Unser Schwerpunkt liegt darin, politisch motivierte Anschläge zu verhindern.

Andreas Stenger, Präsident des LKA Baden-Württemberg, antwortet Strategy&-Partner Philipp Mette auf Fragen zur inneren Sicherheit in Zeiten multipler Krisen.

PwC: Herr Stenger, derzeit wird das Weltgeschehen stark von Kriegen beeinflusst. Beeinflusst das die Arbeit Ihres LKA?

Andreas Stenger: Ja. Vermeintlich ferne Konflikte und geopolitische Krisen wirken mitunter deutlich nach Deutschland, auch nach Baden-Württemberg hinein. Nehmen wir nur mal den Überfall der Palästinenserorganisation Hamas auf Israel im Oktober 2023: Seither haben wir es in Deutschland immer wieder mit antiisraelischen Versammlungen zu tun, bei denen Personen offen antisemitisch auftreten. Und wenn Krisen im Ausland die Kriminalitätsentwicklung hierzulande beeinflussen, beeinflussen sie die Arbeit des LKA.

Trifft das auch auf den Krieg in der Ukraine zu?

Unbedingt, und zwar auf vielen unterschiedlichen Handlungsebenen. Allein schon, weil Baden-Württemberg weiterhin viele ukrainische Flüchtlinge unterbringt und unsere Polizei zu deren Sicherheit beitragen muss. Gleichzeitig gibt es zum Beispiel prorussische Agitation und Kundgebungen mit Eskalationspotenzial. Auch hybride Bedrohungen, also Sabotage, Spionage und Desinformation, stellen uns in diesem Kontext vor besondere Herausforderungen.

Können Sie Beispiele dafür nennen?

Nehmen wir nicht kommerzielle Drohnen, die über Truppenübungsplätze fliegen, auf denen die Bundeswehr ukrainische Soldaten ausbildet. Oder die Gefahr, dass deutsche Rüstungsfirmen sabotiert und deren Führungspersonal bedroht oder gar angegriffen werden könnte. Wir als LKA sind gefordert, auch in diesem Handlungsfeld alles für die Sicherheit zu tun.

Sowohl der Russland-Ukraine-Krieg als auch der Nahostkrieg spalten die Gesellschaft in Deutschland. Bekommen Sie auch das zu spüren?

Leider auch das. Multiple Krisen führen zur Verunsicherung und Polarisierung in der Gesellschaft. Rechte und linke Gruppierungen bekommen immer mehr Zulauf, was in mehr politisch motivierter Kriminalität mündet. Deshalb liegt einer unserer operativen und strategischen Schwerpunkte darin, politisch motivierte Straftaten oder gar Anschläge in Baden-Württemberg möglichst zu verhindern.

Die Kriminalitätsfallzahlen steigen bundesweit an – auch in Ihrem Bundesland?

Die Anzahl der in Baden-Württemberg insgesamt erfassten Straftaten ist im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 um 45.000 Fälle auf rund 595.000 angestiegen. Den höchsten Stand an Straftaten insgesamt in diesem und dem vergangenen Jahrzehnt hatten wir 2015 – mit mehr als 617.000 registrierten Fällen. Wir setzen alles daran, den seither erreichten Abwärtstrend wieder zu verstärken. Nach polizeilich erfassten Straftaten pro 100.000 Einwohner gehört Baden-Württemberg seit vielen Jahren zu den sichersten Bundesländern in Deutschland.

In welchen Deliktbereichen ist Ihre Behörde besonders gefordert?

Wir ruhen uns auf der sehr guten Leistungsbilanz der Polizei Baden-Württemberg nicht aus, sondern versuchen, erkennbaren Kriminalitätsentwicklungen mit Konzepten und Bekämpfungsstrategien konkret entgegenzuwirken. Neben dem genannten Schwerpunkt – politisch motivierte Kriminalität – liegt zurzeit auch ein Fokus auf Straftaten im öffentlichen Raum, insbesondere bezüglich einer seit 2022 eskalierenden gewalttätigen Auseinandersetzung zweier hochkrimineller Gruppierungen im Großraum Stuttgart. Um dem neuen Phänomen der subkulturellen, gruppenbezogenen Gewaltkriminalität Einhalt zu gebieten, besteht unter Federführung des Landeskriminalamts und mit Einbindung der regionalen Präsidien eine Besondere Aufbauorganisation – kurz BAO – beim LKA.

Wie hoch ist die Aufklärungsquote der Polizei in Baden-Württemberg?

Derzeit liegen wir über alle Straftaten hinweg bei einer Aufklärungsquote von rund 60 Prozent – und schneiden auch hier im Ländervergleich sehr gut ab.

Dennoch gibt es in ganz Deutschland ein weiteres, größer werdendes Sicherheitsproblem: Messergewalt. Die Politik reagiert darauf mit Waffenverbotszonen. Verbessert das die Sicherheit für die Bürger:innen?

Waffenverbotszonen können dazu beitragen, das Kriminalitätsproblem einzudämmen. Sie sind jedoch kein Allheilmittel – unter anderem, weil sie Polizeipersonal binden, das dann woanders fehlt Wir brauchen deshalb ganzheitliche Konzepte, die auf Repression, Kontrolldruck, Prävention und Bewusstseinsbildung setzen.

Diverse Bundesländer beschleunigen innovative Polizeiarbeit. Auch Baden-Württemberg?

Unsere Polizei verfügt über einen Innovation Hub, in dem Zukunftsideen vorangetrieben werden. Das LKA Baden-Württemberg ist Netzwerkpartner des Innovation Park Artificial Intelligence in Heilbronn. Und wir arbeiten in praxisbezogenen Forschungsprojekten, in denen wir herausfinden, wie uns beispielsweise künstliche Intelligenz nützen kann.

Eine Frage auch zur Cybersicherheit: Darum kümmern sich allein in Ihrem Bundesland ein Dutzend Institutionen. Hinzu kommen Institutionen anderer Bundesländer, des Bundes und der EU. Brauchen wir eine weniger komplexe Cybersicherheitsarchitektur, um Kriminellen wirksamer die Stirn zu bieten?

Dass wir hier eine komplexe Struktur haben, ist meiner Ansicht nach kein Problem – es handelt sich schließlich um ein komplexes Problemfeld. Wichtig ist, dass die strategische Arbeitsteilung bzw. die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen funktioniert. Dafür haben wir eine Cyberstrategie, die im Einklang mit der bundesweiten Cybersicherheitsstrategie steht und damit eine eng verzahnte Zusammenarbeit ermöglicht.

Kriminalfälle bearbeiten auch Ermittler:innen in der TV-Serie Tatort. Viele Menschen kennen LKA-Arbeit nur daher. Wie nah dran – oder weit weg – sind die Filme von der Realität?

(Lacht) Sagen wir so: Wir klären unsere Fälle nicht in anderthalb Stunden, agieren nicht nach Drehbüchern und sind keine Einzelkämpfer, die nur mit Scharfsinn Straftaten aufklären. Wir arbeiten in Expertenteams aus unterschiedlichen Fachrichtungen, oft in mühevoller Detailarbeit. Und bei unserem Personal dürfte es wesentlich weniger zerrüttete Beziehungen geben als bei den Tatort-„Kollegen“.

Ansprechpartner:
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