Grundstücksenteignung ist kein privates Veräußerungsgeschäft
Eine Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) liegt nicht vor, wenn der Verlust des Eigentums am Grundstück ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfindet. Ein Entzug des Eigentums durch Sonderungsbescheid nach dem Bodensonderungsgesetz ist danach keine Veräußerung nach den einschlägigen Vorschriften des EStG.
Anfang der 1990er Jahre kaufte der Steuerpflichtige einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem unbebauten Grundstück. Im Jahr 2005 erwarb der Steuerpflichtige durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung den anderen hälftigen Miteigentumsanteil am Grundstück und war fortan Alleineigentümer. Das Grundstück blieb weiterhin unbebaut.
Die Stadt X führte ein Bodensonderungsverfahren durch und erließ am 11.9.2008 einen das maßgebliche Grundstück betreffenden und an den Steuerpflichtigen gerichteten Sonderungsbescheid nach dem Bodensonderungsgesetz v. 20.12.1993 (BGBl I 1993 S. 2215). Als Entschädigung für den Übergang des Eigentums an dem Grundstück setzte die Stadt X eine Entschädigung in Höhe von 470.000 EUR zugunsten des Steuerpflichtigen, die ihm im Streitjahr 2009 zugeflossen ist, fest. Aufgrund einer Klage zwischen dem Steuerpflichtigen und der Stadt X erhielt der Steuerpflichtige in 2012 einen weiteren Entschädigungsbetrag in Höhe von 87.000 EUR und einen Restbetrag in Höhe von 43.000 EUR in 2014 ausgezahlt.
In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2009 gab der Steuerpflichtige bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen das Grundstück betreffenden Werbungskostenüberschuss in Höhe von 18.887 EUR an. Das Grundstück war (auch) zu diesem Zeitpunkt weder bebaut noch vermietet.20
Mit Einkommensteuerbescheid v. 4.4.2011 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Streitjahr 2009 aufgrund eines bestehenden Verlustvortrags auf 0 EUR fest und legte dabei den von den Steuerpflichtigen erklärten Werbungskostenüberschuss zugrunde. Die Steuerfestsetzung erfolgte hinsichtlich der Einkünfte des Steuerpflichtigen aus Vermietung und Verpachtung aus dem Grundstück in der Stadt X vorläufig.
Gegen diesen Bescheid legte der Steuerpflichtigen wegen hier nicht streitbefangener Punkte Einspruch ein, der mehrfach zu Änderungen der Festsetzung führte. Noch während des Einspruchsverfahrens gegen die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2009 ordnete das Finanzamt am 25.3.2013 eine Betriebsprüfung für Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuerzwecke für die Jahre 2009 bis 2011 an. Im Betriebsprüfungsbericht vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Enteignung des Grundstücks durch die Stadt X ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG darstelle, und der –zwischen den Beteiligten der Höhe nach unstreitige – Gewinn 175.244,97 EUR betrage. Das Finanzamt änderte den Einkommensteuerbescheid 2009 entsprechend unter Aufrechterhaltung des Vorläufigkeitsvermerks.
Zwischenzeitlich hatte das FA auch die Veranlagung für das Streitjahr 2012 durchgeführt. Im Einkommensteuerbescheid für 2012 legte es im Hinblick auf die weitere Entschädigungszahlung der Stadt X einen – der Höhe nach unstreitigen – Veräußerungsgewinn nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 43.500 EUR (1/2 von 87.000 EUR) der Besteuerung zugrunde. Die Einsprüche des Steuerpflichtigen gegen die Bescheide 2009 und 2012 hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht Münster entschied mit Urteil v. 28.11.2018 (Az. 1 K 71/16 E; EFG 2019 S. 98), dass die dem Steuerpflichtigen in den Streitjahren für die durch Sonderungsbescheid angeordnete hoheitliche Übertragung des Eigentums an dem maßgeblichen Grundstück in der Stadt X zugeflossenen Entschädigungszahlungen keinen steuerbaren Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft darstellten.
Verlust des Eigentums am Grundstück „ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen“
Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen. Private Veräußerungsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, soweit der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 10 Jahre beträgt. Die Begriffe „Anschaffung" und „Veräußerung" erfassen entgeltliche Erwerbs- und Übertragungsvorgänge, die wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen; sie müssen Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sein.
Laut höchstrichterlicher Rechtsprechung fehlt es an einer willentlichen Übertragung auf eine andere Person, wenn – wie im Falle einer Enteignung – der Verlust des Eigentums am Grundstück „ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfindet“.
Dieses Ergebnis folgt bereits aus dem Wortlaut der maßgeblichen Norm in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG. Denn das Gesetz spricht von einem Veräußerungs„geschäft“, d.h. von einem schuldrechtlichen, dem rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen unterworfenen Vertrag.
Ein Vertrag liegt im Falle einer Enteignung – d.h. der Entziehung von Eigentum an einem Wirtschaftsgut durch staatlichen Hoheitsakt – nicht vor; vielmehr führt die Enteignung zu einem Eigentumsübergang, der sich gegen oder ohne den Willen des Rechtsinhabers (Eigentümers) vollzieht.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 23.7.2019, IX R 28/18, veröffentlicht am 19.9.2019.