Einziehung einer Forderung stellt keine Veräußerung dar

Die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert entgeltlich erworben wurde, stellt keine "Veräußerung" i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) dar.

Sachverhalt


Der Kläger erzielte im Streitjahr (2008) u.a. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aus einer Tätigkeit als Geschäftsführer der H-KG. Das Finanzamt erließ unter dem 12.5.2010 einen gem. § 164 Abs. 1 (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Im November 2013 erhielt das Finanzamt über eine –im Zuge einer Betriebsprüfung bei der H-KG gefertigte – Kontrollmitteilung von folgendem Sachverhalt Kenntnis. Im Juni 2008 hatte der Kläger von der H-KG eine Forderung gegen die C-GmbH zum Kaufpreis von 200.000 EUR erworben. In der zwischen den Beteiligten getroffenen schriftlichen Vereinbarung wurde auszugsweise Folgendes vereinbart:

  • Die H-KG benötigt aufgrund der notwendigen Zwischenfinanzierung für das laufende Investitionsvorhaben … dringend Liquidität. Die H-KG hat gegenüber der C-GmbH eine Forderung aus 2003 in Höhe von 410.540,94 EUR zzgl. 45.643,34 EUR Zinsen. Diese Forderung kann derzeit auch aufgrund der aktuellen Expansionsphase der C-GmbH nicht ausgeglichen werden.
  • Es wird vereinbart, dass der alleinige Gesellschafter der C-GmbH [d.h. der Kläger] diese Forderungen zu einem Betrag von 200.000 EUR erwirbt. Im Gegenzug verzichtet die H-KG auf die Zinsen i.H.v. 45.643,34 EUR.
  • (…) Mit Zahlung des vorgenannten Betrags geht der Gesamtanspruch i.H.v. 410.540,94 EUR von der H-KG an … [den Kläger] über.

Der Kläger war im Streitjahr mit 40 % am Kommanditkapital der H-KG beteiligt. Neben dem Kläger waren im Streitjahr mit 20 % Frau X, sowie mit 40 % eine weitere natürliche Person an der H-KG beteiligt. Am Stammkapital der C-GmbH war der Kläger zu 100 % beteiligt.
Unter dem 22.12.2008 bezahlte die C-GmbH 400.000 EUR zur (teilweisen) Begleichung der Forderung an den Kläger.


Aufgrund der Kontrollmitteilung erließ das Finanzamt am 30.1.2014 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es sonstige Einkünfte des Klägers in Höhe von 200.000 EUR ansetzte. Das Finanzamt ging davon aus, dass der Kläger mit der Einziehung der Forderung den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäftes i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erfüllt und einen Gewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Kaufpreis der Forderung (200.000 EUR) und dem eingezogenen Betrag (400.000 EUR) erzielt habe. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.


Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, hat die Klage mit Urteil v. 14.3.2018 (Az. 3 K 407/16; EFG 2018, S. 1187) abgewiesen. Anders beurteilte der Bundesfinanzhof (BFH) den Sachverhalt und gab der Revision des Klägers statt. Das Urteil des Finanzgerichts und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts wurde daraufhin aufgehoben und den Einkommensteuerbescheid für 2008, zuletzt geändert unter dem 13.8.2014, mit der Maßgabe geändert, dass keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 200.000 EUR berücksichtigt werden.


Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG) auch solche aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Diese umfassen gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei „anderen Wirtschaftsgütern", bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.


Mit § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erfasst das EStG innerhalb der Veräußerungsfrist von einem Jahr realisierte Wertänderungen von beweglichen Wirtschaftsgütern jedweder Art im Privatvermögen. Die in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG verwendeten Begriffe „Anschaffung" und „Veräußerung" erschließen sich u.a. aus den Regelungen des § 6 EStG, des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i.S.d. § 23 EStG ist danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten (d.h. auf eine andere Person) zu verstehen. Eine „Veräußerung" i.S. der genannten Vorschrift setzt auch voraus, dass sich aufgrund der zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarungen ein Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut vollzieht.

Es wird keine Wertänderung realisiert


Die bloße Erfüllung eines schuldrechtlichen Anspruchs ist kein entgeltlicher, mit einem Rechtsträger verbundener Übertragungsvorgang. Der Gläubiger erhält im Fall der Erfüllung nicht mehr, als seinem Leistungsanspruch entspricht. Damit realisiert der Gläubiger insbesondere auch keine Wertänderung hinsichtlich des maßgeblichen (nämlichen) Wirtschaftsguts – im Streitfall einer Geldforderung – zumal er weiterhin die Preisgefahr trägt. Der Normzweck des § 23 EStG, innerhalb der Haltefrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen, ist in solchen Fällen mithin nicht erfüllt. Zudem fehlt es im Fall der Erfüllung einer schuldrechtlichen Forderung an einem Rechtsträgerwechsel, da der Gläubiger bei Tilgung lediglich etwas erhält, was er zivilrechtlich bereits im Zeitpunkt der Abtretung der Forderung erworben hatte.


Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Frage, ob die Einziehung angeschaffter Forderungen innerhalb der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG eine „Veräußerung" darstellt, bislang offengelassen, im Übrigen aber den Veräußerungsbegriff des § 23 EStG weiter konkretisiert und dabei insbesondere die Rückgabe und Einlösung von Wertpapieren nicht als Veräußerungstatbestände gewertet. Das Schrifttum hat daraus gefolgert, dass ein bloßer Kapitalrückfluss – sei es als Einziehung einer Forderung oder als Vereinnahmung eines Auseinandersetzungsguthabens – keine Veräußerung und auch kein veräußerungsähnliches Geschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG darstellen könne.

Der erkennende Senat folgt der Auffassung, dass die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert entgeltlich erworben wurde, keine „Veräußerung" i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ist, da sie weder einen entgeltlichen Vorgang beinhaltet noch zu einem Rechtsträgerwechsel führt. Soweit der BFH in früheren Entscheidungen eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält der erkennende Senat hieran nicht länger fest.


Das bislang in der (früheren) Rechtsprechung für eine steuerrechtliche Gleichbehandlung der Einziehung und der Veräußerung von Forderungen bemühte Argument einer „wirtschaftlichen Vergleichbarkeit" der beiden Vorgänge vermag nicht zu überzeugen. Zwar wird in beiden Fällen der Forderungsinhaber den in der Forderung verkörperten Wert realisieren können, jedoch kann dieser Umstand nicht den Schluss rechtfertigen, dass in beiden Fällen auch der in der maßgeblichen Vorschrift geregelte Steuertatbestand, welcher ein „Veräußerungsgeschäft" voraussetzt, erfüllt ist. Denn anders als im Fall der Weiterveräußerung einer zuvor angeschafften Forderung vollzieht sich die Einziehung derselben durch eine freiwillige Leistung des Schuldners, der hierdurch die Forderung zum Erlöschen bringt; die Leistung des Schuldners ist folglich nicht auf eine Übertragung der Forderung (und mithin auch nicht auf einen Rechtsträgerwechsel) gerichtet.

Überdies setzt die Einziehung keine Mitwirkung des Forderungsinhabers voraus; vielmehr kann – wie der Kläger in seiner Revisionsbegründung zutreffend vorträgt – der Schuldner die gegen ihn gerichtete Forderung ggf. auch gegen den Willen des Forderungsinhabers zum Erlöschen bringen.


Fundstelle


BFH-Urteil vom 3. September 2019, (IX R 12/18), veröffentlicht am 9. Januar 2020.

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