische - Zukunft zu finden", sagt Michel-Alexandre Cardin, außerordentlicher Professor an der Imperial Dyson School of Design Engineering und Co-Leiter der HGÜ-Studie. Er merkt dabei an, dass eine starre Sicht auf die Entwicklung der Umgebungsvariablen auch ein häufiger Grund dafür ist, dass Megaprojekte das Budget überschreiten.

Cardin ist Teil einer globalen Gruppe von Forscher:innen, die Anwendungsfälle in diesem Themengebiet sammeln und diese Regierungen, Auftraggebern und Praktikern zugänglich machen. Ziel ist es, die Analyse der Flexibilität bei komplexen Infrastruktur- bzw. Großanlagenprojekten in verschiedenen Branchen und Bereichen (z.B. Stadtplanung, Wasserwirtschaft, erneuerbare Energiesysteme, usw.) zu unterstützen. Damit strategische Flexibilität ihr Potenzial voll ausschöpfen kann, müssen Unternehmen, Regierungen und Organisationen einen pragmatischen Ansatz für Infrastruktur-Entwicklungen verfolgen, die gegen Katastrophen und Auswirkungen des Klimawandels resistent ist und sich gleichzeitig an unvermeidliche Nachfrageschwankungen anpassen lässt.

Unsere HGÜ-Analyse hat gezeigt, dass die Einführung von strategischer Flexibilität einen erheblichen finanziellen Vorteil mit sich bringt. Nichtsdestotrotz ist es für einen Erfolg entscheidend sich mit der Umsetzung und Ausgestaltung von Flexibilität zu beschäftigen. Es ist unerlässlich, ein Verständnis für die potenziellen Herausforderungen und die damit verbundenen Überlegungen zu entwickeln. Für Unternehmen, die von diesen Erkenntnissen profitieren wollen, kann ein strategischer Ansatz zur Integration von Flexibilität in die Entscheidungsfindung zu einer widerstandsfähigen und wirtschaftlich tragfähigen Infrastruktur führen - ein entscheidender Faktor auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Die Bestimmung des Mehrwerts und der Umsetzung von strategisch flexiblen Systemen bzw. Infrastrukturen, lässt sich durch eine Kombination aus einer technisch-wirtschaftlichen Betrachtung (Business case) und der Abbildung einer Systemarchitektur und Umsetzung von konkreten technischen Maßnahmen (z.B. Modularität, Schnittstellen) darstellen; die Alternativen können dann bewertet (z.B. nach Kosten) und zur Entscheidung gebracht werden. Für letzteres eignet sich ein Tool zur Modellierung komplexer Systeme wie z.B. das PwC Tool METUS. Für Fragen oder eine Demonstration stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Ansprechpartner
Dr. Ing. David Allaverdi

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